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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die Zählung der Erschlagenen schwankt zwischen zweitausend und zehntausend. Daß gar kein aktiver Widerstand geleistet worden, erhellt aus dieser Thatsache: kein Spanier hatte auch nur eine Ritze, geschweige eine Wunde davongetragen, mit Ausnahme des Generals, der, zum Schutze des zu Boden gestürzten Inkas’s herbeieilend, im Gedränge durch das Schwert eines seiner Miträuber leicht an der Hand verwundet worden war.

Atahuallpa setzte seinem furchtbaren Geschicke den Stoicismus seiner Rasse entgegen. Er fand sich, haben seine Verderber ausgesagt, sofort in seine neue Lage. In seinem Gebaren gegen seine Unterthanen stets die feierliche Würde eines stolzen und strengen Gebieters herauskehrend, sei er gegen die Spanier leutselig gewesen und habe sich sogar mitunter zu scherzhaften Aeußerungen herabgelassen. Am Abende des Bluttages mit Pizarro zu Tische sitzend, habe er seine Bewunderung der Geschicklichkeit und Energie, womit die Spanier sich seiner Person bemächtigt hätten, nicht verhohlen und habe geschlossen mit dem Resignationsworte: „So geht es im Kriege zu, siegen, oder besiegt werden (que era uso de guerra vencer i ser vencido).




7.


Selbstverständlich unterließ der Conquistador nicht, dem dreieinigen Gotte und der Himmelskönigin Maria – den Schutzheiligen Spaniens, San Jago, auch nicht zu vergessen – feierliche Dankgebete darzubringen. Hierauf richtete er sich in Kaxamalka ganz als Sieger und Gebieter ein und ließ die Stadt, sowie die Villa des gefangenen Inka’s plündern. Die dort gemachte Beute an Edelsteinen – insbesondere schöne Smaragde – Gold und Silber in Form prächtigen Tafelgeräthes reizte natürlich den Golddurst der frommen Eroberer nur noch mehr. Inbetreff seines kaiserlichen Gefangenen waren die Absichten des Generals noch unbestimmt. Da er aber wahrnahm, was für ein kostbares, die unbedingte Unterwürfigkeit der Peruaner verbürgendes Pfand in der Person Atahuallpa’s sich in seiner Gewalt befand, so gab er sich Mühe, den Gefangenen vorerst bei guter Laune zu erhalten. Soweit die Vorschriften einer strengen Bewachung es gestatteten, durfte der Inka seinen Hofstaat und sein Harem bei sich haben und in den Augen seiner Unterthanen wurde seine unumschränkte Autorität durch seine Gefangenschaft nicht im geringsten beeinträchtigt. Für die Peruaner war und blieb auch der gefangene Atahuallpa der abgöttisch zu verehrende und verehrte Sonnensohn. Hätte dieser ihnen befohlen, den Spaniern bis zum äußersten den Krieg zu machen, sie würden zweifelsohne nicht gezaudert haben, Gut und Blut in diesem Kampfe aufzuwenden. Allein ein solcher Befehl erging nicht an sie, maßen der Inka sehr wohl wußte, daß er sich mittels Ausgebung desselben das Todesurtheil sprechen würde.

Derweil Pizarro auf Verstärkungen von der Seeküste her wartete, gefiel er sich darin, er, dessen Herz von der Härte des unteren Mühlsteins war, gegenüber seinem Gefangenen den süßchristlichen Bekehrer zu spielen. Dabei wiederholte er fortwährend, er und seine Leute seien nur in dieses Land gekommen, um die heilige Religion Jesu Christi zu verkündigen, und es sei daher nur recht und billig, daß sie unter dem sichtbaren Schutze und Beistande Gottes, der allerseligsten Jungfrau und sämmtlicher Heiligen den Sieg davongetragen hätten. Der gefangene Inka schwieg zu dieser süßen Frömmigkeit. Er merkte ja unschwer, was dahinter steckte. War es ihm doch binnen kurzem klar geworden, daß seine Besieger alle die Götter und Göttinnen der christkatholischen Mythologie im Himmel mit großer Devotion verehrten, auf Erden aber nur einen Gott anbeteten, den Goldteufel. Bei dieser ihrer thatsächlichen Religion beschloß er sie zu fassen, indem er sich der Illusion hingab, mittels Stillung des spanischen Golddurstes seine Freiheit wieder zu erlangen. Dieser arme blinde Heide war so thöricht-ehrlich, Wort- und Vertragstreue auch bei den frommen Christen vorauszusetzen. Als ob Söhne der alleinseligmachen Mutter in die schnöde Ketzerei verfallen dürften, Ketzern und Heiden wortzuhalten!

Eines Tages, als Pizarro mit mehreren seiner Officiere bei dem Inka war, nahm dieser das Wort und erbot sich, als Preis seiner Freilassung soviel Gold zu geben, daß der ganze Boden des Gemaches damit bedeckt werden könnte. Die Spanier nahmen das für Großsprecherei und sagten nichts dazu, lächelten aber ungläubig. Gereizt durch dieses Lächeln, stellte Atahuallpa sich auf die Zehen, erhob den Arm, bezeichnete mit der Hand eine Stelle an der Zimmerwand und sagte nachdrücklich: „So hoch, bis hierher will ich das ganze Gemach mit Gold füllen, so ihr mich freigebt.“

Da hat der Goldteufel hellauf in den Spaniern gelacht.

Man kann doch immerhin die Probe machen, ob das Märchenhafte wahr und wirklich sein könnte, dachte der Conquistador und erklärte, das Anerbieten des Inka annehmen zu wollen. Sofort ließ er auch den von Atahuallpa vorgeschlagenen Vertrag urkundlich aufsetzen.

Das Zimmer war nach der niedrigsten Angabe 22 Fuß lang und 17 Fuß breit – nach der höchsten 35 Fuß lang und 18 Fuß breit. Die mittels eines roten Striches rings an den Wänden markirte Linie befand sich 9 Fuß über dem Fußboden. Dieser ganze Raum sollte mit Gold ausgefüllt werden, doch müßte dasselbe nicht zu Barren geschmolzen sein, sondern dürfte die Formen behalten, zu welchen es verarbeitet war. Der Inka ging auch noch die Verpflichtung ein, ein anstoßendes etwas kleineres Gelaß auf gleiche Weise mit Silber zu füllen und zwar zweimal. Binnen zwei Monaten sollte dieser ungeheure Gold- und Silberschatz beigebracht sein.

Und er ward auf- und beigebracht, nachdem der Inka seine Befehle hatte in’s Land ausgehen lassen. Von allen Seiten wurden schwere Lasten von Gold- und Silbergeräthen herbeigeschleppt. Oft gingen an einem Tage solche im Werthe von vierzig- bis sechszigtausend Pesos de Oro (Goldthaler) ein. Von Kuzko allein kamen zweihundert Kargas (Lasten) Goldes. Mußte doch der Korikancha in der Hauptstadt eines Theiles seiner kolossalen Reichthümer sich entäußern, um das Lösegeld für den Sonnensohn zu vervollständigen: siebenhundert Goldplatten wurden von dem Dache und den Wänden des Nationaltempels abgelöst.

Zwischenhinein spielte eine tragische Episode. Der von seinem Bruder in einer Festung eingethürmte Prinz Huaskar hatte die Kunde von dem, was in Kaxamalka geschehen, vernommen. Es schien ihm dienlich, seine Freiheit, vielleicht gar die Inka-Borla wieder zu erlangen. Er wußte Mittel und Wege zu finden, an Pizarro eine Botschaft gelangen zu lassen, des Inhalts, er, Huaskar, sei erbötig, für seine Befreiung den Spaniern ein noch größeres Lösegeld zu bezahlen, als das ihnen von Atahuallpa gebotene; denn dieser, welcher niemals in Kuzko gelebt hätte, wüßte ja gar nicht, was für Schätze die Hauptstadt bärge.

Der Conquistador erkannte sofort, daß sich aus dem Streithandel zwischen den beiden feindlichen Brüdern allerhand Vortheile ziehen ließen, und theilte seinem Gefangenen mit, er beabsichtigte, den Prinzen Huaskar nach Kaxamalka bringen zu lassen, um hier den Thronstreit zu untersuchen und zu entscheiden. Allein diesmal kam Atahuallpa ihm zuvor. In Vollstreckung insgeheim von dem Inka abgesandter Befehle wurde der arme Huaskar, der rechtmäßige Erbe von Peru, im Flusse Andamarka ertränkt. Pizarro empfand diesen Todesfall als den Verlust einer schweren Trumpfkarte im Spiele seiner Politik, allein sein Verdruß ward ihm versüßt durch den großen Glücksfall, daß sein Mitgründer Almagro zu Ende Decembers von 1532 mit drei Schiffen an der Küste nahe bei San Miguel landete und sodann Mitte Februars von 1533 mit einer tüchtigen und wohlgerüsteten Verstärkungsmannschaft von hundertfünfzig Fußgängern und fünfzig Reitern in Kaxamalka einrückte.

Der gefangene Inka freilich konnte in den neuen Ankömmlingen nur zweihundert Land-, Leute- und Goldräuber mehr erblicken. Seine Stimmung verdüsterte sich überhaupt mehr und mehr. Ein Komet erschien am Himmel, und einer der Wächter zeigte dem Gefangenen das Meteor. Er sah es lange an und sagte dann kummervoll: „Ein solcher Stern ist auch kurz vor dem Tode meines Vaters Huayna Kapak am Himmel aufgegangen.“

Die Erfüllung der düsteren Ahnungen des brudermörderischen Gefangenen ließ nicht lange auf sich warten. Schon war die Nemesis hinter ihm her, aber wie so oft, gefiel es ihr auch diesmal, ein Verbrechen mittels eines andern zu bestrafen.

Pizarro’s Bande vermochte die Gier, die ungeheure Beute, welche sich tagtäglich vor ihren Augen mehr und mehr aufhäufte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_821.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)