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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Allein trotz alledem trug die peruanische Gesellschaft den Keim frühzeitigen und unaufhaltsamen Welkens in sich: sie mußte an ihrem Kommunismus sterben, die Eigenthumslosigkeit brachte sie um. Nur die Einrichtung des Privateigenthums begründet das große Gesetz des socialen Vorschritts, das heißt den thatkräftigen Trieb im Menschen, sein Loos zu verbessern. Diesen Trieb kannte der Peruaner nicht: er konnte ja nichts werden, als wozu seine Geburt ihn gemacht hatte. Die naturnothwendige Folge war, daß sich ein grauer Schleier von Gleichgiltigkeit über die Intelligenz des Volkes herbreitete und daß es sich widerstandslos einem schläfrigen Dahinvegetiren ergab. Wie hätte es also dem Glaubens- und Goldfanatismus, der unbezähmbaren Energie der spanischen Conquistadoren widerstehen sollen? Diesem „Heldengesindel“, welches bei seinen fast unglaublichen Wagnissen noch dazu durch alle Vorzüge einer höheren Rasse und durch alle Vortheile einer vorgeschritteneren Cultur unterstützt wurde.

Um die geschichtliche Thatsache des Sturzes von Staaten und des Unterganges von Nationen her schlingt die Legende allerlei bunte Sagenfäden. So will auch die Sage der Peruaner, daß schon auf den höchsten Glanz von Peru – welchen auf einem Mißverständniß beruhenden Namen erst die Spanier dem Lande gaben – der dunkle Schatten einer fernher drohenden Wolke gefallen sei und das herannahende Verderben in der Form dunkler Ahnungen sich angekündigt habe. Im Volke schlich von Alters her die Sage um, Fremdlinge, wie man sie nie gesehen, würden dereinst in’s Land kommen und dasselbe erobern; Kometen erschienen am Himmel und die Erde bebte. Das zum großen Sonnenfest ist Kuzko versammelte Volk sah in der Luft eine Schar von Falken einen Adler angreifen, welcher tödtlich verwundet zu Boden fiel. Die Priester murmelten düstere Weissagungen. Selbst den großen Inka Huayna Kapak erfaßte ein trübes Vorgefühl. Nicht ohne Grund. Hatte er doch von dem Erscheinen weißer bärtiger Männer am Gestade der Südsee sichere Kunde erhalten. Das war Balboa mit seinen Gefährten gewesen. Der Inka konnte nicht ahnen, daß unter diesen Waghälsen auch der Mann, Pizarro, sich befand, welcher so bald das Reich Tavantinsuyu vernichten sollte; aber sterbend deutete Huayna Kapak die Erscheinung der bärtigen Blaßgesichter auf die „Fremdlinge“ der alten Sage

Seine traurige Ahnung hatte den Inka nicht betrogen, aber freilich hatte er selber die Erfüllung beträchtlich gefördert, so daß Peru’s Verderben von innen heraus schon angehoben hatte, als die Gefahr der spanischen Conquista von außen herankam. Huayna Kapak war auf den Irrweg gerathen, die festgefugte Staatsordnung mit eigner Hand zu zerbrechen, indem er sich durch seine Vorliebe für einen seiner jüngeren Söhne, welcher Atahuallpa hieß, verleiten ließ, zu Ungunsten seines ältesten Sohnes Huaskar, des legitimen Kronprinzen, die Thronfolgeordnung abzuändern und zwar in der Form einer Theilung des Reiches. Die südliche Hälfte mit der Hauptstadt Kuzko erhielt Huaskar, die nördliche mit der Hauptstadt Quito erbte Atahuallpa. Nach dem wahrscheinlich im Jahre 1525 erfolgten Tode des großen Inka kam es, wie es bei der rastlosen, kriegerischen, ehr- und herrschsüchtigen Sinnesweise Atahuallpa’s kommen mußte. Nachdem der Herrscher von Quito etliche Jahre lang Frieden gehalten, hob er den Bruderkrieg um den Alleinbesitz des Inka-Reiches an. Am Fuße des Chimborasso trafen die Heere der feindlichen Brüder zur blutigen Entscheidung aufeinander. Sie fiel zum Nachtheile des älteren Bruders aus. Eine zweite, auf der Ebene von Quipayan geschlagene Schlacht noch mehr: Huaskar wurde da der Gefangene seines Bruders, welcher sich jetzt des ganzen Reiches seines Vaters bemächtigte und mittels Thaten wilder Grausamkeit den Peruanern seinen vollständigen Triumph und die ganze Schwere seiner Despotie verkündigte.

Dies geschah im Jahre 1532, und schon etliche Monate darauf brach das spanische Verhängniß über Peru herein.




4.


Was war aber derweil aus dem Hauptträger dieses Verhängnisses geworden? Wo befand sich Pizarro? In Spanien.

Der weiland Hüter der Schweine hatte aus alledem, was er in Tumbez gesehen und gehört, unschwer die Ueberzeugung geschöpft, daß denn doch seine Absicht, das Inka-Reich zu erobern, und die Eroberungsmittel, über welche er dermalen, das heißt nach endlicher Findung vom El-Dorado, zu verfügen hatte, in einem geradezu lächerlichen Mißverhältnisse ständen. Wir müssen das Geschäft gründlicher nehmen und auf eine solidere Basis stellen, sagte er sich, und maßen dies in dem lumpigen Panama, wohin wir alsbald zurückkehren müssen, keine Möglichkeit ist, so will ich nach Spanien hinüber und die Krone selbst für das Unternehmen zu interessiren suchen.

So that er; denn der Mann war einer von jenen entschlossen Anpackenden, bei denen dem Gedanken so gewiß und rasch die That folgt wie dem Blitze der Donner.

So finden wir zu Anfang des Sommers von 1528 Pizarro in Spanien am Hofe Kaiser Karls des Fünften, in dessen Reichen bekanntlich die Sonne nie unterging, der aber niemals Geld hatte und wie der größte Monarch, so auch der größte Pumper seiner Zeit gewesen ist. Da war es nun merkwürdig, zu sehen, mit welcher Sicherheit der Ex-Eumäus von Truxillo auf dem glatten Hofboden sich zu bewegen wußte. So etwas haben die formsicheren Menschen romanischer Rasse doch vor uns viereckigen Germanen voraus, denen es zwar nicht zur Schande gereicht, daß sie nicht zu schauspielen vermögen, aber auch nicht zum Ruhme, daß sie des Formsinnes mehr als billig ermangeln.

Der durchwetterte Abenteurer gewann dem Kaiser soviel Theilnahme ab, als dieser kalt rechnenden Natur überhaupt abzugewinnen war. Pizarro besaß ja jene kunstlose, aber energische Beredsamkeit, wie sie zum Befehlen bestimmten Menschen angeboren zu sein pflegt. Seine Schilderungen dessen, was er seit zwanzig Jahren in der Neuen Welt geschaut, gehört, gelitten und gestritten, mögen dem Kaiser, welcher sich bislang um die amerikanischen Dinge wenig gekümmert hatte, zuerst eine bestimmtere und deutlichere Vorstellung von der Beschaffenheit und dem Werthe der unermeßlichen Besitzungen beigebracht haben, welche da drüben der spanischen Herrschaft unterworfen waren. Pizarro, der seinen Mann und dessen ewig leere Tasche kannte, unterließ auch nicht, den Goldreichthum des neuentdeckten Landes Peru vor den gierigen Augen Karls schildern zu lassen, und legte um dieses sein Wortgemälde her den Rahmen peruanischer Goldproben, welche er fürsorglich mitgebracht hatte. Der Kaiser empfahl daraufhin Pizarro und dessen Angelegenheit dem „Rathe von Indien“, also der obersten Colonialbehörde Spaniens, und diese hat dann im Juli von 1529 einen förmlichen Vertrag mit unserem Macher in Länderfindung und Gründer von Eroberungsgeschäften abgeschlossen. Kraft dieses Vertrages sollte dem Pizarro, welcher zur Erhöhung seines Ansehens zum Hidalgo (Edelmann) und zu einem Ritter von San Jago gemacht wurde, das Recht der Entdeckung und Eroberung des Landes Peru zustehen und sollte er nach vollbrachter Besitzergreifung Titel, Rang, Machtvollkommenheit und Einkommen eines Statthalters haben. Seine beiden ursprünglichen Mitgründer wurden ebenfalls bedacht, indem Almagro die Bestallung als Gobernador und Pater Luque die als Bischof der Stadt und Provinz Tumbez erhielt. Pizarro seinerseits übernahm die Verpflichtung, binnen sechs Monaten eine feldtüchtige Truppe von zweihundertfünfzig Mann aufzubringen, wobei ihm die Regierung zur Beschaffung von Geschützen und Munition behilflich sein sollte.

Der also mit Brief und Siegel förmlich zum Conquistador ernannte San Jago-Ritter vermochte die seinerseits übernommene Vertragspflicht nur mühsälig zu erfüllen. Im Januar von 1530 segelte er mit der aufgebrachten Streitmacht aus Spanien ab, und als er, in Panama angelangt, seine Mannschaft musterte, hatte er hundertdreiundsechszig Soldaten zu Fuß und siebenundzwanzig zu Pferd in erträglich guter Ausrüstung. Mit dieser Handvoll verwegener Gesellen fuhr Pizarro im Januar von 1531 zur Eroberung Perus aus, nachdem er seinem Geschäftstheilhaber Almagro aufgegeben hatte, in Panama noch weitere Mannschaft anzuwerben und ihm dieselbe unter der Führung tüchtiger Officiere nachzusenden. Dies geschah denn auch und war der eifrige Almagro im Stande, binnen kurzem drei kleine Schiffe mit Verstärkungen seinem Compagnon nachzusenden und zwar unter der Führung von Don Belalkazar und Don Hernando de Soto, zwei Rittern, welche in der Vorderreihe der Eroberer von Peru glänzten und von denen der letztgenannte außerdem als Entdecker des Stromgebietes des Mississippi in der Geschichte Amerikas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_792.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)