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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Chile hinein, während sein Sohn Huayna Kapak, der bedeutendste Mann seines ganzen Hauses, in nördlicher Richtung die Fahne Perus bis gegen Centralamerika hinauftrug und Quito unterwarf.

Die Beherrscher von Peru waren Theokraten, d. h. sie waren als angebliche „Sonnensöhne“, als Abkömmlinge der höchsten Gottheit, zugleich politische und religiöse Despoten und genossen durchweg göttlicher Verehrung. Ihr geistlich-weltliches Skepter vererbten sie nach dem Rechte der Erstgeburt, d. h. der erstgeborene Sohn der „Koya“ – so hieß die rechtmäßige Gemahlin des Inka, welche zugleich seine Schwester sein mußte, im Unterschiede zu dem ungezählten Schwarme der Insassinnen des kaiserlichen Harems – wurde der Nachfolger seines Vaters. Der kaiserliche Hofhalt war pracht- und prunkvoll, so recht goldschimmernd. Der Inka-Palast in Kuzko bildete mit seinen Nebengebäuden eine Stadt für sich. Er machte mit dem „Korikancha“ (wörtlich Goldhaus), d. h. dem Reichstempel der Sonne – in Ansehung der Kostbarkeit des Materials seiner Ausschmückung wohl das reichste Gebäude, welches jemals die Erde getragen hat – und mit dem hauptstädtischen Kastell die Dreizahl der großartigsten Bauwerke Perus aus. Die kolossalen Trümmer der Festung erregen noch jetzt das Staunen der Betrachter. Es waren zu dieser Burg Bausteine verwendet von 38 Fuß Länge, 18 Fuß Breite und 6 Fuß Dicke, und diese Steinblöcke sind – ohne daß die Peruaner den Gebrauch des Eisens kannten, wohlverstanden! – so genau zugehauen und in einander gefügt gewesen, daß man keine Messerklinge in die Fugen zu stecken vermochte. Die Abgötterei, welche mit den Inka im Leben getrieben wurde, folgte denselben auch in den Tod. Ihre Lieblingsdiener und Gunstsklavinnen wurden ihnen als Todtenopfer dargebracht. Mit ihren aus dem Körper genommenen Eingeweiden begrub man die kostbarsten Juwelen und Geräthschaften der Todten. Die Leichname wurden kunstvoll balsamirt und mumisirt und die Mumien im Korikancha auf goldene Stühle gesetzt.

Die Familie der Inka hatte sich im Verlaufe der Zeit außerordentlich vermehrt und die zahllosen Nebensprößlinge bildeten den Inka-Adel, eine Kaste, welcher alle höheren Staats-, Kriegs-, Gerichts- und Kirchenämter von „rechtswegen“ zukamen. Von Eroberungsrechtswegen, denn es ist klar, daß die Inka und der Inka-Adel die Abkömmlinge des Volksstammes gewesen sind, welcher erobernd in Peru eingedrungen war und, weit höher gebildet als die Urbewohner des Landes, diese unterworfen hatte. Die Nachkommenschaft der unterworfenen Urbewohner aber machte das aus, was wir „Volk“ zu nennen gewohnt sind, im alten Peru die dienende, frohndende Masse.

Das Reich war in vier Provinzen eingetheilt und darum von seinen Bewohnern nicht Peru, sondern die vier Himmelsgegenden („Tavantinsuyu“) genannt. Das Volk seinerseits zerfiel in Gruppen von 10, von 50, von 100, von 1000 und jeder dieser Gruppen stand ein Edelmann als Beamter vor, so daß sich vom Zehnmännerhauptmann bis zum Provinzstatthalter eine wohlgefugte Bureaukratie hinaufgipfelte. Jeder dieser Würdenträger war in seiner Sphäre zugleich Verwaltungs- und Justizbeamter. Die Gesetzgebung zeichnete sich durch Strenge und Bündigkeit aus. Auf Mord, Ehebruch, Diebstahl und Blasphemie, d. h. Lästerung der Sonne oder des Inka, stand der Tod. Aufruhr gegen den Inka galt für ein so ungeheuerliches Verbrechen, daß es nur durch gänzliche Vertilgung der Bewohnerschaft einer aufrührerischen Landschaft gesühnt werden könnte. Das Inka-Reich war, wenigstens in den Augen der Peruaner selbst, ein sehr streitbares. Die Armee, mit Bogen, Wurfspeeren, Schleudern, Morgensternen und Streitäxten bewaffnet und regelrecht in von Inka-Officieren verschiedener Grade befehligte Rotten, Bataillone und Regimenter eingetheilt, zählte zuletzt nicht weniger als 200,000 Mann. Die Civilverwaltung arbeitete mit größter Regelmäßigkeit. Für den Verkehr war gesorgt. Es gab Poststationen, Postbeamte und Postläufer, obzwar nur für den Gebrauch des Inka und der Regierung, und von Kuzko bis Quito hinauf lief jene Reichsstraße, welche Alexander von Humboldt, der sie in ihren Trümmern gesehen, bekanntlich „eins der riesenhaftesten Werke, welche je von Menschen ausgeführt wurden,“ genannt hat. Das eigenthümlichste Charaktermerkmal der altperuanischen Kultur waren jedoch die Eigenthumsverhältnisse. Denn im Inkastaate war ja das kommunistische Ideal verwirklicht, da es, streng genommen, ein Privateigenthum gar nicht gab. Die ganze urbare Bodenfläche des Landes war in drei Theile zerlegt. Der Ertrag des ersten gehörte der Sonne, d. h. der Klerisei und dem Kult; der Ertrag des zweiten der Inka-Familie und dem Inka-Adel; der dritte war unter das „Volk“ Kopf für Kopf gleichmäßig vertheilt. Alljährlich wurde die Theilung dieses Bodendrittels erneuert und jedem Familienhaupt sein Jahresbesitz nach der Mitgliederzahl seiner Familie zugemessen, welche Einrichtung auf einer genauen Registerführung über Geburten und Todesfälle beruhte. Diese mittels der sogenannten Quippus-Schrift geübte Statistik ermöglichte auch die Durchführung eines streng geordneten Steuerwesens, dessen Last, maßen Klerus, Adel und Beamtenschaft steuerfrei waren, ausschließlich auf dem Volke lag. Die Entrichtung der Steuern geschah durch Arbeit jeglicher Art. Die „misera contribuens plebs“ Perus frohndete als Bauer, als Bergmann, als Handwerker, als Soldat, als Arbeiter an den Staatsgebäuden und Staatsstraßen. Das ganze Dasein des peruanischen Volkes war in das Netz bureaukratisch-kommunistischer Bevormundung eingeschnürt und kann für Augen, welche sehen wollen, den unwiderleglichen Beweis liefern, daß der Kommunismus unfehlbar dem Menschen jede Selbstbestimmungsfähigkeit entzieht und demnach naturnothwendig in die schlimmste Sklaverei ausläuft.

Wie in der Regel jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, so hat auch jedes Volk einen Gott, dessen Wesen die Bildungsstufe und Anschauungsweise der Gesammtheit seiner Verehrer widerspiegelt. Ist dieser Satz wahr, so gestattet er einen nicht ungünstigen Schluß auf die Cultur und den Nationalcharakter der Peruaner. Das religiöse Fühlen und Glauben derselben hob sich über die Stufe der bloßen „Naturreligion“ empor. Denn nicht nur als eine göttliche Naturmacht, sondern auch als ein beseeltes, durchgeistigtes Wesen, als eine mit Bewußtsein wollende Gottheit wurde die Sonne gedacht und dieser Gottesbegriff streifte um so näher an den Monotheismus, als das mythologische Beiwerk desselben von ganz untergeordneter Bedeutung war. Nur die Gott-Sonne hatte Tempel, Klerus und Kult. Ganz fest war in dieser Sonnenreligion das Dogma von der Unsterblichkeit der Menschenseele hingestellt, und mit dieser Vorstellung verknüpfte sich die weitere von einem sogenannten Himmel und einer sogenannten Hölle im sogenannten Jenseits. Der Gottesdienst war im Ganzen so, wie er einer als sittliche, milde und wohlthätige Macht gedachten Gottheit gebührte. Eine Hauptkulthandlung war das knieend und mit der Sonne entgegengebreiteten Armen verrichtete Gebet. Immerhin kamen auch Menschenopfer vor, wohl ein von dem Inka-Volk übernommener Brauch der barbarischen Urbevölkerung des Landes. Sonst wurden als Opfer Edelsteine, Gold, Silber, Blumen, Früchte, Weihrauch, Schafe und Lamas dargebracht. Auch in der Form der Askese wurde die allen Religionen gemeinsame Opferidee verwirklicht: denkwürdig insbesondere durch das Institut der Sonnenjungfrauschaft. Die Sonnenjungfrauen, das heißt die peruanischen Vestalinnen oder Nonnen – nur Töchter des Inka-Adels konnten solche werden – lebten unter der Leitung einer Aebtissin oder Priorin nach bestimmten Regeln in Klöstern zusammen. Welche von ihnen sich gegen das strenge Keuschheitsgelübde, das sie als „Bräute des Sonnengottes“ ablegen mußten, verfehlte, wurde lebendig begraben. Nur zu Gunsten des Sonnensohns, das heißt des regierenden Inka, gab es eine Ausnahme.

Die Sommersonnenwende brachte das religiöse Nationalfest, das zu Kuzko mit höchster Prachtentfaltung gefeierte „Intip Raymi“, das Sonnenfest, wobei der Inka, der Papst der Sonnenreligion, dem stralenden Gotte aus mit „Chika“ (gegohrenem Maissaft) gefülltem Goldpokal ein feierliches Trankopfer spendete in dem Augenblicke, wo das Tagesgestirn am östlichen Horizont hinter den majestätischen Andesfirnen emporstieg.

Alles in allem genommen, stand das Heidenthum der Peruaner an Reinheit, Sittlichkeit und, falls der Ausdruck überhaupt statthaft ist, an Vernünftigkeit dem Christenthume der spanischen Inquisitoren daheim und der spanischen Conquistadoren draußen keineswegs nach. Im Gegentheil, sehr im Gegentheil, zumal noch zu sagen ist, daß im alten Peru das Verhältniß der beiden Geschlechter ein sehr sittsames, das Familienleben innig, die Kinderzucht sorgsam und die Umgangsformen fein waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_791.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)