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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Da brauchst nit lang’ fragen,“ erwiderte sie, halb abgewendet. „Ich hab’ Dir nit geschrieben; also hast Du halt den Hinweg für’n Herweg. Mußt Dir schon viel einbilden, weil Du glaubst, es braucht weiter nix, als kommen und anklopfen. Kannst alle Stund’ ’s Wachtelschlagen aufgeben und dafür dem Pfau seinen G’sang nachmachen.“

„No, da seh’ ich wohl, daß Du Dein’ Namen nit umsonst hast,“ sagte der Bursche, indem er beide Hände über den Bergstock legte und das Kinn darauf stützte. „Aber wenn Du noch so spotthaft thust, Du kannst doch nit leugnen, daß Du eingewilligt hast, daß ich zu Dir komm’.“

„Ich? Eingewilligt?“ rief Corona entrüstet. „Ist mir im Schlaf nit eingefall’n.“

„So? Warum hast dann meine Botschaft angenommen? Im Anfang hast Dich gespreizt; ich hab’s wohl geseh’n, daß Du die Almrosen weggelegt hast – aber heut’ Nacht das Spötterl, das ich Dir vor’s Fenster gehängt hab’, das hast nit weggestoßen, sondern behalten.“ …

„Du lebst stark in der Einbildung,“ rief Corona mit spöttischem Lachen. „Ich hab den Vogel nit behalten, sondern nur so steh’n lassen, weil ich nit gewußt hab’, was ich damit anfangen soll. Aber wenn’s auch so wär’,“ fuhr sie, einen Schritt näher tretend, fort, „so hätt’ ich Dich nur erwart’t, damit ich Dir sagen kann, daß Du mir aus ’m Weg geh’n sollst; ich will nix von Dir wissen.“

„Das kann schon sein,“ sagte der Bursche kaltblütig. „Aber ich möcht’ etwas wissen von Dir, Spötterl.“

„So heiß’ ich nit,“ rief sie erzürnt. „Wir sind nit so gut bekannt, daß ich mich von Dir bei meinem Spitznamen nennen lassen sollt’.“

„Sei nit harb deswegen!“ sagte er. „Aber der Name ist so übel nit. – Das Spötterl ist gar ein lieber Vogel, und wenn Du das Göschl so aufwirfst und so trutzig d’reinschaust, so siehst ihm völlig gleich mit Deinen Haselnußaugen. Aber wenn’s Dir nit recht ist und wenn Du’s erlaubst, nenn’ ich Dich bei Deinem rechten Namen und frag’ ob die Rohnberger Corona mir Red’ und Anwort geben will auf das, was ich gern wissen möcht’.“

Das Mädchen erröthete wie verwirrt; sie wußte nicht, wie sie dem gutmüthigen Tone ihres Widersachers gegenüber die frühere Schärfe des ihrigen aufrecht halten sollte. „Und was sollt’ denn das sein?“ fragte sie merklich milder und mit abgewandtem Blicke, während der Bursche ohne weitere Anfrage näher trat, Rucksack und Bergstock in das Gras warf und sich auf der Bank vor der Hütte niederließ.

„Das kannst gleich hören,“ sagte er. „Aber da gehört eine ganze G’schicht’ dazu, die ich Dir voraus erzählen muß. Wie wär’s, wenn Du mir vorher eine Schüssel Milch auftragen thät’st? Es ist sonst der Brauch so auf den Almen … wird doch auf der Gindelalm keine Ausnahm’ sein?“

Abermals betreten, eilte Corona der Milchkammer zu und erschien bald mit einer Schüssel, die sie neben den Burschen auf die Bank stellte. Wollte sie auch für die Zukunft jeden Verkehr mit ihm abbrechen – jetzt war er einmal durch eigenthümliche Verhältnisse ihr Gast geworden, und sie ärgerte sich über sich selber, wie sie vergessen konnte, ihm die Gastfreundschaft mindestens anzutragen. Halb unwillkürlich ließ sie sich ebenfalls auf die Bank nieder, so daß die Schüssel zwischen ihnen stand. Sie schaute vor sich nieder und vermochte nicht, ihre sonstige Schärfe wiederzufinden; die ungewohnte und unerwartete Weise, wie der Bursche sich benahm, verwirrte sie, und sie erwartete mit Neugier, was er ihr zu sagen vorhabe. Ihm aber schien es damit gar nicht zu eilen, wenn ihm auch mit dem Verlangen eines Frühstücks kein besonderer Ernst gewesen sein mochte, denn er genoß nur einige Löffel voll. Während dessen blickte er in das Innere der Hütte, stand dann auf und ging, als ob er da zu Hause wäre, hinein und kam mit der Cither zurück, die er auf dem Richtbrette über dem Herde liegen gesehen. Ohne die verwunderte Miene seiner Wirthin zu beachten, legte er sie auf das Knie und begann zu spielen, daß seine ungewohnte Fertigkeit bald ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.

In den Seitenblicken, mit denen sie ihn betrachtete, lag nichts mehr von jener Feindseligkeit, mit der sie sein Kommen gesehen; aus denselben sprach eher Verwunderung, daß sie ihn beim ersten Begegnen so abschreckend gefunden. Sie hatte ihn damals für einen alten Taugenichts gehalten, aber daran mußte die Entfernung und die Abenddämmerung schuld gewesen sein; denn jetzt fand sie von dem Allen nichts mehr vor. Zu den jungen Burschen, die sich sonst um sie bemühten, war er allerdings nicht mehr zu zählen; aber er machte den Eindruck eines tüchtigen Mannes, der auch, was Wohlgestalt betraf, nicht zu den Letzten gehörte, die halb kahle Stirn, über die sie am Tegernseer Festabende sich so lustig gemacht, gab ihm sogar etwas Keckes und Trotziges, und die furchtbare Narbe, die wie ein rothes Band über dieselbe lief, war keineswegs geeignet, diesen Eindruck zu verringern.

Allmählich leitete der Citherspieler von den bäuerischen Tänzen, die er zuerst angeschlagen, zu Gesangsweisen über und begann nach jener von Tegernsee zu singen. Es war, als wollte er seine siegreiche Gegnerin zu einem neuen Wettkampfe herausfordern – sie fühlte das durch und war keinen Augenblick verlegen, in denselben einzutreten. Die launigen Vierzeilen flogen bald wie neckende Bienen hin und wieder, und in dem Jodler am Schlusse vereinten sich ihre Stimmen so sicher und wohltönend, als wären sie jahrelang zusammengewöhnt. Die Lust am Gesange hatte bei Corona allmählich die letzten Bedenklichkeiten überwunden, so daß sie ihrer Stimme und Laune vollen freien Lauf ließ.

„Sacra!“ sagte der Bursche nach einer Weile. „Wir singen ja zusamm’, als wenn wir zusamm’ gehöreten. Deine Stimm’ ist schon gerad’ wie ein Glöckerl – oder nein, wie ein ganzes Glockengespiel; das klingt durcheinander, daß man nit weiß, wo man Ohren genug hernehmen soll zum Zuhören. Darüber hätt’ ich bald ganz drauf vergessen, was ich von Dir wissen will.“

Corona erröthete; auch sie hatte es vergessen.

„Es ist nur eine Frag’,“ begann er wieder, „auf die Du mir Antwort geben sollst oder einen guten Rath. Du bist so ein gewitztes Leut, daß ich vor keine bessere Schmiede gehen kann. … Du mußt wissen, mein’ liebe Rohnbergerin,“ fuhr er ernsthaft fort, „daß ich ein armer Kerl bin, und wenn ich, wie ich jetzt dasitz’, auf einen Baum hinaufsteig’, so hätt’ ich unten auf der Erden nicht viel mehr zu suchen. Ich bin noch ärmer als gar viele andere arme Leut’; denn ich hab’ niemals keine Heimath gehabt, hab’ von Vater und Mutter nix gewußt. Wie ich auf die Welt ’kommen bin, da ist der große Krieg gewesen; die Franzosen haben ihren König geköpft gehabt und sind zu uns ’rüber ’kommen. Da ist’s arg im Land zu’gangen, daß Alles, was können hat, sich in die Wälder und in die Berg’ geflücht’t hat. Da muß ich von einem Wagen herunterg’fallen und verloren gegangen sein; denn ich bin im Straßengraben gefunden worden, und nach dem Tage, an dem sie mich g’funden, haben s’ mich Quirinus geheißen und nach dem Orte, an dem ich gelegen bin, Grabner. Es hat auch nie ein Mensch nach mir gefragt – so hat mich die Gemeind’, in der ich gelegen bin, aufnehmen müssen, und ich bin im Huthaus bei der alten Hutfrau aufgewachsen. Nachher bin ich in der Kost herum’gangen, alle Tag’ bei einem andern Bauern, die oft selber nit genug g’habt haben – aber mir hat das Alles nix g’macht; ich bin doch aufg’wachsen und g’sund und stark ’worden wie ein Waldbaum. Da war’s grad um dieselbige Zeit, wo der Bonapartl nach Rußland hinein ist; man hat nicht genug Soldaten auftreiben können und nit lang’ gefragt, ob Einer schon die Jahr’ hat – da haben s’ mich auch zum Soldaten g’nommen, und ich hab’ nichts dawider gehabt; hab’ ja sonst auch nix vor mir gesehen und gewußt …“

Corona hatte schon bei Beginn der Erzählung mit Theilnahme zugehört. Diese wuchs mit jedem Worte; sie sah den Sprechenden nicht mehr blos von der Seite an, sondern wandte ihm das ganze Antlitz zu.

„Wie’s uns in Rußland gegangen ist,“ begann der Bursche wieder, „brauch’ ich Dir nit zu erzählen; Du wirst schon davon gehört haben. Wir sind dem Winter entgegengegangen, und wenn wir auch gerauft und dreingeschlagen haben wie die Bären, gegen die Kälten haben wir doch nichts ausrichten können und gegen den Hunger. Bei Polozk, wo die Franzosen uns im Stich gelassen und uns die Brucken vor den Augen abgebrochen haben, da haben die Meisten müssen in’s Gras beißen – mich hat ein Kosak mit der Lanze niedergerennt, daß mir das Kasket vom

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_673.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)