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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Auf unserm Bilde sehen wir vor der Kirche ein helles Haus mit einem platten Dache; das ist das sogenannte „Herrenhaus“, das ehemalige Schlößchen Graseck, das Steub sehr verwogen „ein altes Gefäß“ nennt. Es rührt vom Ende des Mittelalters her, wo die alten geharnischten Ritter ausgestorben waren und ihre Nachkommen von den Felsennestern herab in die bequemeren Thäler stiegen, in welchen zugleich ein neuer, von den Tirolerfürsten aus ansehnlichen Gewerks- und Kaufherren, gewichtigen Gelehrten und großen Künstlern erkorener Adel seine „Gefäße“ baute.

Dazumal lebte Caspar Graseck, des Erzherzogs Leopold Kammerhofbossirer, von dem (1628) die Reiterstatue seines Herrn auf dem Rennplatze zu Innsbruck herrührt. Caspar’s Sohn, Johannes Graseck, wurde Hüttenverwalter zu Brixlegg, „Herr von“ und Besitzer von Graseck, so daß er nach Steub’s gediegener Ansicht von da an ein gemachter Mann war. Schon er wäre demnach vollauf in der Lage gewesen, Das auszusprechen, was zweihundert Jahre später erst von einem Ritter der Gegenwart in die schönen Worte gefaßt ward: „Sie glauben nicht, welch’ schönes Gefühl es ist, von Adel zu sein.“

Nicht so weit brachte es ein anderer Brixlegger, Urban Mayr, obgleich er als ein „fröhlicher Hoftiroler“ mit dem Baiernkönig Max Joseph auf Du und Du stand. „Schon so oft bin ich bei Dir in Deinem Hause gewesen, wie wär’s, Herr König, wenn Du auch einmal zu mir kämest?“ sprach der Urban, und der Max sagte zu und bestellte sich Speckknödel. Und als der König kam, hatte Urban sein ganzes Haus so baierisch (Tirol war damals baierisch geworden) ausgeputzt, „daß die Nachbarn ihn für verrückt hielten“. Beim Essen fragte ihn der König, ob man im Ländel mit ihm zufrieden sei. „Mit Dir schon, aber nit mit Deinen Schreibern,“ antwortete Urban, und Max versprach, ihnen auf die Finger zu sehen. – Seinen Sohn Georg Mayr, einen seiner Zeit angesehenen Kupferstecher und Kartographen, haben unsere Leser im Jahrgang 1870, S. 60, auch als patriotischen Schriftsteller, als Biographen Speckbacher’s, des „Mannes von Rinn“, kennen gelernt. Brixlegg ist also reich an allerlei alten Ehren und läßt es auch an neuen nicht fehlen.

Ehe wir uns durch die Aussicht nach der Zillerthalseite hin verführen lassen, wollen wir erst mit unserer nächsten Nachbarschaft in’s Reine kommen: mit Rattenberg, dessen hohe Schloßtrümmer vor uns thronen und das man von Brixlegg aus in einer guten Viertelstunde erreicht.

Unsere Abbildungen (S. 503) zeigen, daß das Städtchen zwischen Inn und Schloßberg stark eingeengt wird; hinter dem Schloßberge steigt der Stadtberg so steil und hoch auf, daß er mehrere Winterwochen hindurch dem Städtchen den Sonnenschein verdeckt. Dem malerischen Straßenbilde schadet dies nicht, aber die arge Finsterniß im Innern der Häuser, für deren Herstellung die alten Rattenberger Baumeister das Aeußerste geleistet haben, findet dennoch dadurch noch einige Förderung. Viele dieser Häuser ragen mit ihrer Vorderwand weit über das durch sie versteckte Dach hinaus, was den Straßen ganz gut steht. Aber im Innern hört Alles, was Baukunst heißt, auf: da haben Lineal und Winkelmaß nirgends den geringsten Antheil an der Herrichtung der Hausfluren und Zimmer, Gänge und Treppen; kein Stockwerk gemeint’s gut mit den andern, Willkür, Bedürfniß und Thorheit haben in der Bauführung abgewechselt. Wen also derlei Bauwunderlichkeiten interessiren, für den ist Rattenberg der rechte Ort, wie es zugleich ein Bild vergangener Tage und auch einer sogenannten „guten alten Zeit“ ist. Wie oben bemerkt, brachte ehedem außer dem Bergbau das Fuhrwerk der alten Handelsstraßen und dann auch das sogenannte „Treibwerk“, das Ziehen der Schiffe auf dem Inn durch Pferde, Leben und Wohlstand in den Ort; Beides ist mit der Eisenbahn in alle Winde gefahren, und die Schachten sind längst verfallen.

Der Wanderer wird bald mit den Sehenswürdigkeiten fertig sein; vergesse er nur nicht, sich in der Hauptstraße das Geburtshaus der obersten Heiligen von ganz Tirol, der heiligen Notburga, zu betrachten, bei welcher wir auf der letzten unserer Burgen, Rottenburg, länger zu verweilen haben. Das Haus ist an den Abbildungen der von dieser Heiligen geleisteten Wunder leicht zu erkennen.

Ein wohlgebahnter und müheloser Pfad führt rasch hinauf zu dem Schloß oder der Veste Rattenberg, die ehedem aus zwei Burgen, einer oberen am Stadtberge und der unteren auf dem Schloßberge zusammengesetzt war. Von letzterer ragt zwischen mächtigen Basteien- und sonstigen niederen Mauertrümmern nur noch der Thurm empor, den unsere Abbildung zeigt. Hier ist die Stätte eines schweren Verbrechens: Wilhelm Biener, der „Kanzler von Tirol“, wurde hier auf Antrieb seiner Feinde fälschlich angeklagt und verurtheilt und am 17. Juli 1651 eiligst enthauptet, während der Bote mit seiner Begnadigung schon unterwegs war. Er war ein edler und wackerer, gelehrter und geistreicher Mann gewesen, der am Hofe der Claudia von Medici, Wittwe des Erzherzogs Leopold, die ungerathenen Mitglieder des Adels und Clerus nicht sanft behandelte. Um so wilder tobte sich ihre Rache aus, als mit dem jungen leichtsinnigen Nachfolger, Erzherzog Ferdinand Karl, das Schranzen- und Pfaffenthum zur Herrschaft gelangte. Bekannt ist die meisterhafte Bearbeitung dieses reichen Stoffes durch unsern Herman Schmid. Seinen geschichtlichen Roman „Der Kanzler von Tirol“ nennt L. Steub ein lebendiges, anziehendes Bild damaliger Zeiten, damaliger Männer und Frauen, das in Tirol so viel Beifall gefunden, daß es – und damit scheint er viel sagen zu wollen – sogar in Rattenberg eingedrungen sei.

Die Eisenbahn nach Brixlegg geht unter dem Schloßberge weg; auf der Brücke, auf welcher sie dann wieder an das linke Ufer des Inn übersetzt, hat man den schönsten Blick auf das Kaisergebirg und besonders auf die malerischen Hügel mit den Burgen Matzen, Lichtwer und Kropfsberg. Dahin machen wir uns nun auf den Weg und nehmen auch wieder den unterhaltendlichen Steub mit.

Derselbe versichert uns, daß Schloß Matzen, welches wir gleich hinter dem Dorfe auf einem gefällig ansteigenden Wiesenpfad erreichen, eigentlich der archäologische Angelpunkt der ganzen Gegend sei. So freundlich und malerisch das äußere Bild dieser Burg den Lebenden entgegengrüßt, so entschieden spricht im Innern „uns Alles vorzeitlich und längstvergangen“ an. Das Schloß wird nämlich von seinen jetzigen Besitzern noch erhalten, nur um um so sicherer zu verfallen: Dach und Fenster bewahrt man in schützendem Zustande, aber keine Seele bewohnt die weiten Räume; kein Ohr hört’s, wenn das vermorschende Gebälk ächzt und das Mauergebröckel niederrieselt. Das Unheimliche solcher Nachtgeräusche hat wohl den letzten „Matzenritter“, wie er gleich seinen Vorfahren vom Volke genannt wurde, aus dem ehrwürdigen Gemäuer vertrieben; er bewohnte es in seinen jungen Jahren und baute später am Fuße der Burg ein wohnlicheres Landhaus für sich und die Seinen. Im Mittelalter saßen hier die „Frundsberge“ als Herren, deren berühmtester Karl’s des Fünften Feldoberster war.

Vom waldigen Matzenbühel aus sieht man die Burgen Lichtwer und Kropfsberg vor sich liegen. Lichtwer soll vor alten Zeiten „Liechtenwerder“ (helles Eiland oder lichte Insel) geheißen, also dazumal mitten im Wasser gestanden haben. Jetzt erhebt sich der Burghügel aus breiten Wiesen und der Inn hat sich einen Büchsenschuß davon entfernt sein Strombett gewühlt. Seit dem 12. October 1766 verdient die Burg den Namen einer rechten „Wehr des Lichts“, denn in Lichtwer ist jener Ferdinand von Sterzinger[WS 1] geboren, welcher am genannten Tage, dem Namenstage des Kurfürsten Max des Dritten, als Theatiner zu München eine Predigt hielt über „das gemeine Vorurtheil der Hexerei“. Wie haben da die alten Weiber und frommen Männer Zeter geschrieen und heulend der Welt verkündet, daß Staat und Kirche zu Grunde gehen müßten, nun der ehrwürdige Glaube an Hexen so grausam erschüttert sei! Das war die That eines Ritters vom Geiste, der sein Jahrhundert ehrt.

Gar malerisch hebt Kropfsberg die grauen Trümmer seiner Mauern und Thürme über sein frisches Hügelgrün empor. Innen aber ist’s fürchterlich; in den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen, seitdem die Brandenberger Bauern im Jahre 1703 das einst so stattliche Schloß, in welchem die Herzöge Friedrich mit der leeren Tasche und Ernst einmal eine Versöhnung gefeiert hatten, mit Sturm und Brand vernichteten. – Unser nächster Gang führt uns nach Schloß Thurneck. Mitten durch den wunderschön gelegenen Burg- oder Schloßbau leitet die stets belebte Straße von der Eisenbahnstation Jenbach in das Zillerthal,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_681.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2021)