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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

das Wasser die Bestellung außerordentlich. Im Winter setzt er sein Feld ganz unter Wasser und findet es im Frühjahre mit fruchtbarem Schlamme bedeckt. Nun läßt er abtrocknen, bearbeitet es in der beschriebenen Weise und säet oder pflanzt nach Bedarf. Tritt dann trockene Witterung ein, so braucht er nur die Wasserquelle zu öffnen, um ohne Mühe die Pflanzen zu begießen und mit feuchter Nahrung zu versehen. Freilich die Hände darf er nicht in den Schooß legen; denn im üppigen Boden wuchert neben dem Kraute auch das Unkraut. Erstaunlich ist dann aber auch die Fülle, mit der die Pflanzen unter guter Pflege gedeihen, und vergebens sucht das Auge ein welkendes Blatt.

Wer Freude hat an üppiger Pflanzenvegetation, wird im Rieselfelde reichlichen Genuß finden. In der Mitte entfaltet sich ein herrlicher Blumenflor in auffallend brillanten Farben. Weiter gehend, hat man Gelegenheit, schönes Spalierobst und reichhaltige Baumschulen zu bewundern; dann folgen Spargel, Artischocken, Kohl, Rüben, Bohnen etc., endlich Getreidefelder und am Ufer der Seine einige Wiesen. Bemerkenswerth sind auch große mit Minze bestellte Flächen. Sie liefern einer daneben liegenden Fabrik wohlriechender Essenzen das Material für die Destillation des Pfefferminzöls. Also inmitten des angeblich durch üble Gerüche verpesteten Feldes bereitet man wohlriechende Essenzen. Man mag daraus ersehen, wie solche Gerüche überhaupt dem Fabelreiche angehören. Nur an frisch gedüngten, im Abtrocknen begriffenen Feldern ist etwas Geruch zu spüren, aber gewiß nicht mehr, als am gewöhnlich gedüngten Boden. Auch das Grundwasser erscheint rein. Wir haben ohne Widerstreben ein inmitten des Rieselfeldes aus einem Brunnen geschöpftes Glas Wasser getrunken und weder am Geschmacke noch am klaren Aussehen desselben Tadel gefunden.

So glauben wir uns zu dem Schlusse berechtigt, daß Boden und Pflanze geeignet sind, den Abfall der Städte ohne Nachtheil für die Gesundheit der Menschen aufzunehmen und in Segen zu verwandeln. Wir können uns den Wunsch nicht versagen, daß viele Städte unseres deutschen Vaterlandes dem aufgestellten Beispiele folgen möchten. Auch müssen wir freudig anerkennen, daß Danzig, um seine übergroße Sterblichkeit zu vermindern, erfolgreich vorgegangen ist, indem es durch seine Canalisationsanlagen den Dünensand befruchtete und insofern Paris noch voransteht, als es durch die Erträge der Rieselfelder auch die Kosten der Wasserförderung erlangt.

Bonn, im October 1874.

Eb. Gieseler, Ingenieur.




Nach fünfzig Jahren.
Aus den Papieren eines Wohlbekannten.
(Schluß.)


„Der Vater“, fuhr der alte Förster in seiner Erzählung fort, „ging nochmals in’s Dorf, um zu erfahren, was jene Trommelschläge bedeuteten. Es war das Signal zum Plündern. Die Soldaten stürzten sich in regellosen Haufen eilig und gierig auf das arme Dorf. Der Vater kam alsbald zurück. Was geschah, erzählte man uns später. Die Franzosen hatten seit zwei Tagen nichts gegessen; der Hunger trieb sie in die Häuser. Ein jedes durchsuchten sie von unten bis oben, vom Keller bis unter das Dach; kein Winkel blieb verschont; mit Lichtern, mit brennenden Spähnen, ja mit lodernden Strohwischen, liefen sie suchend in jede Kammer, in die Ställe und selbst in die Scheune. Nicht blos was sie an Eßbarem fanden, war gute Beute, auch Kühe, Schafe und Schweine führten sie hinweg und alle Kessel, Töpfe und Schüsseln folgten als Koch- und Eßgeschirr hinaus in das Lager, wo man dann zu schlachten und zu kochen begann. Alle Thüren in den Häusern, alle Tische und Stühle, alles Holz und Stroh, Planken und Zäune, mit einem Worte, alles Brauchbare schleppte man ebenfalls fort, um die Koch- und Wachfeuer damit zu nähren, die auf den Feldern in einem weiten Halbkreise vor dem Dorfe nacheinander aufflackerten und die Umgegend grell und schauerlich beleuchteten. Dann trat wieder tiefe Stille ein. Die Bewohner des Dorfes waren zum Theil geflohen, als die Franzosen erschienen, und hatten ihre gesammte Habe preisgegeben; zum Theil waren sie in ihren Häusern geblieben. Die Weiber weinten, und die Männer saßen entweder in dumpfer Ergebung da oder fluchten leise.

Nachdem die Ruhe etwa eine Stunde gedauert hatte, erschreckten uns die früheren unheimlichen Trommelschläge noch einmal und wiederum fielen die Soldaten gleich Heuschrecken über das unglückliche Dorf her. Sie waren gesättiget und kamen nun, um Stroh, Betten, Kleidungsstücke und Decken zu suchen und sich Lagerstätten daraus zu bereiten. Sie suchten wohl auch Geld und Geldeswerth, gewiß ist wenigstens, daß sie alles, buchstäblich alles, was sie forttragen konnten, mit sich nahmen, wenn sie offenbar auch keinen Gebrauch davon machen konnten. In jedem Hause bewegten sich, einander entgegengesetzt, zwei Menschenströme, einer in das Haus hinein, die Treppe hinauf und durch die Kammern, ein anderer die Treppe hinunter und aus dem Hause hinaus. Fünfzig, hundert Mann und mehr noch sollen gleichzeitig in einem der kleinen Häuser gewesen sein. Dieses Hin- und Herwogen unendlicher Menschenmassen dauerte ununterbrochen fort, bis ein anderes Trommelsignal die Soldaten wieder in das Lager rief. Dann trat von Neuem Stille ein. Jeder Soldat bereitete sich draußen auf dem Felde, im jungen Getreide, unter freiem Himmel mit dem, was er erbeutet hatte, eine Lagerstätte, streckte die müden Glieder auf derselben aus und versuchte, zu schlafen. Für die zurückgebliebenen Bewohner des Dorfes aber gab es diese Nacht keinen Schlaf; sie hatten auch nichts, wohin sie ihr sorgenschweres Haupt legen konnten.

Auch wir in unserem Hause, das vom Lager, ja von dem Dorfe aus nicht gesehen werden konnte und deshalb von solchen Besuchen freigeblieben war, wagten nicht, uns zur Ruhe zu begeben. Der Vater saß still am Fenster und horchte auf jedes Geräusch draußen. Marie schmiegte sich in ihrer Angst vor den französischen Soldaten an mich; sie zitterte an allen Gliedern und weinte, so liebevoll ich ihr auch Muth und Trost zuzusprechen nicht müde wurde. Sie fürchtete noch immer, daß auch unser Haus entdeckt und dann von plündernden rohen Soldaten heimgesucht werde. Sie bat sogar unter Thränen: ‚Laßt uns in den Wald fliehen, tief hinein! Dort werden sie uns nicht suchen, nicht finden; mögen sie hier rauben, was ihnen gefällt!‘

‚Noch ist uns ja kein Leid geschehen, Marie,‘ antwortete der Vater, ‚noch ist unser Haus nicht einmal entdeckt worden, und vielleicht ziehen die Soldaten ab, sobald es Tag wird.‘

In diesem Augenblicke verkündigte die Uhr die zwölfte Stunde.

Gleich darauf hörten wir rasche Tritte vor unserem Hause und dann auch ein starkes Klopfen an der verschlossenen Thür.

Marie rief halblaut und unter starkem Zittern:

‚Mein Gott, sie kommen!‘

Dabei sank sie mit gefalteten Händen in die Kniee und betete, daß Gott uns schützen möge.

Der Vater stand auf, um die Thür zu öffnen, da das Klopfen immer stärker wurde.

‚Nicht aufmachen, Vater, nicht aufmachen!‘ bat Marie ängstlich.

‚Es ist nur ein Mann, wie ich sehe,‘ antwortete der Vater. ‚Weisen wir ihn ab, so kehrt er vielleicht zum Lager zurück und holt Andere, um die Thür gewaltsam zu öffnen.‘

Er ging, um die Thür zu öffnen.

‚Ein Bett! … Schlafen … eine Stunde!‘ hörten wir draußen den Fremden in gebrochenem Deutsch sagen.

‚Treten Sie ein!‘ antwortete der Vater, indem er den Mann eintreten ließ, wohlbedacht aber die Thür hinter ihm wieder schloß und bald darauf mit ihm in unserem Zimmer erschien, in dem nur eine kleine Lampe brannte.

Der Fremde war ein Franzose, ein höherer Officier, von Wetter gebräunt, von Pulver geschwärzt, mit kleinen stechenden Augen und harten Zügen. Er mochte etwa in den Fünfzigern sein und machte den Eindruck, als sei er sehr ermüdet und übler Laune.

Der Vater sah ihn lange aufmerksam und kopfschüttelnd an.

‚Ein Franzose!‘ sagte Marie im Tone des Entsetzens, indem sie sich zu mir schutzsuchend flüchtete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_796.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)