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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Israel in Tunis.



Zu den unbekanntesten Weltwinkeln gehört für den Europäer ohne Frage auch das durchaus nicht uninteressante Tunis, obgleich seine Entfernung vom südwestlichen Sicilien auf einer längeren Seespazierfahrt leicht zu überwinden ist; aber die große Heerstraße geht für die Afrika-Reisenden eben über Alexandrien und Cairo, und nur Wenige verirren sich nach dem entlegneren Tunis.

Ich werde vielleicht in einem späteren Artikel einmal Gelegenheit nehmen, die Gartenlauben-Leser mit den charakteristischen Eigenthümlichkeiten dieser echt-orientalischen Stadt bekannt zu machen. Heute will ich mich nur mit den Juden in Tunis beschäftigen, welche dort einen wesentlichen Bestandtheil der Bevölkerung bilden. Während die maurische Einwohnerschaft in Tunis, Algier und Marokko immer mehr abnimmt und in einigen Jahrhunderten vielleicht ganz ausgestorben sein wird, wächst die Zahl der Israeliten dort von Jahr zu Jahr. Seitdem neue Reformen eingeführt sind und der Jude mehr als früher den Schutz der Gesetze genießt, ist er mächtiger und stärker geworden. Gegenwärtig leben in der Stadt Tunis über dreitausend Juden; dieselben haben den größten Theil des dortigen Handels in den Händen. Vor wenigen Jahren noch waren sie nur die Geduldeten und mußten sich von der mohamedanischen Bevölkerung alles Mögliche gefallen lassen. Jeder Jude, und mochte er noch so wohlhabend sein, mußte jedem Mohamedaner, und war es selbst der lumpigste Kerl (Marokkaner oder Neger oder Beduine oder Kabyle), auf der Straße ausweichen; er hatte aufzustehen, wenn der Mohamedaner sich setzen wollte, durfte von jedem Kerle angespieen und mißhandelt werden und konnte nur in seltenen Fällen, und dann meist nur durch Bestechung, sein Recht erlangen. Ein Jude, wollte er zum Mohamedanismus übergehen, wurde gezwungen, erst Christ zu werden, eine Satzung, welche noch heute in Kraft sein soll.

Durch die modernen Reformen, die der vorige Bey eingeführt – wohl unter dem Schutz der Europäer – ist der Jude freier geworden und braucht sich die obengenannten Mißhandlungen nicht mehr gefallen zu lassen. Trotzdem ist er dem Dünkel der Mohamedaner gegenüber noch immer ein gründlich verachteter Mensch, noch weit mehr verachtet und gehaßt als der Franke, der Europäer oder, wie der Araber den Fremden nennt, „der Rumi“, das heißt: der Christ oder der Römer.

Wie mir vielfach versichert wurde, sollen aber die tunesischen Juden in der That moralisch weit herabgekommen sein und tiefer stehen als ihre Stammesgenossen in andern orientalischen Ländern. Von sechs Juden befindet sich in Tunis stets nur einer in bessern Verhältnissen; die fünf andern schlagen sich auf alle mögliche Weise durch, um ihr Leben nothdürftig zu fristen. Da sie mit den Malthesen, der von Malta stammenden Bevölkerung, den Verkehr zwischen Mohamedanern und Franken vermitteln, haben Viele sich gewissermaßen emancipirt, die Lebensweise der Europäer im Aeußeren nachgeahmt und Manches von ihrem orientalischen Charakter aufgegeben. Doch lebt die größte Anzahl noch in Sprache und Sitten nach arabischer Weise, die Religionsgebräuche ausgenommen, die sie starr und unveränderlich dem Buchstaben nach befolgen. Als z. B. ein jüdischer Dolmetsch, den wir auf einem längern Ausfluge in’s Land mitgenommen hatten, mit seinen Lebensmitteln zu Ende war und wir ihm alles Mögliche an Eiern, Käse, Brathuhn etc. anboten, nahm er nichts an, weil die Speisen nicht nach seinen Religionsgesetzen bereitet waren. Sein Herr, ein Kaufmann, wurde darüber zornig und drohte ihm mit Dienstesentlassung – der Jude aber blieb starr und genoß zwei Tage lang gar nichts, bis er Stammesgenossen antraf und sich wieder mit „Koscherem“ versehen konnte.

Die Lebensweise des tunesischen Juden ist, wie gesagt, äußerlich der maurischen ähnlich. Sein Haus ist fast ganz so gebaut und eingetheilt, wie die maurischen Wohnstätten. Ein kleiner, niedriger Steinbau, mit weißer Tünche überstrichen, hat es auf der Gassenfront nicht den geringsten Schmuck, nur ein paar Fensterlöcher und eine niedrige Thür, Alles von arabischer Bauart. Das Familienleben in solchen kleinen Steinhütten, wie in den größeren Gebäuden, concentrirt sich im Hofraume, der vom Gebäude rings umschlossen ist. Auf diesen Hofraum hinaus münden die einzelnen Kammern mit Fenster und Thür. Im Hofraume wird Feuer gemacht und gekocht – hier überhaupt bringen die Leute ihr Leben unter freiem Himmel zu, entweder eine Familie oder mehrere beisammen. Die kleinen niedrigen Zimmer werden blos zur Nachtzeit benützt. Die reicheren Juden in Tunis leben meist in italienisch gebauten Häusern, wie der beigegebene Holzschnitt ein solches vergegenwärtigt. Das Haus hat große Fenster, die keine Brustwehr haben, bis zum Fußboden offen (wie Thüren), mit Eisengitter verschlossen und gegen Sonne und schlechtes Wetter mit Matten überdeckt sind. Der Europäer, welcher mit Juden Geschäftsverbindungen hat oder sonst befreundet ist, hat Zutritt in ein Judenhaus. Auf wiederholtes Klopfen wird ihm aufgethan und er in das Haus eingeführt. Auf das Klopfen hin sind alle weiblichen Wesen im Hause verschwunden, kommen aber gewöhnlich nach und nach zum Vorscheine, wenn sie sehen, daß der Hausherr seinen Gast ehren will oder mit demselben befreundet ist.

In ein arabisches oder maurisches Wohnhaus zu dringen, ist dem Europäer nur in wenigen Fällen möglich. Kommt ein Nachbar, ein guter Muselmann, auf Besuch, so verschwinden die Frauenzimmer in die Wohnräume und sind während der Dauer des Besuches unsichtbar. Alle Fenster, selbst diejenigen, welche auf den Hof münden, sind klein und eng vergittert. Die Handelsgeschäfte werden überhaupt nur im Bazar abgemacht, dem sogenannten „Tuck“. Dort hat jeder Geschäftsmann und Handwerker seine Bude und offene Werkstatt.

In der männlichen Kleidung sind die Juden ähnlich den Mauren, nur daß sie nicht dieselbe Freiheit in der Farbenwahl haben, wie die Moslemins. So darf der Jude über seinen Fez (der rothen Kappe) keinen anderen Bund (Turban) tragen als einen schwarzen oder dunkelblauen. Die Kleiderstoffe sind meist hellblau, grau oder schwarz, während die Mauren die glanzvollsten Farben wählen.

Die Judenfrauen sehen in ihrer häuslichen Kleidung ganz so wie die maurischen aus, für unsere Begriffe äußerst häßlich und europäischem Brauche widersprechend. Während unsere Frauen Kopf und Oberkörper in einer Art kleiden, daß die Formen recht zur Geltung kommen, verhüllen die Tunesinnen diese Körpertheile so, daß jede Form verschwindet. Während wir gewohnt sind, die Frauen stets mit langem Rock bekleidet zu sehen, das heißt, auf eine Weise, daß der untere Körpertheil von dem herabfallenden Kleide vollständig verhüllt ist, wird bei den maurischen und jüdischen Schönen dieser Theil ganz eng bekleidet. Sie tragen enge Hosen und die reicheren an den Unterschenkeln sogar noch eine Art Beinschienen, so dick mit Seide, Gold und Silber gestickt, daß die Beine wie ein paar überladen verzierter Säulen aussehen. Die Füße stecken in zierlichen Pantoffeln, die oft so weit ausgeschnitten sind, daß sie nur von den Zehenspitzen gehalten werden. Beim Ausgehen nehmen sie noch des Schmutzes wegen hohe Holzpantoffeln, an deren Sohlen hohe Klötzchen angebracht sind. Diese werden mit einem Querriemen am Fuß gehalten, und auf diese Weise balanciren die Damen sicher durch die schlammigen Straßen. Ganz Arme bedienen sich überhaupt nur dieser Klötzchenschuhe.

Die Frauen und Mädchen der ärmsten Classen tragen Hosen von Leinwand, die, unten eng, mit einer Zugschnur um die Hüften zusammen gezogen werden. So sehen sie aus, wie wir ungefähr mit unsern Unterhosen zur Nachtzeit. Die reichere Frauenclasse trägt Hosen von Seide, roth oder grün, reich gestickt und mit Beinlingen, die ebenfalls Gold- und Silberstickerei zeigen, je nach Vermögen der Trägerin. Von Hals und Schultern herab hängt ein Kleid, mit kurzen weiten Aermeln versehen, bei Armen von Linnen oder geblümtem Zeuge, bei Wohlhabenderen von Seide, Damast, Atlas oder goldgestickten Stoffen. Ich sah auch diese Kleider bei reichen Jüdinnen ganz von glänzendem Goldbrokat. Darüber befindet sich bei Wohlhabenderen ein kurzes Jäckchen, auf dessen Seiden- oder Goldstickerei der größte Fleiß verwandt ist. (So das stehende Mädchen auf dem Bilde.) Unter alledem tragen sie ein Hemd von durchsichtigem Florstoffe, dessen feingestickte Aermel bis zur Hand herabfallen. Diese Florärmel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_725.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)