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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

vergönnt. Unsere Augen hängen an dem Zuge, so weit sie ihm folgen können. Baum um Baum erglüht im Widerscheine des dahineilenden Fackellichts, als wäre das der Waldgruß für den einsamen Gebieter, und endlich ist’s wieder nur die Krone, die noch erleuchtet schwebt, bis Roß und Mann dem Gesicht entschwinden und das verhallende Geräusch der nächtlichen Stille ihr Alleinrecht zurückgiebt.

Man wird es uns nicht verdenken, daß das seltene Erlebniß uns mächtig aufregte. Wir hatten das Kunstwerk von Schlittenbau und plastischer Zierde gesehen, dessen Lobpreisung längst durch alle Blätter gegangen war, ohne daß sich damit eine nähere Beschreibung desselben verbunden hätte; ja wir hatten den vielbesprochenen jungen Monarchen in einer seiner bevorzugtesten Eigenthümlichkeiten, im geheimnißvollen und einsamen Genusse der Natur und königlicher Pracht zugleich gesehen. In aller Weise hochbefriedigt, eilten wir nun unserer Nachtherberge zu.

S. entwarf noch vor dem Schlafengehen die Skizze dieser königlichen Nachtfahrt; mir gelang es während unserer Gebirgswinterreise, ihm eine genaue Abbildung des Prachtschlittens dazu zu verschaffen – wie und von wem, muß mein Geheimniß bleiben. Nach dieser Zeichnung ist der Schlitten in künstlerischer Beziehung von hohem Werthe. Die beiden Tritonen, welche mit dem langen, gewundenen und mit Schwanzflossen endenden Fischleibe, auf die Kufen gestützt, die Muschel auf den Schultern tragen, sind ebenso Vertrauen erweckend kräftige Gestalten, als die die Decke mit emporgehobenen Armen haltende Nereide sich durch reizend schöne Körperformen auszeichnet. Die bedeutungsreichste Zierde bilden aber offenbar die Emblementräger an den zu ansehnlicher Höhe emporragenden Kufenbogen. Es sind deren neun. Drei stützen in der Stangenhöhe der Kufen ein Blatt, aus welchem zwei Amoretten stehen, von denen der eine das Schwert, der andere etwas nicht genau Erkennbares trägt; über diesen schwebt ein sechster, gleichsam dem im Schlitten Sitzenden den Siegerkranz darreichend; noch höher erhebt sich der Scepter- und über diesem der Reichsapfelträger, und zuoberst kniet auf dem in Form eines Krummstabes geschwungenen Bogenende die beflügelte Kindesgestalt, welche eine Krone auf der linken Schulter emporhebt. Eine vollständigere Verherrlichung des Königthums in mythologischem Rococostil ist schwerlich noch einmal in der Welt zu finden.

Ich darf nicht verschweigen, daß, so wenig wir auf unserer Reise durch Baiern bis Füßen an die Person des Landesregenten gedacht hatten, so sehr seit der Schlittennachtfahrt er unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Unwillkürlich brachten wir mit ihm Alles in Beziehung, was wir in und um Hohenschwangau sahen, und benutzten von da an jede Gelegenheit zu Nachforschungen nach den so verschieden beurtheilten Eigenthümlichkeiten des ungewöhnlichen Mannes. Um so überraschender war es für uns, daß wir in dem bis dahin sehr schweigsamen F. M. den genauesten Kenner und gewissenhaftesten Forscher auf diesem subtilen Gebiete besaßen, als er endlich in Reutte in die Stimmung kam, das Schloß vom Munde zu nehmen.

In Reutte nämlich, wo, wie Schaubach sagt, „der Bildersaal des Lechthals“ sich aufthut und wo unsere Gebirgswinterlandschaftssehnsucht von Neuem lohnendste Befriedigung fand, folgten wir der Führung M.’s. Nachdem er in dem Gasthause, welches er uns angewiesen, mit der Wirthin gesprochen, mußten wir ihm in ein Zimmer folgen, in welchem wir nichts als die einfachste Einrichtung vorfanden. „Sehen Sie sich dieses Stübchen recht genau an!“ sagte er; „in diesem bescheidenen Raume bringt König Ludwig manche Stunde ernster Arbeit zu, denn hier, und in guter Jahreszeit an einem Tisch im Freien, da drunten im Hausgärtchen, vollzieht er sehr oft seine Staatsgeschäfte, und zwar mit der musterhaftesten Gewissenhaftigkeit. Ich muß meinem Herzen die Freude machen, Ihnen vor Allem ein unbedingtes Lob des Königs auszusprechen. Minister und Andere berichten geradezu Staunenswerthes aus den Audienzen: wie rasch der König auffasse, wie lange er sich genau erinnere, mit welcher Schärfe er unterscheide, mit welcher Raschheit und Bestimmtheit, ohne das bei seinen Vorgängern so oft beklagte Schwanken, er sich entschließe. Nie sind im Ministerium die königlichen Entscheidungen, trotz der häufigen Abwesenheit des Königs im Gebirge, so rasch eingetroffen, nie war der Geschäftsgang in dieser Hinsicht ein so geordneter, wie unter ihm. Das sind sehr schätzenswerthe Regenten-Eigenschaften, Ihr Herren, und darum war es mir seit Jahren eine sehr ernste Sache, über Leben und Wesen dieses Fürsten, und namentlich die Contraste, welche dasselbe für die gewöhnliche Auffassung so unklar erscheinen lassen, mir durch vielseitigste Forschungen volle Klarheit zu verschaffen Ich habe dies nicht gethan, um Beiträge zu einer bekannten ‚Geschichte der Höfe‘ zu liefern und der unlautern Gier nach Pikantem zu fröhnen, sondern der Wahrheit zu Ehren und um einer Partei, welche aus Haß gegen Deutschland und jeden Fortschritt so gern – und das ist ein öffentliches Geheimniß in ganz Baiern – die Krone des Landes auf einem andern Haupte sähe, in der Presse um so entschiedener entgegentreten zu können. Was ich erforscht, hat mich bald mit Freude, bald mit Wehmuth und oft mit Schmerz erfüllt, und nun sollen Sie es hören, und zwar in diesem Zimmer.“

Stundenlang saßen und lauschten wir, aber – aber – wie übel bin ich gestellt, aus dem vielen nicht Mittheilbaren das wenige Mittheilbare auswählen zu sollen! Die Gesetzgeber auf den Thronen wissen nicht, welch Unheil sie angerichtet haben, als sie aus der schlimmsten Zeit des römischen Reichs den Begriff der „Majestätsbeleidigung“ hervorzogen und den schreckhaften Paragraphen fortführten bis ist die jüngsten Preßgesetze. Wie viele unschätzbare Wahrheit ging dadurch für Diejenigen verloren, für die sie gerade von der höchsten Bedeutung ist! Die Lehren der Geschichte sind, wie Jeder an sich erkennen muß, gleich „fremden Erfahrungen“, von denen nur Wenige lernen, und so geht fort und fort das Leiden durch die Welt, daß über die Fürsten die Wahrheit zu spät für sie selbst an das Licht kommt, erst wenn sie todt sind. – Nur an Unverfängliches, Harmloses darf die Feder sich wagen, und das sei hier geboten.

Will man ein irgend gerechtes Urtheil über Jemanden ermöglichen, so ist es nothwendig, nicht bloß die Erziehung etc., sondern auch erbliche Familienanlagen in’s Auge zu fassen. Bekanntlich vereinigten sich bei Ludwig dem Ersten die widersprechendsten Anlagen und Eigenschaften: Er war „teutsch“ gesinnt und hartnäckigst particularistisch; in Kunstdingen liberal, in Politik despotisch; leutselig und rücksichtslos, ja grausam verletzend; gescheut und jesuitenfeindlich und doch pfäffisch-ultramontan. Auch Max der Zweite offenbarte sehr schroffe Contraste: er war pfaffenfeindlich und doch „hat er mehr für die katholische Kirche gethan, als irgend ein bairischer Fürst“ (Geschichte vom Archivrath Dr. Söltl); scrupulös gewissenhaft als Monarch, und doch vor Verfassungsverletzung nicht zurückscheuend; er liebte aus Gesundheitsrücksichten die Jagd, ließ sich aber überall bequeme Reitwege bauen, um zu den Jagdplätzen hinaufreiten zu können, setzte sich dann auf einen Feldstuhl und las in überall mitgeschleppten Büchern, bis sein Büchsenspanner ihn anstieß und auf die Gemse zeigte. Liebenswürdig im Umgang, errichtete er Abendgesellschaften mit Rauchzimmer, aber ein Wort eines Geladenen, zum Beispiel Bluntschli’s, konnte ihn dabei so verletzen, daß er ihn, den vorher Gerufenen, wieder zum Lande hinausjagte; den Abgeordneten Völk hielt er sehr werth, bis dieser einmal sagte, es helfe nichts, von „deutscher Gesinnung“ immer zu reden, man müsse auch, Souveränetätsrechte opfernd, handeln: da fiel er in mehr als Ungnade.

Was nun Erziehung und Unterricht betrifft, so hat namentlich bei König Ludwig dem Zweiten die außerordentliche Begabung und der Privatfleiß Vieles gut machen müssen, was von Seiten des Vaters hierin versäumt worden war. König Max hielt ihn und den Prinzen Otto mit einer auffallenden Kälte und Unnahbarkeit von sich ab, wohl weil er sicher auf längeres Leben hoffte und daher glaubte, es käme für ihn noch die Zeit, an die Erziehung seiner Söhne zu gehen. Wenn er aber Klagen hörte, war er sehr streng und züchtigte. Die ebenso herzensgute als, wie sie während des Kriegs bewies, auch opferbereite Königin schmerzte dies so tief, daß sie sehr bald deshalb das Verschweigungssystem vorzog.

So schon in zarter Jugend viel auf sich selbst angewiesen, gewann der junge Prinz sehr bald eine Selbstständigkeit, die ihn in den Stand setzte, sich eigene und ganz eigenthümliche Ziele zu stecken und sie später als König mit überraschender Energie zu verfolgen. Bis jetzt sind es zwei Richtungen seines Geistes,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_841.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)