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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

lag ihr Knabe und lauschte, die großen klugen Augen weit offen, den sanften Wiegenliedern der Mutter. Wie schön das Lächeln auf dem Antlitze der Matrone ist, wenn sie des Sohnes denkt! Von dem Kinde in Marbach bis zum Professor in Jena war zwar ein langer Weg, und manche Thräne ist den Mutteraugen bis dahin entquollen, aber – hier richtet sich das graue Haupt höher auf – kaum eine zweite Frau darf sich mit so gerechtem Stolze eine „glückliche, gesegnete Mutter“ nennen, wie sie. – Zuweilen kommt ein Freudenbote in ihre Einsamkeit, ein Brief vom Fritz oder ihrer ältesten Tochter Christophine Reinwald, und dann setzt sich die Schillerin an den Eichentisch und greift zur Feder, und wenn sie auch lange Zeit braucht, bis sie einen Brief „stylisiret“, sie läßt sich die Mühe nicht verdrießen, und bei den Empfängern erregt jeder ihrer Herzensergüsse Freude und Rührung.

Die Briefe von Schiller’s Mutter sind das Zeugniß ihrer Seelengüte und wahren Frömmigkeit Mit echt hausfraulicher Sorgfalt sucht sie die fernen Lieben mit dem zu erfreuen, was ihre eigenen fleißigen Finger geschafft haben.

„Nehme Er, liebster Sohn, dieses Wenige von meinem dankbaren Herzen an. Das Stückle Tuch ist auch von unseren Kindern gesponnen und ich wünschte, daß Er es zu einem halben Dutzend Hemden selbst tragen möchte. Das Tischzeug ist für die liebe Lotte. Nebstdem überreiche für unsern besten Karl die Sacktücher, dem kleinen Ernst Zitz zu Bettkitteln. Hätte ich noch etwas von meinen Sachen, so steht Ihm Alles zu Seinem Verlangen, auch habe ich der Luise schon gesagt, Alles das Beste und Schicklichste soll nach meinem Tode für Ihn und die liebsten Seinigen aufgehoben werden. Wie glücklich und ruhig wäre ich, wenn ich auch noch vermögend an der so herzlich kindlichen Liebe meinen Dank beweisen könnte; denn meine selbstgemachte Leinwand ist immer mehr als noch so gut als in Kaufläden; es schmerzte mich, meinen Fleiß unter fremde Menschen kommen zu lassen. Wir spannen öfters bis Nachts 12 Uhr und der liebe, selige Vater hatte eine große Freude, uns Flachs zu kaufen.“

Bleiben jedoch einmal die Briefe vom Sohne länger, als gewöhnlich, wie geängstigt und besorgt ist dann gleich das treue Mutterherz! So schreibt sie einmal:

„Leonberg, 16. Mai 1797. 

Mein bester Sohn, diesesmal wird uns die Zeit allerdings zu lang, keinen Buchstaben von Ihm in einem Vierteljahr zu sehen; es macht mich anfangen sehr unruhig, da ich alle Posttag vergeblich warte, welches doch in meinen wirklichen Umständen mir den größten Trost auf der Welt noch gewährt – immer gute Nachricht von meinen lieben Kindern zu bekommen. Gott gebe, daß Alles bei Ihm und den Seinigen wohl ist. – Da ich schon so lange keine Nachrichten von Euch Lieben bekommen, so habe ich die Briefsammlung von Ihm noch von Mannheim und Leipzig, Dresden, Weimar und Jena durchgelesen, welche mir theils Thränen, theils Freude gekostet; es stärkt aber immer mein Dankgefühl gegen Gott, der uns schon durch so manche Labyrinthe geführt und doch Alles bisher so weislich zu unserm Besten gefügt und zwar zu unserm ewigen Heile. O, wenn ich zurück denke, wie viele Barmherzigkeit Gott an mir allein erwiesen, so muß ich ausrufen, ich bin viel zu gering aller dieser Gnade, die er an mir und meinen lieben Kindern erwiesen. Es ist unglaublich, daß ich noch lebe und mich so gesund und in Kräften bewegen kann, wenn ich bedenke, was ich schon in etlichen vierzig Jahren um meines Ehestandes durchgemacht, und ich stärke mich immer durch das Vertrauen zu der göttlichen Vorsehung, in dem noch kleinen Rest meines Lebens nicht verlassen zu werden. – Gott erhalte Sein theures Leben in Gesundheit noch lange Jahre, welches ich täglich in meinem Gebete thue. Die treuste und dankbare und Euch Alle zärtlich liebende Mutter S.“

Aber auch in Cleversulzbach sehnt man sich nach der Mutter, und das junge Ehepaar holt sie aus der Unruhe und dem Kriegslärme, welchen die Franzosen in der Umgebung Stuttgarts verbreiteten, in die beschauliche Stille des Dorflebens.

Die Schilderung, die Mörike „im alten Thurmhahn“ entwirft, mochte auch wohl auf das Studirstübchen des Herrn Pfarrer Frankh zutreffen, welches Mutter Schillerin immer mit einer gewissen Ehrfurcht betrat:

„Hier wohnt der Frieden auf der Schwell’,
In den geweihten Wänden hell,
Sogleich empfing sie sondre Luft,
Bücher und Gelehrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtaback.“

Das häusliche Glück ihres jüngsten Kindes wirft neuen Freudenschein über ihre alten Tage: „Die Luise ist wohl und vergnügt und sie schicken sich gut für einander. Er thut sein Amt recht gut versehen und ist auch ein guter Prediger, wie die Leute sehr gut mit ihm zufrieden hier sind,“ berichtet sie dem Fritz, aber so stolz sie auch auf den geistlichen Herrn Schwiegersohn ist, ganz so hoch als den Dichtersohn stellt sie ihn doch nicht im Wissen und Können.

„Pfarrer Frankh wird sich fürchten, an seinen Schwager zu schreiben; verzeih’ Er also, wenn es noch nicht geschehen ist,“ schreibt sie.

Im Pfarrhause hätte man gern gesehen, die sorgende, kluge Großmutter nähme beständig dort ihren Wohnsitz. „Sie wollen haben, daß ich vor immer dableiben soll, zu Diesem bin ich aber nicht entschlossen, weil ich mein Logis in Leonberg nicht ganz vergeben möchte.“

So zieht sie sich denn, als die junge Mutter genesen und sie den Enkel tüchtig gedeihen sieht, wieder auf ihren Wittwensitz nach Leonberg zurück, um nur dann und wann einige Zeit in Cleversulzbach als Gast einzukehren. Die freundliche Gestalt der „Pfarrersmutter“ war gewiß im Dorfe bald bekannt, und man grüßte sie überall ehrfurchtsvoll, wenn sie dasselbe an der Seite der Tochter durchschritt. Das Dörfchen liegt dem Walde nahe, und so wenig malerischen Reiz es an und für sich hat, es besitzt etwas, auf welches seine Bewohner ein besonderes Gewicht legen: „einen Gesundbrunnen“. Unten am Bache befindet sich ein krystallenes Bassin mit starkem Abflusse, von einer Gruppe hochgewachsener Erlen und niederen Buschwerks malerisch umgeben. Der Sage nach soll die Tiefe unergründbar sein. Die Dorfbewohner schreiben dem etwas schwefelhaltigen Wasser Heilkraft zu. Gewiß schöpften auch die beiden Frauen aus dem Pfarrhause auf ihren Spaziergängen an dieser Stelle. Die Mutter Schiller’s war eine große Freundin der Natur. Wie bei ihrem Sohne, so mochte sie auch in dem Mädchen den Sinn für dieselbe geweckt haben, und sicher schlug man an manchem Sonntag Nachmittage den Weg nach dem Walde ein.

Die Pfarrerin Frankh ist, dem noch von ihr existirenden Bilde nach, weder schön noch anmuthig gewesen. Sie hatte hiernach ein scharfes Profil und eine stark gebogene Nase; der Kopf war von reichgelocktem Haare umwallt. Ihre Briefe zeigen sie als gute Hausfrau, Tochter und Gattin; sie pflegte die schwerkranke Mutter mit rührender Liebe bis zum Ende. Auch ihre Gestalt taucht dort zwischen den Beeten des Gartens auf, als:

 – – „Hausfrau, die so reinlich stets
Den Garten hielt, gleich wie sie selber war, wann sie
Nach schwülem Tag am Abend ihren Kohl begoß,
Derweil der Pfarrer ein paar Freunden aus der Stadt,
Die eben weggegangen, das Geleite gab;
Er hatte sie bewirthet in der Laube dort,
Ein lieber Mann, redseliger Weitschweifigkeit.“

Von Leonberg aus schreibt die Matrone am 28. October 1801 einen Brief nach Cleversulzbach, aus welchem ihr ganzer Mutterstolz über den Dichtersohn spricht:

„Auch habe ich vor etlichen Tagen Briefe wieder von Fritzen und Lotte bekommen. Er ist nicht in Berlin gewesen, aber in Dresden und Leipzig, da in letzterem ihm große Ehre geschah. Er schrieb auch, daß ein neues Stück, von ihm gemacht, zu Lieb ihm aufgeführt worden. Als er in die Loge, so wäre Er gleich mit Pauken und Trompeten empfangen worden und nach dem ersten Acte rief Alles zusammen: ‚Es lebe Friedrich Schiller!‘ und er mußte hervortreten und sich bedanken. Als er aus der Komödie ging, nahmen Alle die Hüte vor ihm ab und riefen: ‚Vivat, es lebe Schiller, der große Mann!‘ Das ist freilich eine Ehre, die nur einem Prinzen gemacht wird. – Auch die Lotte schrieb mir, daß ihm so viele Ehre erwiesen worden, daß es sie zu Thränen gerührt.“ –

Das ist der letzte fröhliche Brief, welchen sie schrieb; ihre Gesundheit war stets eine schwankende gewesen, und mehrmals hatten sie heftige Krankheiten bis an den Rand des Grabes gebracht. Nun befiel sie auf’s Neue ein Leiden, dem sie erlag.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_809.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)