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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

starb sie frühzeitig, als Du zehn Jahre alt warst, wie Du Dich erinnern wirst. Von dem Franzosen, der draußen unter der Tanne den Todesschlaf schlief, haben wir niemals etwas vernommen; es scheint keine Nachforschung nach ihm angestellt worden zu sein; mein Vater aber sagte oft: ‚sein Gesicht schwebt mir immer vor, und wenn die Muthmaßung, die sich mir stets aufdrängt, nicht gar zu gräßlich wäre, würde ich sie, wenigstens gegen Dich, ausgesprochen haben, um keinen Preis möchte ich sie aber Marien nur andeuten, denn, wenn ich es thäte, würde sie sicherlich vor Schmerz und Grauen sterben oder wahnsinnig werden.‘“

„Und Du hast nie erfahren, was er meinte?“ fragte der junge Förster seinen Vater.

„Ich erfuhr’s erst kurz vor seinem Tode,“ antwortete dieser, „auf seinem Sterbebette, begann er: ‚Ich muß Dir nun offenbaren, was mir so lange schwer auf dem Herzen gelegen hat, so schwer, daß ich es allein kaum ertragen konnte. Als der französische Officier in jener Nacht Einlaß in unser Haus begehrte und ich seine Stimme vernahm, weckte ihr Klang Erinnerungen aus längst vergangener Zeit in mir, aber sie wurden mir nicht deutlich; als ich dann sein Gesicht sah, wußte ich, daß ich dasselbe sehr oft gesehen, daß ich es sehr wohl gekannt, daß es aber verändert, sehr verändert sei. Als er hier im Zimmer Marien scharf und starr ansah, als er vor sich hinsprach: ‚wunderbar!‘ als weckten ihre Züge in ihm ebenfalls Erinnerungen auf, und zumal als er hastig nach ihrem Medaillon faßte, wurde mir es fast über allen Zweifel klar, wer der Fremde sei. Als er dann, von der Hand Mariens getödtet, im Stübchen lag, faßte mich ein so gewaltiges Grauen, daß ich sein Gesicht nicht noch einmal sehen mochte. Ich bedeckte es mit einem Tuche, damit nicht etwa meine schreckliche Ahnung noch mehr bestätigt werde. Sie ganz zurückzudrängen habe ich nie vermocht, die entsetzliche Ahnung, daß der Fremde kein anderer war als …‘

Er flüsterte den Namen so leise, daß ich ihn kaum verstand. Ich erschrak so, daß ich vor Grauen und Entsetzen aufsprang. Wenn ich auch glauben mußte, daß mein Vater wohl bedacht habe, was er sprach, habe ich doch immer gezweifelt, daß es die Wahrheit gewesen, die er gesagt; jetzt aber, da der Ring in so wunderbarer Weise an’s Licht gebracht, zweifle ich nicht mehr. Das Wappen, das in den Stein eingeschnitten ist, kenne ich sehr wohl; ich habe es ja gar oftmals gesehen auf anderen im Besitze unserer ehemaligen Herrin befindlichen Ringen und in Abdruck auf Siegeln; es ist das Wappen des Gemahls unserer Herrin, des Mannes, den sie, wie Du gelesen, so heiß haßte, der sie aus der Heimath vertrieben und der ihre Güter sich angemaßt, des Mannes, vor dem sie um jeden Preis ihre Tochter schützen wollte. Gott sei Dank, daß dieser, ihrer Tochter, erspart worden ist auch nur zu ahnen, daß der Mann, vor dem sie sich so sehr fürchtete, den sie durch ihr Gesicht wahrscheinlich an ihre Mutter erinnerte und der jedenfalls aus dem Medaillon das Bild des Schlosses erkannte, in welchem sie zusammen gewohnt, daß der Mann, den sie – wenn auch ohne ihre Schuld – erschossen hat – ihr Vater war, der im französischen Heere mit hierher gekommen!

Die Wege des Herrn sind wunderbar.“




Blätter und Blüthen.


Zwei Blätter aus dem „Album für Deutschlands Töchter“ (mit Illustrationen, S. 794 und 795), Blätter aus dem Buche des menschlichen Lebens voll tiefer, rührender Wahrheit. Das ewig alte Leid der Liebe in seiner herzerschütternden Gewalt. Hier der Jüngling, der an der Hand der Mutter sich hülflos niederwirft in heißem Gebete vor dem heiligen Bilde der gnadenreichen Madonna; dort der Mann, der allein mit sich in der Einsamkeit des Friedhofs nach Fassung ringt und seinen stummen Schmerz in tiefster Seele verschließt. Wie oft hat diesen Schmerz der Liebe das Lied des Dichters besungen und die Hand des Künstlers gestaltet! Doch unerschöpflich reich, wie das Leben selbst, bleibt die Kunst in der Verklärung solcher Tragik des menschlichen Herzens, und sie wird stets von ergreifender Wirkung sein, wenn ein Dichter, wie Heine, sich des Stoffes bemeistert. Die Wallfahrt nach Kevlaar zeigt uns so recht, wie wunderbar es Heine verstanden hat, dem Volke sein Empfinden und Sprechen abzulauschen. Betrachten wir das Bild zu diesem Gedichte, dann müssen wir zunächst gestehen, daß gerade der Holzschnitt in seiner kräftigen Unmittelbarkeit sich als vortreffliches Illustrationsmittel solcher volksthümlichen Lieder erweist. Wie lebensvoll und wahr ist jede einzelne Figur dieser mit echt künstlerischem Tacte von Meister Thumann componirten Gruppe! All die Leiden des Leibes und der Seele haben hier ihren ergreifenden Ausdruck gefunden. Wie tief empfunden und wie überaus wirkungsvoll ist der Contrast des lieblichen in ahnungsloser Unschuld dareinschauenden Kindergesichts inmitten dieser herzbewegten, aus Noth und Elend zum Himmel flehenden Menge!

Das zweite Blatt, dem das reizende Lied „Unter den dunkeln Linden“ von Robert Reinick zu Grunde liegt, ist eine höchst stimmungsvolle Naturstudie Heubner’s, deren sorgfältige Durchführung sich auf das richtige Maß zwischen oberflächlicher Skizzirung und subtiler Detailarbeit beschränkt.

Beide Blätter sind einem Buche entnommen, das nun in achter Auflage erscheint und seit mehr als zwanzig Jahren seinen wohlbegründeten Ruf behauptet: dem „Album für Deutschlands Töchter, Lieder und Romanzen. Mit Illustrationen von Thumann, Georgy u. A., Leipzig, C. F. Amelang’s Verlag.“ Die mit sorgsamster Rücksicht auf das Mädchenalter getroffene Wahl der Lieder ist eine überaus glückliche; die Illustrationen rühren von bekannten Meistern her und sind auf das Sauberste ausgeführt. Ueberdies ist die Ausstattung des Buches eine höchst geschmackvolle und glänzende und das Werk somit für den Weihnachtstisch bestens zu empfehlen.




Kleiner Briefkasten.

Dr. A. P. Das Original des in unserer Nr. 43 veröffentlichen Portraits der Freifrau Emilie von Gleichen-Rußwurm befindet sich im Deutschen Hochstift zu Frankfurt a. M. Dasselbe stammt von dem dortigen Maler Ferd. Wolf, welcher noch im Besitze einer Oelskizze der Frau von Gleichen und jederzeit bereit ist, dieselbe künstlerisch auszuführen und zu veräußern.

Dem Sohn des Mars in Berlin. Jede berliner Sortimentshandlung giebt darüber Auskunft. Ueber Dietrich von Falkenberg konnten wir keine Specialitäten erfahren.

A. G. in Neudörfchen. Wenn Sie die ostindische Stadt Tellicherry meinen, so wird Ihre vorgeschlagene Schreibweise Telli-Gherry unrichtig sein, weil man neuerdings sogar Tellitscherry geschrieben findet.

N. N. in München. Der Ring ist richtig angekommen und wird in der letzten Rechnungsablage quittirt werden.




Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!


Bechstein, Naturgeschichte der Hof- und Stubenvögel. 5. Auflage. Mit 79 prachtvollen Vogelportraits in
Farbendruck, eleg. broch. 2 Thlr.
Marlitt, Gold-Else. Illustrirte Salon-Ausgabe. Eleg. geb. mit Goldschnitt 3 Thlr. 15 Ngr.
Marlitt, Gold-Else. 9. Volks-Ausgabe. Eleg. brosch. 1 Thlr., eleg. geb. 1 Thlr. 8 Ngr.
Marlitt, Das Geheimniß der alten Mamsell. 6. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch. 2 Thlr.
Marlitt, Reichsgräfin Gisela. 4. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch. 2 Thlr. 20 Ngr.
Marlitt, Thüringer Erzählungen. 2. Auflage. Eleg. brosch. 1 Thlr. 15 Ngr.
Prutz, Rob., Buch der Liebe. 3. Auflage. Prachtband. 1 Thlr. 22½ Ngr.
Rittershaus, Emil, Gedichte. 4. Auflage. Prachtband. 2 Thlr. 5 Ngr.
Scherenberg, E., Gedichte. 1 Thlr. 22½ Ngr.
Scherr, Joh., Goethe’s Jugend. Gebunden 1 Thlr. 15 Ngr.
Traeger, A., Gedichte. 10. Auflage. Prachtvoll geb. mit Goldschnitt 1 Thlr. 22½ Ngr.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_798.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)