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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

wenn mein Herz dabei gebrochen wäre. Den Mann, den mir mein König bestimmte, nahm ich jedenfalls ohne alles Weigern nicht nur, sondern auch dankbar für die Huld und Gnade an, denn von ihm konnte mir ja doch nur Gutes kommen.

‚Wir sprechen später gelegentlich darüber,‘ fügte der König nach einer kleinen Pause hinzu, in welcher er mich lächelnd aufmerksam betrachtet hatte. Dann entfernte er sich mit freundlichem Gruße von mir.

Die Königin war ebenfalls ungemein gnädig. Mit ihrem bezauberndsten Lächeln sagte sie zu meiner Tante, indem sie sich zugleich auch halb zu mir wendete: ‚Frau Marquise, ich wünsche und hoffe Ihre liebe Nichte, die Sie uns heute zuführen, bald unter den jungen Damen meines Hofes zu sehen, wenn Sie das Opfer zu bringen vermögen, sie mir zu überlassen.‘

Die Tante schien von so viel unerwarteter Huld so ganz überwältigt zu sein, daß sie offenbar eine Unwahrheit darauf sagte. Sie entgegnete nämlich der Königin:

‚Meine Nichte ist zwar mein höchster Stolz und die einzige Freude meines Alters; ich habe gehofft, sie so lange wie möglich bei mir zu haben, nachdem ich dieselbe so lange habe entbehren müssen, aber jeder Wunsch Ihrer Majestät ist für mich ein Befehl und meiner Königin zu gehorchen mein höchstes Glück, ja ich kann mir keine größere Freude denken als eine Gelegenheit zu finden, für meine Königin ein Opfer zu bringen.‘

Als wir dann wieder zu Hause waren, setzte sie mir weitläufig auseinander, welches außerordentliche Glück mir als Einer der Hofdamen der Königin bevorstehe. Da die hohe Frau mich auszeichne, werde ich sicherlich sehr bald eine Zierde des Hofes und von allen Herren desselben umworben werden. Sie selbst, die Tante, habe allerdings, wie die Königin, sobald sie mich gesehen, die Ueberzeugung gewonnen, daß ich eine der ersten Damen Frankreichs, die Zierde und der Stolz der Familie werden müsse, da man mir es ansehe, daß ich zum Herrschen geboren sei und alle Eigenschaften des Charakters besitze, die mich befähigten, dem Range entsprechend mich zu benehmen, den mir der König ganz gewiß durch den Mann geben werde, den er für mich wahrscheinlich schon bestimmt habe.

Ich wurde in der That bald darauf unter die jungen Hofdamen der Königin aufgenommen, die mir aber, als ich sie näher kennen gelernt hatte, durchaus nicht geeignet erschienen, meine Freundinnen zu werden. Sie sprachen von nichts und schienen an nichts zu denken, als an Putz, Moden, Intriguen aller Art und Eroberungen; sie waren neidisch und eifersüchtig auf einander, leichtfertig und, trotz ihrem heuchlerisch frömmelnden Wesen, im Grunde ihres Herzens ungläubig. Eine sagte der Andern alles mögliche Sündhafte nach, ja sie scheuten sich sogar nicht von Leichtfertigkeiten der Königin selbst zu sprechen, von denen sie unterrichtet sein wollten. Das alles reizte und erzürnte mich allmählich, so daß ich schon nach einigen Tagen, als sie sich wieder unterfingen, von Ihrer Majestät der Königin in der leichtfertigsten Weise zu sprechen, zwischen sie trat und ihnen eine Strafpredigt hielt, wie sie länger und strenger selbst die Superiorin unseres Klosters nicht hätte halten können. Anfangs sahen sie mich und sahen sie sich untereinander verwundert an, dann fingen sie höhnisch zu lachen an, und ehe ich zu Ende gekommen war, hatte Eine nach der Andern sich entfernt. Von da an waren alle, mehr oder minder offen und ehrlich, meine Feindinnen, und ich stand an dem glänzenden Hofe wieder so einsam und allein, wie damals im Kloster zu Straßburg. Zum Glück währte dieser Zustand nicht lange. Kurze Zeit nach jenem Vorfall trat eines Tages der König freundlich zu mir und sagte, er habe einem jungen Manne den Befehl gegeben, zu der Marquise, meiner Tante, zu gehen und ihr zu sagen, der König wünsche ihn mit mir zu vermählen, wenn sie einwillige und ich selbst keine Einsprache dagegen erhebe. Wenn der junge Herr die Genehmigung der Frau Marquise erlange, werde er sich auch mir vorstellen und um mein Herz und meine Hand bitten.

‚Der junge Mann,‘ setzte der König hinzu, ‚ist in Gefahr, und da sein Vater mir gute Dienste geleistet hat, fühle ich mich verpflichtet, zu seiner Stellung beizutragen, so viel ich vermag. Er ist in die Hände der Unzufriedenen gerathen und mich schmerzt es stets, wenn ich Männer von gutem Adel, Söhne von königstreuen Vätern sogar, mit Leuten sich verbinden sehe, die Thron und Altar zu stürzen versuchen. Die Vermögensverhältnisse des jungen Mannes sind nicht glänzend und schon darum ist er leider dem Gifte jener Umsturzlehren leichter zugänglich, die mehr und mehr Verbreitung zu finden scheinen. Das beste Mittel, ihn auf dem rechten Wege zu erhalten, ist jedenfalls das, ihm eine Frau zur Seite zu geben, die nicht nur das ihm fehlende Vermögen, sondern auch die rechten Grundsätze, einen festen Charakter und so viel Geist besitzt, um ihn beherrschen zu können, kurz, die geeignet ist, ihn vor den gefährlichen Irrlehren unserer Zeit zu bewahren. Eine solche Frau für ihn glaube ich in Ihnen, mein Fräulein, gefunden zu haben, und ich bin fest überzeugt, daß Sie den Erwartungen vollkommen entsprechen werden, die ich von Ihnen hege.‘

Die Aufgabe, die mir in solcher Weise von meinem Könige gestellt wurde, entsprach vollständig meinen Neigungen und meinem Charakter, und ich zweifelte deshalb keinen Augenblick, daß sich der König in seinen Erwartungen von mir nicht täuschen werde, ich hoffte indeß dabei auch, daß ich den Mann, dem er mich bestimmt hatte und den ich bald sehen sollte, werde lieben lernen und lieben können. … Er kam schon an einem der nächsten Tage, stellte sich mir vor, und ich nahm ohne langes Bedenken seine Bewerbungen um mein Herz und meine Hand an, obwohl er meinen Mädchenaugen keineswegs sonderlich gefiel, namentlich weil die Züge seines Gesichtes starke Leidenschaftlichkeit, wenn nicht gar eine gewisse Rohheit sehr deutlich verriethen. Die Tante hatte ihm ihre Genehmigung sofort bereitwillig ertheilt; ich stellte nur eine einzige Bedingung, die nämlich, daß wir die ersten zwei Jahre unserer Ehe wenigstens auf einer meiner Besitzungen im Elsaß zubrächten, die ich zwar selbst noch nicht kannte, die aber nach der Beschreibung der Tante reizend gelegen sein sollte und, wie sie mir mehrmals erzählt hat, der Lieblingsaufenthalt meiner Mutter und das Erbgut meines Vaters gewesen war. Diese beiden letzten Umstände hatten meine Wahl bestimmt, während der Zweck meiner Bedingung – zwei Jahre auf dem Lande zuzubringen – dahin ging, den Mann, welchen mein König mir anvertraute, von seinen Pariser Freunden entfernt zu halten und ihn stets unter meinen eigenen Augen zu haben, damit ich auf ihn einzuwirken vermöge, wie es der König wünschte und erwartete. Der mir bestimmte Bräutigam ging bereitwillig auf Alles ein, was ich verlangte; es stand also unserer wirklichen Verbindung nichts mehr im Wege, und sie wurde denn auch nach kurzer Zeit geschlossen. Die Majestäten gaben mir noch viele Beweise ihrer besondern Huld und Gnade, meine Feindinnen, die Hofdamen, waren wieder sehr freundlich gegen mich geworden, natürlich aus Freude darüber, daß ich so bald von ihnen scheide, und wir reisten nach unserem künftigen Wohnsitze ab, auf welchem zu unserem Empfange Alles eingerichtet worden war. Das malerisch auf einer kleinen Anhöhe gelegene Schloß, ein wunderlicher alterthümlicher Bau, mit seinem umfänglichen Parke gefiel meinem Gatten sehr, und ich fühlte mich heimathlich wohl darin, weil ich ja wußte, daß meine Eltern dort glücklich gelebt hatten, daß ihre sterblichen Ueberreste dort nebeneinander ruhten und daß ich selbst dort geboren worden war. Auch habe ich wirklich die zwei schönsten Jahre meines Lebens an diesem Orte verbracht, die einzigen glücklichen, die mir das Schicksal gönnte. In diesen ersten zwei Jahren unserer Ehe hatte ich keine Ursache, mit meinem Gatten wirklich unzufrieden zu sein, und als uns auch eine Tochter geboren war, meinte ich, mein Glück könne nicht höher steigen und nie enden.

Es sollte bald anders werden. Die schreckliche Zeit der Revolution begann, und mein Mann nahm, trotz meiner wiederholten und ernstlichsten Abmahnungen, schon an den ersten Anfängen derselben eifrig und leidenschaftlich Antheil. Er gehörte der Nationalversammlung an und reiste voll Hoffnung nach Paris. Trotz meiner Vorstellungen, die ich selbst bis zu Drohungen steigerte, schloß er sich dem scheußlichen Mirabeau an und sagte sich von der Partei des Königs, seines Gönners und Wohlthäters, wie von dem Adel los. Mit jubelnder Begeisterung meldete er mir brieflich die Erstürmung der Bastille, die er eine der größten Heldenthaten nannte. Seine Anhänglichkeit an die Revolution steigerte sich allmählich bis zum Fanatismus, obwohl die blutigsten Gräuel Paris und Frankreich bereits befleckten. Ich mußte den Schmerz erleben, seinen Namen unter den wüthendsten Parteimännern genannt zu wissen.

Eine lange Zeit sah ich ihn nicht; er schrieb mir auch nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_752.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)