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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Drum wird sie eine Sängerin und kriegt tausend Gulden und darf nur die Finger rühren und bloß verlangen, was sie will.“

„Corona, es ist nit wahr,“ sagte Quirin ergriffen. „Sag’, daß’s nit wahr ist! Es ist ja unmöglich.“

„Warum sollt’s unmöglich sein?“ rief Corona gereizt. „Du glaubst wohl, ich könnt’ das nit zuweg’ bringen?“

„Es ist unmöglich,“ sagte Quirin, „weil Du nit geschaffen bist für so was. Schau, ich weiß nit viel vom Stadtleben und versteh’ gar nichts von der Komödie; aber ich mein’, es wär’ schad’ um Dich. Du kommst mir vor wie ein Almrösel; das blüht so schön, wo’s hingehört, wo’s daheim ist – auf’n Bergen, in der frischen, freien Luft. In einem Garten, und wenn er noch so schön wär’, da geht’s zu Grund’. Schau, laß Dich nit versetzen, Du Almrösel, Du schön’s! Bleib’ auf Deinen Bergen – bleib’ daheim!“

Clarl brach in Lachen aus, in das Corona, wenn auch nicht ebenso laut, einstimmte, das aber doch hinreichte, die Stimmung des Burschen, die erst weich gewesen, in den Gegensatz grimmiger Erbitterung umschlagen zu lassen.

„Du lachst?“ rief er. „Ueber mich? Lach’ über Dich selber, Du gutherzig’s Ding, das in seiner Eitelkeit nit begreift, wie die Stadtleut’ nur ihren Spaß mit Dir haben! Weil Du ein paar Schnaderhüpfl singen kannst, bildest Dir ein, Du könntest eine Sängerin werden? Das ist gerad’, als wenn man Birn’ brocken wollt’ von einem Lindenbaum. Auslachen werden s’ Dich – denk’ an mich! Es ist nit Deine Art.“

„Weißt das so gar gewiß?“ unterbrach ihn Corona, durch den Spott erbittert. „Und wenn ich’s zuvor nit im Sinn g’habt hätt’, jetzt ist’s b’schlossen wie mit einem eisernen Schloß; – jetzt will ich Dir zeigen, daß ich kann, was ich will.“

Der Bursche schien noch etwas erwidern zu wollen; dann wandte er sich, wie bei seinem ersten Entfernen, kurz ab, als verlohne es nicht der Mühe, noch ein Wort zu verlieren, drückte den Hut fest auf den Kopf und ging durch den Anger der abwärts führenden Bergstraße zu. Aus der Ferne noch erscholl sein Gesang:

„Klopf’ an und klopf’ an
Und fahr’ ab und fahr’ ab!
Was i’ krieg’, weiß i’ nit;
I’ weiß nur, was i’ hab’.“

„Geh’ nur zu!“ rief ihm Clarl nach. „Und damit Dich nit zu kümmern brauchst, nimm Deinen Vogel mit Dir!“

Damit öffnete sie das Thürchen des Käfigs, durch das der Vogel im Nu entwischte. Der unerwarteten Freiheit froh, stieg er mit schmetterndem Lustgesang gerade auf in die Höhe. Corona sah schweigend in den mondlichten und doch umschleierten Abend hinaus. Die Gefährtin aber sang mit weit schallender Stimme:

„Auf die Höh’ da geht’s langsam,
Aber lüfti’ bergab;
Hinauf da heißt’s kraxeln
Und hinunter: Fahr’ ab!“

Noch nicht lange war der letzte Ton ihres Jodlers verklungen; der Mond stand senkrecht über den Almen. Sie lauschten, ob keine andere Antwort auf das Lied erfolge als die des Wiederhalls. Es kam keine. Dafür krachte nach einiger Zeit ein Schuß in der Tiefe; der Wiederhall trug ihn verzehnfacht dahin durch die aus dem ersten Schlummer aufschreckende Nacht.




3. Was i’ krieg’, weiß’ i’ nit.


Im Theater am Isarthor zu München war Alles schon Morgens in voller, hastiger Thätigkeit; es galt die Hauptprobe eines Stückes, das zwar nicht zum ersten Male, aber doch mit allerlei Aenderungen gegeben werden sollte. Es war die Zauberposse „Der Geist im Hofgarten“, in welchem der Director und Komiker Carl, der Liebling der Münchner, diesen ein Stück aus ihrem Leben voll örtlicher Anspielungen und Späße geschrieben – war er doch mit der Stadt, deren Bewohnern und ihren Eigenheiten vollkommen vertraut und wußte seine Witz-Raketen und Knallschläge immer so einzurichten, daß sie nie wirkungslos verpufften.

Der Vorhang der Bühne war aufgezogen, diese selbst nur mit wenigen Oellampen beleuchtet, eben genügend, um das Dunkel in schwache Dämmerung umzuschaffen und in den leeren Zuschauerraum noch undurchdringlichere Schatten zu breiten; nur ein an diese Art von Beleuchtung gewöhntes Auge vermochte in demselben die matten Umrisse der Logenreihen und Parterresitze zu erkennen. Zu den Seiten der Bühne standen hohe Wald-Coulissen, und die Zimmerleute waren eben beschäftigt, Versatzstücke aufzurichten und aus ihnen den Vorgrund einer Berglandschaft zusammenzustellen. Im Widerspruche damit hing im Hintergrunde ein Vorhang mit einem stattlichen Burggewölbe herunter, das noch von dem Ritterstücke des vorigen Abends zurückgeblieben. Voran am Bühnenrande hockte, wie der Eingang eines Schachtes, der Kasten des Souffleurs; die Lampe desselben flimmerte matt daraus hervor wie das Grubenlicht eines Bergmannes. Unweit davon standen Stuhl und Tisch, und auf diesem brannte eine Oellampe, die ihren Schein über ein breites aufgeschlagenes Buch mit verbogenen und verstrichenen Blättern warf. An demselben vorüber, die Rampe entlang, schritt ein stattlicher Mann hastig hin und wieder und zog manchmal mit einer Geberde der Ungeduld seine Taschenuhr heraus. Die Zeit zum Beginn der Probe war nahe; aber die Schauspieler schienen säumig; in den Coulissen-Lücken wurde nur hie und da ein einzelner Schatten sichtbar.

Jetzt begann das Gewölbe des Hintergrundes sich zu heben, und statt desselben öffnete sich die dämmernde Aussicht in eine tiefe Berggegend, in weiter Ferne abgeschlossen mit der Aussicht auf einen See und das um ihn gelagerte Hochgebirge. Es war die ganze Tiefe der Bühne verwendet, denn der kundige Director liebte es, seinen Zuschauern solche Ueberraschungen zu bereiten: geschah es doch nicht selten, daß auch der hinter dem Theatergebäude liegende Garten noch zum Spiele hereingezogen wurde, um, wie im „Graf Waltron“, Schlachten und Gefechte von ganzen Compagnien oder Reiter-Schwadronen aufführen zu lassen.

Der Wandler an der Rampe stand still; es schien ihm willkommen, etwas zu finden, woran er den wachsenden Unwillen auslassen konnte.

„Aber in Dreiteufelsnamen, Herr Sußbauer!“ rief er im breitesten und unverfälschtesten Tone eines echten Münchener Kindes. „Was treiben S’ denn? Lassen S’ doch den Prospect hängen! Es ist ohnedem kalt genug auf dem verfluchten Theater; es scheint, der Heizer hat wieder einmal den Schlüssel zu der Holzkiste verloren.“

Der angerufene Maschinist hielt augenblicklich inne, daß das Gewölbe mit seinen Säulen frei in der Luft baumelte. „Der Herr Director will die ganze Scene sehen,“ rief er entgegen, „er kommt mit dem Herrn Burnickel, dem Maler, herunter, – er hat ja eine neue Almhütte dazu gemalt. Also muß ich den Prospect doch aufziehen.“

„Die große Bergdecoration wegen der einzigen Scene!“ lachte der Regisseur ärgerlich. „Was das für Geschichten sind!“

„Aber Sie wissen ja, Herr Regisseur,“ entgegnete Sußbauer, „daß in der Scene die neue Sängerin zum ersten Male auftritt.“

Der Regisseur lachte noch grimmiger. „Das muß ich sagen! Das lohnt der Mühe, so viel Umstände zu machen wegen der Bäuerin, der ungehobelten, aus der doch in Ewigkeit nichts wird – sagen Sie, ich hab’s gesagt! Ich heiße Schneider.“

Der Maschinist konnte nichts erwidern, denn aus den Coulissen trat bereits der Theatermaler Burnickel zu ihm, und aus der dunklen Tiefe des Zuschauerraumes erscholl die Stimme des Directors, der sich dort bereits eingefunden hatte, um die Wirkung der Decoration aus gehöriger Entfernung zu beurtheilen.

„No, no, Herr Regisseur!“ rief er. „Sind Sie wieder einmal im Zug? Ich bitt’ mir’s aus, daß über Mitglieder und Gäste nicht räsonnirt wird, sonst kommt der § 27 zur Anwendung, und Sie haben um fünf Gulden zu viel gehabt.“

„Ich räsonnire nicht, Herr Director,“ antwortete der Regisseur, während Carl durch eine kleine, im Orchester angebrachte Thür unter der Bühne verschwand und dann auf dieser neben dem rothen Harlekinmantel zum Vorschein kam. „Aber als Regisseur muß mir doch erlaubt sein, meine Meinung zu sagen.“

„Das versteht sich,“ entgegnete Carl. „Aber die Meinung gehört in mein Sprechzimmer hinauf und nicht auf das Theater und schon gar nicht auf die Hauptprobe. Wenn’s das Mädl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_689.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)