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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit sieben Maschinen angewendet). Unter dem Mikroskope zeigten derartige ziemlich lange Fasern eine bandartige, innerhalb der Bandränder häufig unterbrochene Structur, wahrscheinlich die Folge der diesem Verfahren eigenthümlichen starken Laugen- und Chloranwendung. Die Wissenschaft hat jedoch ihre Versuche hierüber noch nicht abgeschlossen, während die Praxis der Papierfabrikanten durch Zusammensetzung ihres Büttenmaterials aus verschiedenartigen und verschieden zubereiteten Faserstoffen unter Zusatz von Lumpen den für jetzt richtigsten Weg eingeschlagen hat.

Schließlich bleibt noch die Verwendung der chemisch erzeugten Cellulose zu Ivorittafeln als Ersatz der zerbrechlichen beim Schreiben kreischenden Schiefertafeln, zu Billardbällen, Messerschalen und Elfenbeingriffen, zu Wurstdärmen ohne Naht, zu künstlichem Pergament und zu wasserdichten, sehr tragfähigen Booten zu erwähnen. Die Eigenschaft des Papiers, sich unter Einwirkung von Kupferoxyd-Ammoniak und anderen Säuren in eine hornartige Substanz zu verwandeln, ermöglicht die Verwendung zu so auseinander liegenden Zwecken.

Apianus.




Blätter und Blüthen.


Der Mürzsteg zum todten Weibe. (Mit Abbildung, S. 731.) Zwei Eisenbahnfahrstunden südlich von Wien, dort, wo die norische Alpe den mächtigen Gebirgsstock des Semmering und Sonnenwendsteins gegen die niederösterreichisch-ungarische Ebene vorschickt, läuft dem Kamme des Gebirgs entlang die Grenze der grünen Steiermark. – Gewiß verdiente dieses deutscheste aller Alpenländer einen ebenso großen Touristenbesuch, wie ihn die Schweiz, Tirol oder die baierischen Hochgebirge genießen. Bewohnt von einem der biedersten germanischen Stämme, bietet Steiermark in seinen Hochgebirgsformationen dem Naturfreunde eine Fülle von Naturschönheiten. Unübertroffen von allen europäischen Bergländern steht es durch die Ueppigkeit seiner Vegetation da. Hier giebt es noch zahlreiche Thäler, in denen der Schöpfer der Tuberculose, der Staub, zu den unbekannten Dingen zählt; hier finden sich noch die Stätten einer frisch wuchernden unverkümmerten Pflanzenwelt. Am eindringlichsten tritt dem Beobachter diese Erscheinung der Naturwüchsigkeit entgegen, wenn er, die Strecke der Semmering-Bergbahn hinter sich, die freundliche Ebene Niederösterreichs betritt. Gleich dem Reisenden, welcher Italiens farbenreichen Boden verläßt, um nach dem Norden zurückzukehren, scheinen ihm Felder, Wiesen und Bäume, Wässer und Gesteine, wie grau in grau gemalt zu sein. – Wir verlassen in der zweiten, auf steierischem Boden gelegenen Südbahnstation Mürzzuschlag den Eisenweg, der am directesten nach Italiens Gefilden führt, und befinden uns in einem von steilen bewaldeten Bergwänden begrenzten Hochgebirgsthale, in dessen Mitte die muntere, klare Mürz rauscht, umgeben von herrlichen landschaftlichen Details.

Eine dreistündige Wanderung, dem frischen Gebirgsfluß entgegen, durch eines der anmuthigsten Alpenthäler, führt uns zur Cyklopenstätte Neuberg. Die Schnee- und Laa-Alpe mit der Donnerwand zur Rechten, den Königskogel zur Linken, sehen wir diese Hochgebirgslandschaft einen wildzerrissenen, aber erhabenen Charakter annehmen. Dieser Theil Steiermarks birgt den bedeutendsten Gemsenstand, weshalb sich die Neuberg-Mariazeller Gewerkschaft veranlaßt fand, die Jagdbarkeit dem Kaiser von Oesterreich zu verehren. Die alljährlich stattfindenden Jagden sind äußerst ergiebig, fordern leider aber auch bei der Waghalsigkeit, mit welcher sie auf den zerklüfteten Terrains betrieben werden müssen, oft Menschenleben als Opfer. Im letztvergangenem Herbste erst wurde ein Hochwildtreiber durch abstürzende Steine in den Abgrund geschleudert und dort zerschellt und todt aufgefunden. Wir gelangen nach Mürzsteg, dessen Alpenscenerie an die schönsten Theile des Berner Oberlandes erinnert. Das Thal verengert sich hier zu einer schmalen Schlucht. Von den senkrecht Tausende von Fuß jäh abstürzenden Felsenwänden ist nur so viel Raum gelassen, um dem Wasser der über die Steinblöcke brausenden Mürz Durchlaß zu gewähren. Hier nimmt der von den Touristen gefeierte Steg über dem tosenden Flusse seinen Anfang; er windet sich stundenlang in der Dämmerung der Thalschlucht hin und endet am heitern Wiesenthale der Wildalpen „in der Freyen“. Indem wir den Steg beschreiten, rauschen die Bergwässer uns machtvoll entgegen; eine prachtvolle Wildniß umgiebt uns. Die krystallklare smaragdfarbene Fluth will sich hier über die entgegengethürmten Hindernisse, in schneeweiße Atome aufgelöst, hinwegstürzen, während sie dort, durch irgend eine unterirdische Hemmung gestaut, scheinbar regungslos stagnirt und inmitten ihrer metallisch glitzernden grünen Färbung selbst den kleinsten Kiesel auf ihrem Grunde erkennen läßt.

Spalten, Klüfte und Höhlen durchsetzen, die abenteuerlichsten Formen bildend, das geborstene Kalkgestein, während die vereinzelten Bewohner dieser unzugänglichen Verstecke, eine Fledermaus oder Eule, in der Dämmerung schüchtern an der Felswand hinflattern. Der Mangel an eindringendem Sonnenlichte begünstigt die vom Flusse aufsteigende Feuchtigkeit; Moose und Farnkräuter wuchern deshalb dem Stege entlang in seltener Pracht. Auf tausendfachen Pfählen und Aesten, die in die Felswand eingelassen sind, und in so kurzen Krümmungen, daß der Pfad jeden Moment sein Ende erreicht zu haben scheint, läuft der Mürzsteg über zahllose Cascaden zum „todten Weib“.

Wir sind nur noch eine kleine Stunde südwestlich von der „Freyen“ entfernt. In einer Höhe von ungefähr zwanzig Klaftern oberhalb unseres Weges stürzt ein starker Gebirgsbach, einen Wasserfall bildend, aus einer Höhle hervor. Die Sage leitet den Namen „das todte Weib“ von einer Bäuerin her, welche hier erfroren gefunden wurde. Die enge Schlucht, die vielfach gewundenen Treppenstege, die obenstehende uralte Einsiedelei, die Kreuze unter den Bäumen, der üppig grünende mit Alpenblumen durchwirkte Rasen, Alles dies vereinigt sich hier zu dem reizendsten Bilde.

Hoch droben, über dem „todten Weibe“, auf einem zerborstenen Abhange der Schnee-Alpe, entdeckte man einst beim Fällen eines Baumes eine tiefe brunnenartige Kluft, die, weit hinabreichend, in einer unermeßlichen Höhle endet und die sich in gerader Richtung zu dem tief unter ihr liegenden Wasserfalle des „todten Weibes“ abstürzt.

Endlich erweitert sich der Weg. Wir genießen das Tageslicht wieder ungeschmälert; die zackigen Kalkwände treten mehr zurück, und sanftbewaldete Bergesabhänge erfreuen das Auge. Wir kommen in jenes wunderbare Waldthal, auf dessen sammetgrünen, von klaren Forellenbächen durchzogenen Wiesen die „stille Mürz“ und die „kalte Mürz“ ihre Vermählung feiern, um mit vereinten Kräften der Schlucht des Mürzsteges zuzuströmen.

Des Menschen Dasein in dieser Gegend datirt erst seit Anfang dieses Jahrhunderts. Um den Eisenwerken des benachbarten so berühmten Gnaden- und Wallfahrtsortes Maria-Zell vermehrten Brennstoff zuzuführen, siedelten sich Holzknechte mit ihren Hütten, welche malerisch zerstreut im Thale und auf den Höhen liegen, hier an. Jetzt hat die Cultur die Urwüchsigkeit auch in dieser Gegend verdrängt.




Die Schlachtmaske. Bekanntlich bestehen, besonders von Seite der Gegner aller Thierquälerei, gegen die jetzt noch allgemein übliche Art, das Rindvieh zu schlachten, mancherlei Bedenken. Selten gelingt es selbst dem geübtesten Metzger, einen Ochsen auf einen Beilhieb zu tödten, ja oft kommt es vor, wenn nicht gerade die richtige Stelle auf den ersten Hieb getroffen worden ist, daß eine Anzahl von Hieben gegen den armen Vierfüßler gerichtet werden müssen, da einerseits die Aufregung des Metzgers die Sicherheit in Führung des Schlachtbeiles beeinträchtigt, andererseits die Unruhe des Thieres ein genaues Treffen erschwert. Wie oft haben schon in dieser Weise gemarterte Thiere sich losgerissen und Unheil angerichtet! Es muß daher als ein wahrhafter Fortschritt auf dem Wege der Humanität entschieden diejenige Schlachtmethode bezeichnet werden, welche neuerlich in verschiedenen Städten durch den sogenannten Bruneau’schen Apparat in Anwendung kommt und welche volle Berechtigung hat, von den Behörden den Metzgern als ausschließlich erlaubte Schlachtart durch das Gesetz vorgeschrieben zu werden. Die Tödtung mit Hülfe dieses ebenso einfachen wie sicheren Apparates besteht in Folgenden: Dem Thiere wird eine Lederkappe über den Kopf gezogen, an welcher der Tödtungsapparat, ein sehr scharfer und starker Stift von Stahl, angebracht ist. Dieser Stift wird nun durch einen Schlag mit einem hölzernen Schlägel derart durch die Stirnwand in’s Gehirn eingetrieben, daß der Tod des Thieres augenblicklich erfolgt. So außerordentlich rasch und ohne jede unnütze Qual wird auf diese Weise das Schlachten der Thiere ermöglicht, daß kaum eine einfachere und mildere Art gedacht werden kann. Die Mittheilungen, welche verschiedene Blätter – namentlich Frankfurter, woselbst der Thierschutzverein bereits bei der Behörde gebeten hat, daß diese Schlachtart für die Metzger obligatorisch gemacht werde – gebracht haben, veranlaßten den Nürnberger Industriellen Georg Leykauf (Besitzer der Dampfschleiferei und Messerwaarenfabrik), einen solchen Schlachtapparat anzufertigen und mit demselben Versuche im Schlachthaus zu Nürnberg anstellen zu lassen. In dreißig bis vierzig Secunden war die Maske umgeschnallt und mit einem einzigen Schlage das Thier gefällt, ohne daß es sich weiter regte. Die Besichtigung des Gehirns ergab, daß dasselbe, das bei der bisher gebräuchlichen Methode ganz mit Blut unterlaufen, zerschlagen und mit Knochensplittern vermengt war, hier vollständig rein und weiß erhalten blieb und selbst keine Spuren des Eindringens des Hohlstiftes in die weiche Masse zurückließ. Fassen wir die Vortheile der Schlachtmaske (von dem französischen Erfinder „Bouterole“ genannt) zusammen, so ergiebt sich, daß ihre Anwendung neben der Erfüllung des ersten Zweckes, die Dauer der Leiden des Schlachtviehes möglichst zu verringern, auch noch den Vortheil gewährt, daß das Fleisch und die inneren Theile des Thieres in besserem Zustande überliefert werden, als früher und das Gehirn vollständig weiß erhalten bleibt. Auch erfordert sie bei vollständigster Sicherheit geringere Kraftanstrengung als das Schlachten mit dem Beil. Wir können darum ebenfalls die Alleinherrschaft derselben allenthalben nur wünschen und deren Einführung vor Allem nicht dringend genug dem Gewerke selbst empfehlen, ehe Publicum und Obrigkeit dasselbe dazu zwingt.




Aus Ober-Ammergau geht uns folgende „Berichtigung“ zu: Die Gemeinde Ober-Ammergau ersucht mich einen Fehler zu berichtigen, der sich in dem Artikel der Gartenlaube über Brixlegg und das dortige Passionsspiel vorfindet. Der Verfasser behauptet, die Ammergauer hätten Text und Musik ihrer Passion nach Brixlegg für dreihundert Gulden verkauft. Was den Text anlangt, so ist derselbe gedruckt zu haben, ein Verkauf also unnöthig. Die Musik ist den Ammergauern um keinen Preis feil. Die größten Anerbietungen sind ihnen gemacht worden, wenn sie nur eine Arie drucken lassen wollten – sie haben dieselben zurückgewiesen, weil sie überhaupt nicht des Gewinnes halber, sondern um ihr Gelübde zu erfüllen, spielen. Die Brixlegger Musik ist eine total verschiedene; man kennt den Componisten nicht, vermuthet aber, sie stamme aus Altenau in Baiern. Die hiesige Passionsmusik ist im Jahre 1815 von dem genialen Lehrer Dedler componirt worden, der 1822 starb. Damals sangen Knaben die Sopranpartien in der Passion. Wenn die Ammergauer sich entschlössen, ihre Musik herauszugeben, so würden sie ohne Zweifel einen großen pecuniären Vortheil erlangen – aber, wie gesagt, sie thun es nicht und werden es nicht thun. Ammergauer sind Verfasser des Textes, der Musik, Mitspieler – die hiesige Passion ist durchaus originell. In Brixlegg besteht der musikalisch mitwirkende Theil aus Innsbruckern. – So viel zur Steuer der Wahrheit.

Georg Baron Dyherrn.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_734.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)