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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und das Schloß selbst, das nirgends etwas Ruinliches zeigt, stellt sich uns jetzt als ein Stift frommer Schwestern vor, und wer’s Glück hat, kann sie im Schloßgarten lustwandeln sehen.

Wir folgen der Zillerthaler Straße und wenden uns dann rechts, um

Schloß Lichtwer.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.

endlich zu unserer letzten Burg zu gelangen, zur Rottenburg, wo wir der heiligen Notburga zu Lieb’ längere Einkehr halten. Herr Püttner hat sein Bildchen von der von Brixlegg herführenden und im Thale unter der Burg dahinziehenden Landstraße aus aufgenommen; die Feldcapelle im Vordergrunde steht wirklich dort am Wege, und wer’s kennt, weiß es, daß selbst die ärgsten Ketzer unter unseren Malern ein solch heiliges Bauwerk nicht unbenutzt stehen lassen. Und dahinter, jenseits des goldenen Aehrensegens, ragt’s über dem Buchenwalde des Bühels wie zwei Thürme heraus. Steub fand in dem Getrümmer noch ein von einem sogenannten Baumann mit seiner Familie bewohntes Gelaß; von Notburga’s Kämmerlein wußte Niemand etwas. Und doch wäre die Burg mit ihrem Rittergeschlechte längst

Kropfsberg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.

vergessen, wenn die arme Magd nicht beiden zu legendenhafter Unsterblichkeit verholfen hätte. Darum ist’s gewiß nicht mehr wie billig, daß wir ihre sehr kurzweilige und doch noch so Vielen unbekannte Geschichte an dieser Stelle nicht unerzählt lassen.

In Rattenberg haben wir auf das Haus aufmerksam gemacht, in welchem 1267 Notburga als die Tochter eines Hutmachers geboren wurde, also keineswegs bei Schloß Rottenburg und als Kind gemeiner Eltern, wie Beda Weder zu Steub’s gerechter Entrüstung in seinem „Land Tirol“ auszusprechen sich unterstanden. Mit achtzehn Jahren trat Notburga als Köchin in den Dienst der Ritter von der Rottenburg. Das waren gar hochmögende Herren, die alle Heinrich hießen und viele Menschenalter lang sogenannte „Hofmeister von Tirol“ gewesen sind, bis der letzte derselben, genannt „der große Hauptmann von Kaltern“, welcher Herr von 99 Burgen war, an Stelle des Herzogs Friedrich mit der leeren Tasche Graf von Tirol zu werden gedachte. Da starb er eines unbestimmten, aber raschen und gewaltsamen Todes, 1411, und alle Herrlichkeit der Rottenburg hatte ein Ende – ehe noch die Glorie der Notburga recht angefangen hatte. Denn wenn das fromme Mädel auch arg unter der Hartherzigkeit ihrer Ritterfrau litt, so blühte doch ihr Heiligenruhm außerordentlich langsam im Verborgenen auf. Zunächst war es jedenfalls sehr verdienstvoll, daß sie wegen ihrer Wohlthätigkeit gegen die Armen, und weil sie diesen und nicht den herrschaftlichen Schweinen die Brosamen vom Herrentische vergönnte, aus der Rottenburg schimpflich entlassen wurde. Sie trat nun in Dienst bei einem Bauern in Eben auf einer Hochebene beim Achenthale; das Haus soll noch stehen und auch die Wiese, wo das erste große Wunder der Notburga sich zugetragen. Denn als einst ihr Bauer an einen Sonnabend Abend nach dem Gebetläuten auf’s Feld kam, Notburga beten sah und deshalb zornig ward und ihr Faulheit vorwarf, da schleuderte die fromme Maid ihre Sichel in die Höhe und ein Gotteswunder fügte es, daß sie in der Luft hängen blieb. Steub, der auch in ernsten Dingen manchmal keine unebenen Gedanken hegt, beklagt es mit Recht, daß diese Sichel nicht für immer in der Luft hängen geblieben sei, weil das doch für alle Schwergläubige die einfachste Ueberzeugung von dem Wunder wäre.

Seit Notburga die Rottenburg verlassen hatte, war dort das Unglück ein- und ausgegangen; als daher die böse Ritterfrau gestorben war, nahm der Ritter die ebenso fromme als schöne Notburga wieder zu sich, und sie verbreitete Glück und Segen um sich, bis sie 1313 starb. Da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_682.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)