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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die Anstelligkeit und listige Geschäftigkeit der Orientalen, dem Liebhaber jedes irgend gewünschte Alterthum zu liefern, es, wenn er skeptisch ist, vor seinen Augen auszugraben und das alterthümliche Aussehen so täuschend nachzuahmen, daß ein gewiegter Kenner dazu gehört, den Betrug zu durchschauen. Eine solche Leistung interessirter Orientalen ist denn auch höchst wahrscheinlicherweise die angeblich im Jahre 326 erfolgte Auffindung des Kreuzes Christi in Gegenwart der heiligen Helena, der Mutter Constantin’s, gewesen, wenn die Geschichte nicht gar blos eine der üblichen Mönchsfabeln zur Auffrischung des Glaubens ist. Denn was die Erzählung höchst verdächtig macht, ist, daß kein gleichzeitiger Schriftsteller des Fundes erwähnt. Der berühmteste Kirchenschriftsteller jener Zeit, Eusebius († 340), der die Kreuzerscheinung Constantin’s so ausführlich beschreibt, übergeht die wunderbare Kreuzfindung mit Stillschweigen; ein ungenannter Pilger aus Bordeaux, der nur sieben Jahre später (333) die Stätten der Leiden Christi besucht und ausführlich beschrieben hat, weiß kein Wort von dem neuerdings gemachten hochwichtigen Funde.

Erst mehr als fünfzig Jahre später, um die Zeit des Todes der Kaiserin-Mutter, treten die ersten Mittheilungen auf, und mögen nun die bezüglichen Nachrichten und Reden des heil. Cyrillus, Ambrosius, Rufinus u. A. echt oder untergeschoben sein, bezeichnend genug für den mystischen Charakter der Angelegenheit ist schon ihre abweichende Darstellungsweise. Der heil. Ambrosius, welcher das Wunder 395 in einer officiellen Leichenrede (auf Kaiser Theodosius) verherrlichte, läßt das Kreuz Christi sogleich an der auf demselben befindlichen und jetzt theilweise in Aachen gezeigten Inschrift von den beiden anderen unterscheiden. Die Kirchenhistoriker Rufinus und Sozomenos berichten dagegen, die Tafel sei abgerissen gewesen, und man habe durch das bekannte physikalische Experiment mit der kranken Frau, die auf dem Missethäterkreuze kränker, auf dem des bekehrten Sünders etwas besser und auf demjenigen Christi ganz gesund wurde, die Sache entscheiden müssen. Wie wunderbar, daß sich von dem Galgenwalde Golgathas gerade diese drei Kreuze, die doch ebenso wenig mit Quecksilber durchtränkt waren, wie die anderen, allein dreihundert Jahre lang im Schutte unvermodert erhalten haben! Von dem Kreuze Christi wäre das der gläubigen Zuversicht angemessen, denn das Holz dazu ist nach alter Sage im Paradiese gewachsen und schon im Tempel Salomonis als Bauholz verwendet gewesen, allein das Kreuz des starren Sünders verdiente doch gewiß kein Privilegium gegen die Holzmaden.

Das Kreuzholz des gläubigen Schächers thut natürlich Wunder wie dasjenige Christi selber, und in dem Aachener Stifte wie anderswo fehlt auch nicht Holz vom Kreuze des „heiligen Räubers“, wie ihn der christliche Festkalender nennt. Soll ich eine Hypothese wagen, die alle diese Sonderbarkeiten und Widersprüche der Kreuzfindungsfrage erklären würde, so ist es folgende.

Im Jahre 326, als Helena das heil. Grab besuchte, hatten die Hüter desselben ihr zu Ehren eine kleine Ueberraschung vorbereitet. Man fand „ganz zufällig“ in ihrer Gegenwart die drei Kreuze. Allein bei der Ausgrabung und den dazu gehörigen obligaten Wundern kamen einige Schnitzer und Unregelmäßigkeiten vor; es wurde aus der Schule geschwatzt, und das Mysterium endigte als mißglückter Puff. Die Spötterei der Augenzeugen erklärt am besten, weshalb sowohl Eusebius wie der Pilgrim von Bordeaux es für das Beste gehalten haben, über die Geschichte zu schweigen. Fünfzig Jahre später, als die Mitwisser und Augenzeugen todt waren, konnte man ungescheut Sache und Personen mit den Heiligenscheinen versehen, welche den Augen der Mitlebenden fast immer verborgen bleiben.

Mag es sich nun hiermit übrigens verhalten, wie es will, Thatsache ist, daß am Ende des vierten Jahrhunderts bereits über alle Welt Splitter vom „wahren“ Kreuze Christi verbreitet waren. Jeder Christ, der es bezahlen konnte, suchte damals, wie der heil. Chrysostomus erzählt, ein kleines Stück desselben zu bekommen, um es, mit Gold und Edelsteinen eingefaßt, als sogenanntes Pectoralkreuz am Halse oder auf der Brust zu tragen, das beste Schutzmittel und Amulet gegen jede böse Anfechtung. Das Stift in Aachen hat nahezu ein Dutzend solcher Splitter zum Theil ansehnlichen Umfangs zusammengebracht, jedenfalls in der Voraussetzung, daß, wenn der eine vielleicht nicht ganz echt, doch der andere es sein könnte. Merkwürdig genug wurde der Stamm des Kreuzes zu Jerusalem dadurch nicht kleiner, und schon im vierten Jahrhundert machte der Presbyter Paulinus, dieser kleine Schäker, den Witz, es wachse vermöge seiner Heiligung und Unsterblichkeit immerfort nach, also um so schneller, je mehr man davon abschnitt. Dürfte man mehrere Stücke, z. B. blos die des Aachener Schatzes, mikroskopisch untersuchen, so würde man vielleicht alle Holzarten des Morgen- und Abendlandes finden, bis auf das durch Hutten’s Krankheit und Buch berühmt gewordene Guajakholz aus Amerika, welches eine Zeitlang als „heiliges Kreuzholz“ besonders gefeiert wurde. Die oft sehr humoristische Legende berichtet denn auch, daß das Kreuzholz aus drei verschiedenen Baumarten „zusammengewachsen“ sei.

Neben dem Klaftern und Schiffsladungen verschlingenden heiligen Holzhandel zu Jerusalem wuchs das Geschäft mit alten Knochen und Lumpen allmählich zu einer staunenswürdigen Höhe. Die Orientalen und Anwohner der heiligen Stätten müßten ja Engel gewesen sein und den ihnen angeborenen Handelstrieb gänzlich erstickt haben, wenn sie von dem Wahnsinne und der Reliquiensammelwuth des Abendlandes nicht hätten den entsprechenden Nutzen ziehen wollen. Man bot ihnen ja, was sie irgend fordern konnten.

Wie auf der Wiener Weltausstellung türkische Händler (Mohamedaner) ein glänzendes Geschäft mit Rosenkränzen, Kreuzen, Sträußen und anderen Reliquien aus dem heiligen Lande machten, wie zu Berlin das Hauptgeschäft mit Christus- und Marienbildern sich in den Händen mosaischer Trödler (am Mühlendamme) befindet, so scheuete man sich damals noch viel weniger, Reliquien von Andersgläubigen zu kaufen. Ich erlaube mir hier keine Kalauer: das berühmteste Heiligthum des Aachener Kleiderschranks, das Kleid, in welchem die Gottesmutter den Weltheiland gebar und welches an der Brust mit Milchflecken beschmutzt ist, leitet sich aus einer so verdächtigen Quelle her. Freilich wurde es, wenn dieses Gewand dasselbe ist, von dem ein alter Kirchenschriftsteller berichtet, der Judenfamilie, die es mit größter Andacht auf einem Dorfe in Galiläa verehrte und den Gläubigen (ohne Entrée?) ausstellte, um’s Jahr 451 von zwei ehemaligen Arianern, nicht abgekauft, sondern gestohlen. Es wurde nämlich als ein großes Verdienst angesehen, Reliquien zu stehlen, wenn sich dieselben in den Händen der Ungläubigen befanden, seien es auch solche gläubige Ungläubige, wie diese Juden.

Unsere bekehrten Arianer ließen sich in Jerusalem ein Kästchen anfertigen, dem ganz ähnlich, in welchem die Reliquien den Pilgern gezeigt wurden, kehrten, dasselbe unter dem Mantel verbergend, zurück, bewerkstelligten den Tausch mit geübter Hand und kamen mit ihrer Beute wieder nach Byzanz, wo sie Kaiser Leo mit seiner Gemahlin Verina selig pries und ob der großen That mit fast „abgöttischen Ehren“ überhäufte.

Ob später vielleicht Agenten der lateinischen Kirche das Heiligthum der oft verfluchten griechischen Secte nochmals auf demselben anstandslosen Wege „abgeschenkt“ haben, um es in der würdigeren Reliquienkammer zu Aachen beizusetzen, ist unbekannt; die Geschichte ist aber ein köstliches Musterstück für Tractätlein. Wir werden im folgenden Aufsatze sehen, daß die Principien des Reliquienhandels im Allgemeinen diesem Probestücke gleichen und daß Kirchenlichter mit cynischer Offenheit erklären, daß Betrug und Schwindel den Werth und die Wirksamkeit der von der Kirche geweiheten Reliquien nicht beeinflussen können.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_710.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)