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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

welche die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und der Presse Jahre lang Stoff zu den verschiedenartigsten Beurtheilungsweisen dargeboten haben.

Das Nächstliegende ist sein Verhältniß zu Richard Wagner. In der That identificirte der König sich so vollständig mit diesem Musikfürsten, daß er ihn völlig wie seinen „geistigen“ Vater verehrte. Er las halbe Nächte lang nur Wagner’sche Schriften, spielte auf dem Clavier nur Wagner und wollte nur Wagner hören; dies ist übrigens noch heute der Fall, wenn auch Schauspiele mit Beziehungen auf Louis den Vierzehnten oder den Fünfzehnten neben jene Vorliebe getreten sind. Von den Ansprüchen des geliebten Maestro an die königliche Civilliste wird so unglaubliches berichtet, daß wir es hier nicht nacherzählen wollen. Allbekannte Thatsache ist es aber, daß die Eitelkeit und Anmaßung Wagner’s es so weit trieb, bis der Unwille von allen Seiten gegen ihn losbrach und sein König selbst ihn in München nicht mehr halten konnte.

Von allen Werken Richard Wagner’s äußerte die Oper Lohengrin den stärksten Eindruck auf den König, obwohl er auch zu anderen Opern Wagner’s sich von Künstlern eigene Bilder und Cartons fertigen ließ, um einzelne Scenen immer vor Augen haben zu können. Der Schwan (welcher übrigens auch bei Max dem Zweiten im Hohenschwangau eine große Rolle spielte) wurde für ihn eine Art Sinnbild, und die schmeichlerische Geschäftigkeit Dritter brachte ihn überall an.

Eine große Vorliebe faßte der König für die Schweiz, in Folge der nothgedrungenen Uebersiedelung Richard Wagner’s dahin, und im Zusammenhange damit ließ er sich kostbare Decorationen vom Vierwaldstätter See durch deshalb eigens an Ort und Stelle geschickte Theatermaler herstellen. Die Sammlung derselben ist so reich und trefflich, daß der König nicht selten für sich allein bloße Decorationsvorstellungen geben läßt.

Für das Decorations- und überhaupt für Theaterwesen hat übrigens der König auch an sich und abgesehen von jedem Zusammenhange mit Richard Wagner ein leidenschaftliches Interesse. Er kennt einzelne Theaterstücke von Schiller auswendig und ließ sich oft theils Schauspieler, theils Schauspielerinnen (unter Anderen die Frau von Buljowsky) in die Residenz kommen, um sich Stücke vorlesen oder einzelne Partien einer Rolle vorrecitiren zu lassen. Wenn hierbei dem Recitirenden einmal der Faden zerriß, so vermochte der König stets sofort aus dem Gedächtniß ihm einzuhelfen. – Die Vorliebe für Decorationen ging so weit, daß der König in der grandios-lieblichen Natur Hohenschwangaus sich bekanntlich selbst in seinem Schlafzimmer eine Gebirgsdecoration herrichten ließ, hinter welcher er durch einen vom Bette aus dirigirbaren Zug den Mond aufgehen lassen konnte.

Ueberhaupt ist Romantik ein Grundzug im Geistesleben des Königs, und sie ist von Richard Wagner wohl am meisten gesteigert worden. Man denke sich diese Einwirkung und die Jugend des so ganz unvorbereitet zur königlichen Macht gelangten Fürsten, und man wird selbst bedenkliche Excentricitäten ganz erklärlich finden. Greife doch Jeder in sein eigenes Herz und Gedächtniß, versetze er sich in seine Jugendzeit zurück und denke, wohin sein dieser Zeit entsprechender romantisch-schwärmerischer Zug gekommen sein würde, wenn er ihm mit achtzehn Jahren frei wie ein König hätte nachgehen können! Selbst der greise König Johann von Sachsen äußerte bei einer gelegentlichen Anwesenheit in München, er begreife vollständig den Einfluß Richard Wagner’s auf den jugendlichen König von Baiern, habe doch er selbst sich kaum von dem Zauber, welchen Wagner auf ihn ausgeübt, zu befreien vermocht.

Der angeborene Kunsttrieb wurde durch dieselbe hohe Anschauung des Königthums, von welcher der Schlittenschmuck Zeugniß giebt, auch auf die Baukunst übergeleitet. Das Bergschloß Hohenschwangau, das stolze Werk des Vaters, soll durch einen nach Lage und Stil noch romantischeren und prachtvolleren Bau übertroffen werden. In der Nähe desselben strebt ein steiler Fels aus düsterem Waldesdunkel hoch empor. Auf diesem fast unzugänglichen Felsen, auf welchem nur schwer ein Untergrund künstlich herzustellen war, ersteht auf des Sohnes Geheiß ein zweites Königsschloß: Neu-Schwanstein. Ein anderes Gebirgsschloß ließ sich der König unweit von Oberammergau bauen: den „Linderhof“. In tiefster Einsamkeit erhebt sich ein mit Luxus gebautes und besonders im Innern mit den reichsten, aber auch geschmackvollsten Möbeln ausgestattetes und mit Frescomalereien geschmücktes wahrhaft königliches Schloß.

Noch prachtvoller ist das auch weit romantischere Schloß „Am Schachen“. In der Abgeschiedenheit eines wahrhaft kolossalen Gebirgsstockes (Wetterstein) im Rain-Thale, zwischen Zugspitz und Karwendel, schwebt hoch oben auf schwindelnder Höhe die mit wahrhaft orientalischem Luxus ausgestattete Königsburg. Maurische Säulen und Springbrunnen à la Alhambra, zwischen und über duftenden südlichen Gewächsen plätschernd, zaubern auf kalter Bergeshöhe ein Bild von „Tausend und eine Nacht“ voll südlicher Gluth herbei.

Diese Freude an der Nachahmung der Natur durch die Kunst und ebenso der durch die Kunst geschmückten Natur ließ in dem König sogar den Wunsch auftauchen, auch den Vulcan in seine Alpen hereinzurufen. Vom Schachen aus sieht man einen Bergkegel, welchem gegenüber der König gern schöne Mond- oder Sternennächte bald im Freien, bald in einem Pavillon, immer aber allein und mit möglichst entfernter Dienerschaft, zubrachte. Dieser Bergkegel entfaltete nun in einer Nacht eine kunstreiche vulcanische Thätigkeit: sein Haupt warf Feuer aus und ließ glühende Lava rinnen. Es soll ein schönes Schauspiel gewesen sein, wurde aber, der Kostspieligkeit wegen, nicht oft wiederholt.

In diesen Feensitzen weilt der junge König größtentheils „mutterseelenallein“, wie das Volk die tiefste Einsamkeit so herzig bezeichnet. Nur mit dem nothdürftigsten Personale von Dienern, welche zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet sind, bezieht der Fürst möglichst ungesehen, wo möglich bei Nacht und Fackellicht, diese Bergasyle. Früher ritt der König, später ließ er sich eigene kleine Wagen bauen, in welchen er auf den Reitwegen auf die Höhen fahren kann. Niemand darf die neuen Bergschlösser betreten, gleichviel ob der König gerade darin weilt oder nicht. Eine auffallende Ausnahme ist es, wenn der König einmal einen andern Sterblichen auf sein Bergschloß einladet. Auch ein solcher wird nur zur Nachtzeit hinauf- und nach kurzer Audienz wieder herabgeleitet.

Selbst der Diener braucht zur Servirung des Tisches des Königs Zimmer nicht zu betreten. In Linderhof ist dazu eine Art „Tischlein deck’ dich“ eingerichtet, welches von einem untern Stockwerke unsichtbar in das obere emporgehoben und auf ein Zeichen herabgelassen und mit der nächsten Speise versehen wieder nach oben befördert wird.

In neuester Zeit äußert sich die Liebe zur Abgeschlossenheit besonders darin, daß der König selbst seine Leidenschaft für das Theater mit jenem Triebe in Einklang bringt. Er läßt ziemlich häufig im Residenztheater oder selbst im großen Hoftheater für sich ganz allein Theaterstücke oder Opern aufführen. Dieselben beginnen erst zu einer vorgerückten Stunde und endigen meist spät nach Mitternacht. Ueberhaupt übt gerade die späteste Nachtzeit auf ihn ihren Reiz aus. Früher machte der König im Gebirge insbesondere zur Nachtzeit große Ritte, nur von einem Stallknechte begleitet. Auch jetzt liebt der König noch vorzugsweise zur Nachtzeit zu reisen, nur geschieht es seit den letzten Jahren immer zu Wagen oder Schlitten wie wir ja selbst gesehen haben.

Als das Verhältniß zu Richard Wagner gelockert und der Wunsch der nächsten Verwandtschaft des Königs durch Entfernung Wagner’s von München erfüllt war, trat unseres Wissens alsbald eine gewisse Vorliebe für Louis den Vierzehnten und sein ganzes Wesen ein. Insofern lag hierzu schon eine Anlage vor, als der junge König, unvorbereitet zum Throne wie er war, das Königthum in einer gewissen subjectiven Weise auffaßte. Zu verwundern ist es darum nicht, wenn, auch nachdem die constitutionelle Auffassung des Königthums ihm heiliger Ernst geworden war, mitunter der Gedanke durchbrach: es wäre denn doch recht hübsch, zur Zeit Ludwig’s des Vierzehnten gelebt zu haben, oder – er selbst gewesen zu sein. Gewiß ist, daß diese Vorliebe zu einem sehr hohen Grade gedieh. Trotz der königlichen Abneigung gegen das republikanische Frankreich wurde plötzlich nach Paris und Versailles gereist und das Musterschloß des vierzehnten Ludwig in Augenschein genommen, obwohl Baiern in dem königlichen Lustschloß Nymphenburg bei München bereits eine Stylnachahmung und eine sehr schöne Copie des berühmten Versailler Theaters in dem sogenannten Residenztheater besitzt. Auch der Literatur über die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_842.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)