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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sensitivität zu Grunde. Seine Art zu sprechen bezeichneten Alle als fließend und natürlich; allein Einige meinten, er spreche nur wenig, Andere hoben mit Tadel hervor, daß er mit verschiedenen Personen in verschiedenem Tone spreche und die Eindrücke, welche diese Personen auf ihn machten, viel zu sehr fühlbar werden lasse, und noch Einige bemerkten mit Verdruß, er sage fast immer Dinge, welche keinem Anderen noch eingefallen seien. –

Ich sah, daß Bodiwil’s ausgeprägte und überlegene Individualität im Kreise dieser Menschen, von welchen jeder Einzelne sich für sehr bedeutend hielt, Unbehagen und Neid hervorrief. Der Wunsch, Bodiwil persönlich kennen zu lernen, wurde nur dringender in mir; ein Besuch beim Fürsten Ap., dem liebenswürdigen Bewunderer und Freunde Bodiwil’s, bestimmte mich unwiderruflich zu einer Reise nach dem Stifte Constantin. Vom Fürsten brieflich an den Prälaten des Stiftes und an Bodiwil empfohlen, durfte ich hoffen, gütig empfangen zu werden.

Da ich nicht von mir und nicht von meiner Reise erzählen will, so übergehe ich die ersten neun Tage derselben. Ich war theils mit der Post, theils zu Fuße gereist. Im Städtchen Bl. nahm ich einen Führer und zwei kleine starke Pferde. Wir verließen die Poststraße und nahmen den Weg über die Berge, die Ausläufer der julischen Alpen.

Es war Anfang September; die Frische der Luft und die Düfte des Waldes berauschten mich und gaben meiner Erwartung einen besonderen poetischen Reiz. Das Gebirge verflachte sich allmählich; das Thal erweiterte sich, und am Vormittage des zweiten Tages wurde die Gegend mehr und mehr einsam. Wir kamen an mehreren fast ganz trockenen Teichen vorüber. Der Boden wurde mooricht und war nur zuweilen durch ein dürftiges Wäldchen geschmückt.

Gegen Abend kamen wir durch ein Dorf, und von hier erhob sich rechts allmählich eine niedrige grüne Hügelkette, während links die braune Ebene sich hinzog, von den stahlblauen Bergen begrenzt. Die Hügel bildeten kleine Vorsprünge in die Ebene und hatten beinahe die anmuthigen Windungen eines Flusses. Als wir den fünften dieser Vorsprünge umgangen, wies mein Führer mit dem Finger auf den nächsten und sagte:

„Sieh, Herr, dort liegt das Stift Constantin.“

Ich hielt mein Pferd an. Die Sonne war noch nicht hinuntergegangen. Sie hing über dem fernen Gebirge, strahlenlos und blutroth; das Stift stand von ihrer Lohe übergossen. Die Abendglocke begann vom Hügel herab zu läuten; sie hatte einen ernsten majestätischen Klang. Als die Sonne verschwand, schwieg die Glocke. Der Himmel brannte noch; das Gebirge aber hüllte sich in einen sammtenen Duft und an seinem Fuße tauchten rosige Dünste auf, vielfach zerrissen und langsam erbleichend. Dann sank die Dämmerung schnell herab. Ich trieb mein Pferd zur Eile an und wandte den Blick jetzt nicht mehr vom Stiftsgebäude.

Es war in byzantinischem Stile erbaut, überaus groß und imposant und schien mindestens dreihundert bis vierhundert Jahre alt zu sein. An den zwei Stockwerken der uns zugewandten Seite zählte ich vierundsechszig Doppelfenster. Dies war die lange Seite des Gebäudes. Sie hatte zwei Eingänge: ein hohes Portal und eine niedrige Pforte, welche recht klösterlich aussah. Die Bäume eines Gartens ragten von der Rückseite über das flache Dach. An der östlichen kurzen Seite des Gebäudes schoß ein runder schlanker Thurm in die Höhe, an dem ein vergoldetes Kreuz blinkte.

Wir erreichten eine große, dem Stifte gehörende Meierei, wo ich die Nacht zu bleiben beschloß. Ich erfuhr dort, daß die Stiftsherren große Freiheit genössen. Sie trügen weltliche, nur mäßig lange Kleidung und wären nicht gebunden, die Messe zu lesen. Diese, wie alle streng priesterlichen Pflichten wären auf zwei Geistliche übertragen, welche dem Orden des Stifts nicht angehörten. Die Stiftsherren selbst beschäftigten sich hauptsächlich mit der intellectuellen Ausbildung der Zöglinge und mit der christlichen Gelehrsamkeit.

– Am nächsten Morgen um neun Uhr machte ich mich auf den Weg zum Stifte. Da die Länge meines Aufenthaltes in Constantin von dem Empfange beim Prälaten und Bodiwil abhing, so entließ ich meinen Führer vorläufig nicht.

Das Stift war nur zweihundert Schritte von der Meierei entfernt. Ich ging durch das offene Portal in einen länglich viereckigen Hof, den ein niedriger, gedeckter Säulengang mit dem Gebäude verband. Die Steine des Hofes waren mit Moos überwuchert. In der Mitte lag ein rundes, von Oleanderbäumen umgebenes Bassin, in dessen trübem Wasser einige Enten schwammen.

Ein unter den Säulen gehender junger Mann kam auf mich zu, höflich fragend, ob er mir in Etwas dienen könne. Ich erfuhr durch ihn, daß der Prälat für einige Wochen verreist, Bodiwil aber im Stifte anwesend sei. Er führte mich in einen Saal, wo er mich Bodiwil zu erwarten bat, den er von meiner Anwesenheit in Kenntniß setzen wolle. Ich bat ihn, Bodiwil den Brief des Fürsten Ap. zu übergeben.

Der Boden des Saales war mit bunten Strohmatten belegt. Von den breiten Doppelfenstern fielen blaue Vorhänge herab; altmodische Stühle standen steif an den Wänden. Nach einigen Minuten trat ein Mann herein – ich werde die Erscheinung nie vergessen. Er war mehr als mittelgroß und überaus fein gebaut. Sein schwarzes gelocktes Haar fiel in Büscheln auf eine weite und weiße Stirn. Ich fühlte, daß dieser Mann Bodiwil war.

Sein ernstes Auge fixirte mich einen Augenblick, dann sagte er mit warmer Stimme und mir die Hand entgegenreichend: „Ich danke Ihnen für das Interesse, welches Sie an mir nehmen. Wie? Um mich zu sehen, haben Sie diese Reise gemacht?“

Dieser einfache und herzliche Empfang bezauberte mich.

Ich sagte ihm, daß ich, um ihn kennen zu lernen, nicht nur nach Dalmatien, sondern bis nach Japan gegangen sein würde.

„Hat man Ihnen in W. nicht gesagt, daß ich unangenehm sei?“ frug er fein lächelnd.

Ich erzählte ihm ganz offen, wie meine Bekannten über ihn urtheilten, und versicherte ihm, daß diese Urtheile meinen Wunsch, ihn kennen zu lernen, noch gesteigert hätten.

„Hätte man Sie in W. liebenswürdig und sympathisch gefunden,“ setzte ich hinzu, „so würde ich aufgehört haben, mich für Sie zu interessiren, ja, ich würde sogar nicht mehr geglaubt haben, daß Sie es sind, der ‚Satan‘ und ‚Fingal‘ malte.“

„Es ist nicht meine Schuld,“ versetzte Bodiwil, „daß ‚Satan‘ und ‚Fingal‘ zur Ansicht des Publicums gelangten. Ich gab die Bilder dem Fürsten Ap. als einen sehr schwachen Ausdruck meiner Verehrung für ihn. Sie glauben nicht, welche ursprüngliche, große Natur der Fürst ist; allein deshalb ist er auch in seinen Gefühlen nicht zu bändigen. Seine Bewunderung für mein schwaches Talent geht fast bis zur Vergötterung und beschämt mich. Ich empfand ein großes Unbehagen, als ich erfuhr, meine Gemälde seien in W. bekannt geworden.“

Auf meine Frage, ob er beabsichtige, immer verborgen zu bleiben, antwortete er: „Ja. Es existirt so viel Schöneres und Größeres, als ich schaffe, daß die Welt mich sehr leicht entbehren kann. Als ich glaubte, durch meine Ideen über die Alltagslichter und die Meteore im Leben und in der Kunst der Welt nützlich sein zu können, beging ich einen großen Irrthum.“

„Wie so?“ frug ich erstaunt.

„Anstatt Aufklärung zu geben, habe ich nur Verdruß und Neid geweckt. Anstatt die Mittelmäßigkeit in ihre Grenzen zu verweisen, habe ich sie zu noch größerem Dünkel aufgestachelt. Keiner will ein Alltagslicht sein; Jeder hält den Andern dafür, aber niemals sich selbst. Alle wollen Meteore sein. Die mittelmäßigen Alltagsmenschen, welche ich früher nur als würdevoll, sicher, gespreizt, herablassend und vorlaut gekannt, fand ich, nachdem sie mein Buch gelesen, arrogant, herausfordernd, impertinent, pomphaft aufgebläht und tödtlich bewaffnet. Die wenigen Meteore, die ich sah, flogen schweigend und mit scheu zurückgehaltenem Athem vorüber. Denn die Alltagsmenschen, die sonst mit mitleidiger Duldung diesen Meteoren zuweilen einen gütigen Blick durch die Lorgnette zuwarfen, bellten sie jetzt an, wie die Hunde den Mond. Als ich dies sah, unterdrückte ich die im Druck begriffene dritte Auflage des Buchs und entschädigte den Verleger aus meiner Casse.“

„Sie können aber die bestehenden Exemplare nicht vertilgen,“ sagte ich.

„Das ist auch nicht nöthig,“ erwiderte er ironisch; „die Zeit wird sie vertilgen.“

Er hatte sich bei diesen Worten im Saale umgesehen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_784.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)