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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

selten und dann nur, um neue Versuche zu machen, auch mich für ‚die gute Sache‘ zu gewinnen, wie er die Revolution zu nennen sich nicht scheute. Seinen Namen verschweige ich aus gutem Grunde, wie ich ihn längst abgelegt habe, auch in diesen Blättern, denn er soll meinen Nachkommen ewig unbekannt bleiben, und vor Allem wünsche ich, daß meine Tochter niemals erfahre, welchen blutbefleckten Namen ihr Vater führte. … Viele Adelige waren bereits in das Ausland geflohen, weil sie empört waren über die Frevel und Schändlichkeiten gegen den König und die Kirche, die begangen worden waren und deren täglich noch schlimmere nachfolgten. Inständig bat und beschwor auch ich meinen Mann, mit mir das unglückliche Vaterland auf so lange zu verlassen, bis die alte Ordnung wiederhergestellt sein werde. Statt aber meinen Wunsch und meine dringende Bitte zu erfüllen, verhöhnte er mich, weil ich so blind sei, die neue Zeit nicht zu verstehen und zu würdigen, welche begonnen habe und ungeahntes Glück in die Welt bringen werde. Schließlich kündigte er mir an, daß er nächstens selbst zu mir kommen werde, um einen letzten Versuch zu machen, mich von meiner Verblendung und meinen Vorurtheilen zu erlösen. Gleichzeitig sandte er mir eine rothe wollene sogenannte Freiheitsmütze, eine der kleinen schwarzen Perrücken, die man ‚Jacobinerperrücken‘ nannte, und einen ‚Gürtel der Vernunft‘, wie ihn die freche Schauspielerin Saunier in die Mode gebracht. Auch sprach er die empörende Erwartung aus, daß ich ihn in diesem Aufputze empfangen werde, da alle Damen in Paris sich so zeigten, welche aufgeklärt genug wären, um der Revolution zu huldigen. Ich warf, wie es sich wohl von selbst versteht, alle die verhaßten Symbole des Umsturzes sofort in das Feuer und hatte mit meinem Manne, als er wirklich bald darauf selbst erschien, eine sehr heftige, fast gewaltthätige Scene. Wenn ich nicht starke Nerven besessen hätte, würde ich bei seinem Anblicke schon in Ohnmacht gefallen sein, denn er war frech genug, vor mir mit den Abzeichen des Sansculottismus zu erscheinen, nämlich in der Carmagnole, der bekannten kurzen Jacke mit ganz kleinen Schößchen, in Matrosenbeinkleidern von grobem Zeuge, in entblößtem Halse, um den nachlässig nur ein kleines Tuch geschlungen war, und mit einer kleinen goldenen Guillotine als Ohrgehänge. In seinem ganzen Thun und Wesen trat mir die leidenschaftliche Rohheit seines Charakters, die ich in ihm geahnt und gefürchtet hatte, als ich ihn das erste Mal sah, in der abschreckendsten und widerwärtigsten Weise entgegen. Er drohte, als ich mich weigerte, seinen Plänen mich anzuschließen und als ich darauf bestand, Frankreich mit meinem Kinde zu verlassen, die Tochter mir zu entreißen, damit sie von mir nicht auch zu einer Aristokratin, sondern durch ihn selbst zur echten Bürgerin erzogen werde. Er selbst hatte bereits alle seine Titel abgelegt und nannte sich stolz ‚Bürger‘. … Zum Glück blieb er nicht lange in dem Schlosse, denn seine höheren Pflichten, wie er sich ausdrückte, riefen ihn bald wieder nach Paris zurück. Er verabschiedete sich in heftigem Zorne von mir und mit der gewiß ernstgemeinten Drohung, er selbst werde mich als Aristokratin denunciren und der Guillotine zuführen lassen, wenn ich trotzig bei der Verehrung der nun vergangenen alten Zeit der Knechtschaft und bei dem Widerstreben verharre, der neuen Zeit mich ehrlich anzuschließen. Er könne und werde – mit Freude sogar – mein Haupt fallen und mein Blut fließen sehen, denn ich sei eine der verstocktesten Aristokratinnen und die Freiheit werde um so schneller und um so herrlicher auf Frankreichs Boden erblühen, je mehr Aristokraten- und Pfaffenblut denselben gedüngt habe.

Ich war über alles Das tief betrübt und innerlich empört; um so mehr blieb ich fest entschlossen, den Widerstand gegen meinen Mann und gegen die Revolution, die er fanatisch verehrte, energisch fortzusetzen und selbst, wenn es sein müßte, das Aeußerste nicht zu scheuen.

Die Leute auf meiner Besitzung, namentlich alle meine Dienstboten, hielten noch treu zu mir, weil ich allen Regungen revolutionärer Gelüste, sobald sie sich irgendwie zeigen wollten, kräftig und entschieden entgegentrat und auf der andern Seite Diejenigen reichlich unterstützte, welche mir und meinen Grundsätzen anhänglich sich bewiesen, obgleich ich nicht leugnen mag, daß mein Mann sich höchst wahrscheinlich alle Mühe gegeben hatte, mich mit Spionen zu umringen.

Die Herrschaft des Schreckens wurde unterdeß von Woche zu Woche grauenhafter in Paris; man vergriff sich feindlich selbst an der Majestät des Königs, und leider gehörte, wie es nicht verschwiegen blieb, mein Mann zu denjenigen, die am schamlosesten und am undankbarsten gegen ihn auftraten. Ich erkannte also mehr und mehr, daß meines Bleibens in dem unglücklichen Frankreich nicht länger mehr sein könnte, nicht meinetwegen, denn ich hätte wohl den Muth besessen, selbst dem Tode auf dem Blutgerüste zu trotzen, sondern meiner kleinen Tochter wegen, die vor den Gräueln der Revolution zu schützen meine erste und heiligste Pflicht sein mußte, zumal da ihr eigener Vater sich bestrebte, sie in den Schmutz der Revolution hineinzuziehen und ihre junge Seele völlig zu verderben. Ich entschloß mich also, an die Reichsgräfin, die Jugendfreundin aus dem Kloster, zu schreiben, um sie zu fragen, ob sie mir und meinem Kinde in ihrem Hause oder doch in ihrer Nähe Aufnahme gewähren wolle. Ich erhielt leider keine Antwort von ihr, und das änderte meine Pläne vollständig. Mein Entschluß aber, das Vaterland zu verlassen, blieb unerschüttert, und ich betrieb unablässig die Vorbereitungen dazu. Mit meiner Kammerfrau, der schon etwas bejahrten Pflegerin meines Kindes, hatte ich schon öfter meinen Fluchtplan besprochen und sie hatte sich immer bereit erklärt, mir zu folgen, wohin ich sie auch führen wolle. Ohne alle männliche Begleitung aber die gefährliche Flucht und Reise zu unternehmen, schien nicht gerathen zu sein, und so überlegte und prüfte ich sorgsamst, welchem meiner Diener ich mich wohl am sichersten anvertrauen könnte. Meine Wahl fiel sogleich auf Mathis, den Kammerdiener und Jäger meines Mannes, der die Revolution und Alles, was mit derselben zusammenhing, in Paris, wohin er im Anfange seinen Herrn begleitet, gründlich hassen gelernt und, nach kurzem Aufenthalte dort, nicht eher geruht, bis er die Erlaubniß erhalten hatte, zu seiner Familie in der Heimath zurückkehren zu dürfen. Bald darauf hatte er seine junge Frau verloren, wie er überzeugt war, durch den Tod aus Angst vor der Revolution und aus Entsetzen über die Revolutionäre. Die Zustände in Frankreich waren ihm also ebenfalls verhaßt und nichts hielt ihn da zurück, ja er entfernte sich wahrscheinlich sogar gern, wenn er sein einziges Kind, einen kleinen Knaben, mit sich nehmen durfte, was ich ihm sehr gern erlaubte.“

„Mathis!?“ wiederholte der Sohn des alten Försters, als er den letzten Satz gelesen hatte. „Mathis? Bist Du das, mein Vater? Ist die Erzählerin die Dame, von der Du so oft und so gern sprichst?“

Fast hast Du richtig gerathen,“ erhielt er von dem geduldig dasitzenden Alten, der seine Augen von dem lesenden Sohne keinen Moment abgewendet hatte, zur Antwort. „Die, welche das schrieb, was Du gelesen, war allerdings unsere verehrte Herrin, die Mutter Deiner Mutter, aber bedacht hast Du nicht, daß der Mathis, welchen sie erwähnt, in jener Zeit sicherlich doch wenigstens dreißig Jahre alt war und daß er demnach, wenn er jetzt noch lebte, hundert Jahre zählen müßte. Jener Mathis war vielmehr mein Vater, und ich bin sein ‚kleiner Knabe‘, der erwähnt wird. Jetzt frage nicht weiter, sondern lies zu Ende!“

„Eines Tages rief ich Mathis zu mir,“ so las der junge Försterssohn weiter; „ich schloß mich mit ihm in meinem Zimmer ein und theilte ihm meinen Vorsatz und meinen Plan mit.

‚Hätte ich die Mittel besessen, um auswandern zu können,‘ antwortete er mir sogleich, ‚ich würde schon längst mit meinem Knaben die Heimath verlassen haben, in welcher jetzt die Bluthunde so unverantwortlich hausen. Ihnen, gnädige Frau, folge ich deshalb mit Freuden, bis an das Ende der Welt sogar, um von dem unglücklichen Vaterlande so wenig wie möglich oder, noch lieber, gar nichts mehr zu hören.‘

Ich freute mich solcher Ansichten und solcher Anhänglichkeit an mich, und wir beriethen darauf mit einander, wie wir am besten, das heißt am sichersten, die Flucht bewerkstelligen sollten. Freilich wurde uns dabei auch immer deutlicher, wie beschwerlich nicht nur, sondern wie gefährlich auch die Ausführung des Unternehmens sein würde, da die Auswanderer von der herrschenden revolutionären Partei mit dem Tode bedroht waren. Bei jedem Plane, den wir entwarfen und beriethen, trat uns die fast sichere Unmöglichkeit seiner Ausführbarkeit entgegen, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_753.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)