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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

einen bösen Handel gemischt, Spötterl!“ sagte er. „Da kann ich Dir noch nichts versprechen; das geht die Gerichte an; denen darf und will ich nicht vorgreifen. Aber Wort muß ich halten. Also will ich vorerst Deinen Schützling sehen und überlegen, was zu thun ist.“ Er hieß die Zagende ihm folgen und schritt mit ihr den Berg herab, dem Landgerichte zu.

In diesem herrschte schon große Thätigkeit; der Landrichter und der Actuarius waren vollauf beschäftigt, den Raubschützen zu verhören und alle die einzelnen Wilddiebereien festzustellen, die ihm schon seit Jahren zur Last gelegt wurden. Auch der Forstmeister hatte sich eingefunden, um seinen etwaigen Gedächtnißlücken nachzuhelfen. Aber es bedurfte dessen nicht; Quirin hatte sich alles Widerstandes, den er doch für überflüssig hielt, begeben und erzählte ohne Rückhalt, was man von ihm zu wissen begehrte. Alle waren im vollsten Amtseifer, als die Thür sich öffnete und der oberste Gerichtsherr des Landes in eigener Person erschien und den überraschten Beamten erklärte, daß er den berüchtigten Wilderer, von dem er so viel gehört, selber in Augenschein nehmen wolle.

Hinter ihm, im Winkel der Thür stand Corona. Niemand bemerkte sie, da Alles nur auf den König sah. Quirin allein erspähete sie sogleich; sein Blick traf den ihrigen, aus dem ein Strahl der Hoffnung blinkte; mit der Hoffnung kam auch die Lust des Lebens wieder und mit der Lebenslust seine alte Geradheit und Offenheit.

Fest und doch nicht keck stand er vor dem König und erzählte ihm auf sein Verlangen von seiner Geburt und Jugend, von den Leiden, die er ausgestanden, und wie er in seiner gänzlichen Verlassenheit dazu gekommen, aus Noth zum Wildern zu greifen, wie ihm aber sein Leben lang niemals so wohl gewesen, und er sich nirgends so daheim gefühlt, wie im Walde – wie er den Leibhirsch in der Nacht und in der Entfernung nicht erkannt, sondern für einen wilden gehalten, und wie er keineswegs im Sinne gehabt, dem Russen ein Leides zu thun, sondern wie er ihm nur handgreiflich zeigen wollte, daß er Macht gehabt hätte über ihn. Er erzählte die Veranlassung seines Hasses gegen den Baron und versicherte, daß er das Wildern seitdem schon aufgegeben und sich von der Arbeit und herumziehenden Handelschaft genährt, auch fest vorgehabt habe, nicht wieder in das alte Leben zurückzufallen.

Theilnehmend hatte der König zugehört. „Das kannst Du leicht sagen,“ entgegnete er dann. „Wer bürgt mir aber dafür, daß das Dein Ernst ist?“

„Die Bürgschaft hast Du mir selber mitgebracht, Herr König,“ sagte Quirin bescheiden. „Laß Dir von dem Madl den Zettel geben, den sie schon vor einem halben Jahr von mir ’kriegt hat. Ich hab’ mich selber angeben wollen; das ist wohl der beste Beweis.“

Der König überflog das Blatt und sah dem Burschen fest in’s Gesicht. „Und das ist Dein wirklicher Ernst?“ sagte er. „Und das Mädl hat das Blatt so lang aufbewahrt und nicht benützt? Das gefällt mir von ihr. Nun sag’ mir aber, Du wilder Kerl, was ich mit Dir anfangen soll!“

Da lachte Quirin, daß unter dem Schnurrbart die weißen Zähne sichtbar wurden. „Ja, wenn Du mich fragst, Herr König,“ sagte er, „bin ich nit verlegen um die Antwort. Wenn Du den Wildschützen für alle Zeit los sein willst, so mach’ einen tüchtigen Jäger daraus! Der Herr Forstmeister kann’s bezeugen, daß ich ihn schon im vorigen Jahr darum angegangen hab’.“

Der Forstmeister bestätigte das und pries sich glücklich, daß er nicht darauf eingegangen, den Bock zum Gärtner zu machen. „Der Bursche würde als Jäger schön unter dem Wildstande aufgeräumt haben,“ meinte er.

„Was meinst Du dazu?“ sagte der König, indem er den Blick forschend auf Quirin richtete. „Hättest Du das gethan?“

„Ah, bei Leib’! Niemals nit,“ rief dieser. „Wirst mich doch nit für einen so schlechten Kerl halten? Ich bin all’ mein Lebtag’ ein richtiger Bursch gewesen.“

„Ja wohl, wir haben die Proben davon gesehen,“ sagte der König mit wohlwollendem Lächeln. „Aber ich will’s mit Dir versuchen. Ich hab’ dem Spötterl erlaubt, sich von mir etwas auszubitten; sie hat Deine Begnadigung verlangt, – also muß ich wohl Ja sagen. Herr Forstmeister, wir wollen’s mit dem Gamstod versuchen; er soll Jagdgehülfe sein in Ihrem Revier, und dem braven Mädl da soll der Preis ausgezahlt werden; sie hat ihn verdient, weil sie ihren Wildschützen so tapfer verschwiegen hat. Hab’ ich’s nun recht gemacht?“ fuhr er gegen Quirin gewendet fort, der, seinen Ohren nicht trauend, vor ihm auf beide Kniee niederplumpte und ihm den Frackschooß küßte. „Steh’ nur auf und halte Dein Wort! Die Küsserei, denk’ ich, ist bei dem Mädl da besser angebracht. Ich meine, sie hat es verdient um Dich.“

Mit freundlichem Gruße trat er aus dem Gebäude und ließ die Beamten zurück, erfreut und gehoben durch den neuen Beweis der Milde des besten Herzens, Quirin und Corona aber, in einem Meere von Freude hin- und wiedertreibend, das plötzlich wie ein Wolkenbruch auf sie herabgestürzt war. Als sie gingen, mußte der Actuarius dem Burschen nachrufen, daß er seinen Hut vergessen habe – so sehr hatte er den Kopf verloren.

Nun ließ auch die Hochzeit nicht lange auf sich warten. Oben gegen die Neureit hin war ein Häuschen feil (das seitdem und noch lange nachher „zum Jäger“ hieß); das wurde gekauft und eingerichtet, und nach wenigen Wochen führte der königliche Jagdgehülfe Quirinus Grabner das Spötterl von der Gindelalm in sein jägerhaft eingerichtetes Haus. Ganz Tegernsee, die umliegenden Dörfer und Bergthäler, alle sandten Gäste zu der Hochzeit des Paares, das sich so seltsam gefunden, noch mehr aber dem edlen König zu Ehren, der einem verlorenen Menschen wieder aufgeholfen und ihn der Gesellschaft zurückgegeben. Das Hochzeitsmahl wurde bei dem dicken Bäcker am Albach gehalten, und als man eben aus der Kirche von der Trauung dahinzog, kamen noch zwei Gäste aus München angefahren – der Pianist, der sein entflattertes Spötterl noch immer in freundlichem Andenken hielt, und Frau Carl, die liebenswürdige Künstlerin, die ihr schönes Herz drängte, dem Mädchen Glück zu wünschen, das die bescheidene Bahn eines stillen Glückes einer vielleicht glänzenderen vorgezogen. Sie brachten einen herrlichen Doppelstutzen mit, ein Geschenk Worinoff’s mit einem Briefe, worin er dem Bräutigam Glück wünschte und ihn bat, die einstige Jugendübereilung, die er längst selber bereut, zu vergessen.

Als Corona ihr neues Heim betrat, fand sie am Fenster einen Vogelkäfig hängen; in ihm saß ein munteres Spötterl, das sie beim Eintritt wie absichtlich mit lautem Freudengeschmetter begrüßte.

„Grüß Gott, Camerad!“ rief sie darauf hineilend. „Dich will ich schon besser hüten, als Deinen ersten Gesellen.“

„Und ich Dich,“ sagte Quirin, sie umfassend. „Es hat so viel Hitz’ gekost’t, bis ich Dein Nestl gefunden und Dich eingefangen hab’. – Jetzt sperr’ ich Dich in das Häusl da ein und das Glück mit Dir, und werd’ wohl Acht geben, daß es nit davonfliegt.“

– Und es flog nicht davon. – Lange Jahre blieb es heimisch, als das kleine schmucke Jägerhaus schon mit ein paar Buben und Mädchen bevölkert war, die unter Clarl’s Obhut gedeihlich heranwuchsen. Die alte treue Freundin hatte sich auch da eingesiedelt. Sie war zufrieden; waren auch ihre hochfliegenden Pläne mit Corona gescheitert, so hatte sie doch noch einen „Angestellten“ zum Manne bekommen, der in der grünen, goldgestickten Uniform gar stattlich aussah. Quirin Grabner, der frühere Gamstod, hielt sein Versprechen. Der Forstmeister mußte zugestehen, daß er nie einen so eifrigen und unermüdlichen Gehülfen gehabt. Er besiegelte auch seine Diensttreue mit seinem Blute; einmal wurde er im Walde gefunden, todt, die Kugel eines Wildschützen in der Brust.

Damit endet auch die Geschichte vom Spötterl.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_724.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)