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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Truppen befand sich damals gerade an der Südküste der Insel Martinique. Alle diese Schiffe wurden bis auf deren sechs oder sieben, die dem Untergange entrannen, vernichtet. Aber auch die englische Kriegsflotte, unter Sir Georges Rodney, wurde zerstört.

Von dem Sturme, der am 10. August 1831 auf der Insel Barbados wüthete und von hier in sechs Tagen bis nach New-Orleans hinschritt, berichtet ein Augenzeuge Folgendes. Der Orkan begann um neun Uhr Abends mit mäßigem Nordwinde. Bald folgten einige Windstöße, die durch ruhige Pausen getrennt waren. Nach Mitternacht flammten die Blitze furchtbar und der Sturm brauste aus Nord und Nordost. Um ein Uhr Morgens raste der Wind mit furchtbarer Wuth und wandte sich plötzlich von Nordost in Nordwest. Gegen zwei Uhr war das Heulen des Orkans so arg, daß keine Sprache es zu beschreiben vermag. Lieutenant Nickle hatte unter einem Fensterbogen Schutz gesucht und hörte wegen des Sturmes nicht das Einstürzen des Daches und des obern Stockwerkes. Um drei Uhr nahm der Wind ab; auch das Flammen der Blitze hörte einen Augenblick auf, und eine schreckliche Finsterniß hüllte die Stadt ein. Das dumpfe Geräusch des Windes sank zu einem majestätischen Gemurmel herab. Nach einer halben Stunde, während deren das elektrische Feuer zwischen den Wolken und der Erde eine großartige Thätigkeit entwickelt hatte, brach der Orkan wieder aus, dieses Mal aus Westen, tausend Trümmer als Wurfgeschosse vor sich her treibend. „Die festesten Gebäude erbebten in ihren Grundmauern, ja die Erde selbst zitterte, als der Zerstörer über sie hinwegschritt. Kein Donner war zu hören, als das gräßliche Geheul des Windes, das Brausen des Oceans, dessen mächtige Wellen alles zu zerstören drohten, was die anderen Elemente etwa verschonen möchten; das Gerassel der Ziegel, das Zusammenstürzen der Dächer und Mauern und die Vereinigung von tausend anderen Tönen bildeten ein Entsetzen erregendes Geräusch. Nach fünf Uhr ließ der Sturm einige Augenblicke nach, und da hörte man deutlich das Fallen der Ziegel und Bausteine. Um sechs Uhr war der Wind Süd, um sieben Uhr Südost, um neun Uhr schönes Wetter. Der Anblick der Gegend war der einer Wüste, nirgends eine Spur von Vegetation, einige Flecke welken Grüns ausgenommen. Der Boden sah aus, als wenn Feuer durch das Land gegangen wäre, welches alles versengt und verbrannt hätte.“

Wie furchtbar aber auch in Westindien, Frankreich, Holland und anderen Gegenden die Gewalt der entfesselten Naturkraft auftreten mag, so verschwinden ihre Schrecken doch vollständig vor jenen, mit welchen Sturm und Fluth gelegentlich die nordfriesischen Inseln an der Westküste Schleswigs bedrängen. Theils friedlich, theils in tobendem Kampfe hat hier seit Jahrhunderten die See das Land fortgeführt, und wo einst Dörfer und Kirchen standen, rollen nun die Wogen der unermeßlichen See. Allein seit dem elften Jahrhunderte haben die wackeren Friesen auf jenen Landfetzen einhundertundfünfzig Sturmfluthen ausgehalten. Mancher Schiffer, der heimkehrte aus entlegenen Zonen, fand die grüne Wiese um den Wurthügel, der sein Haus trug, vom Wasser des Meeres bedeckt; ja, dort gab es, wie Weigelt in seinem wundervollen Buche über die nordfriesischen Inseln sagt, Leute, welche ihr Heimathland überlebten. Nicht leicht läßt sich etwas Schreckhafteres denken, als eine Sturmnacht auf einer kleinen Erdscholle mitten in der See, wenn schäumende Wogen die Mauern durchbrechen und die Bewohner im Giebel des Hauses Schutz suchen müssen. Und damit auch das Schauerliche dem Schreckensvollen nicht fehle, so erzählt man aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem Pastorat der Hallig Gröde, daß damals eine Sturmfluth die Särge aus den Gräbern riß; sie stießen mit den Wogen gegen die Wände des Hauses und drangen in’s Zimmer. „So kamen im Geheule des Sturmes die Todten, um die Lebenden zu rufen.“

Wenden wir uns nun von den Erscheinungen, welche die Stürme im Einzelnen darbieten, zu den allgemeinen Gesetzen, denen sie bei ihrem Auftreten gehorchen. Wir begegnen dabei gleich der merkwürdigen Thatsache, daß ein Sturm sich stets durch ein mehr oder weniger rasches Fallen des Barometers, also durch eine Abnahme des Luftdruckes ankündigt. Schon der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guerike, der Erfinder des Barometers, hatte die Bemerkung gemacht, daß, wenn das Wettermännchen in seiner mit einer Flüssigkeit angefüllten und oben verschlossenen Glasröhre am tiefsten stand, sehr heftiger Wind aufzutreten pflegte; er schrieb daher an den tiefsten Punkt derselben das Wort „Sturm“. Gegenwärtig bildet die Beobachtung des Barometers für den Seefahrer eine wichtige Arbeit. Der berühmte Nordfahrer Scoresby erklärt, daß er in Folge der aufmerksamen Beobachtung der Warnungen des Barometers mehrmals drohenden Stürmen entgangen sei.

Im Allgemeinen kann man annehmen, daß ein Sturm um so heftiger sein wird, je rascher und tiefer das Barometer fällt. Meist dauert es noch einige Stunden nach dem Fallen des Barometers, ehe der Sturm sich einstellt, oft ist er aber auch sehr schnell da. Am 3. August 1837 wurde zu Puerto Rico um vier Uhr Nachmittags angekündigt, daß bei dem ungewöhnlich starken Sinken des Barometers Sturm drohe. Derselbe traf so schnell ein, daß dreiunddreißig vor Anker liegende Schiffe nicht gerettet werden konnten. Der furchtbare Teifun vom 6. October 1831 erschien so rasch nach dem Falle des Barometers, daß die Schiffe im Hafen von Macao nicht die geringsten Vorkehrungen treffen konnten und Tausende von Fahrzeugen sammt ihrer Ladung zu Grunde gingen.

Colonel Copper war der Erste, welcher die Erscheinungen der Teifuns genauer studirte, indem er die an verschiedenen Punkten gemachten Beobachtungen miteinander verglich. Er kam im Jahre 1801 zu dem überraschenden Resultate, daß die ostindischen Orkane ungeheure Wirbelwinde seien, bei welchen die Luft sich kreiselnd um den Ort bewege, an welchem der geringste Barometerdruck stattfindet. Dieses Ergebniß wurde damals allerdings wenig beachtet. Erst als Dove nachwies, daß der große Sturm am Weihnachtstage des Jahres 1818 ein ungeheurer Wirbelwind gewesen sei, dessen Centrum von Brest in Frankreich über den Canal, England und die Nordsee, gegen die Südspitze von Norwegen fortschritt, wurde die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt rege. Drei Jahre später kam Redfield zu dem Ergebnisse, daß auch die westindischen Hurricanes und Tornados Wirbelstürme seien und daß die Luft in ihnen stets in entgegengesetzter Richtung wirbelt, wie sich der Zeiger einer Uhr dreht. Umgekehrt geschieht auf der südlichen Erdhälfte die wirbelnde Bewegung der Luft in derselben Richtung wie die Bewegung des Uhrzeigers. In der Meteorologie sagt man kurz: die Stürme der nördlichen Erdhälfte drehen gegen die Uhr, die der südlichen Halbkugel mit der Uhr. Die Geschwindigkeit der wirbelnden Bewegung, also die Gewalt des Sturmes nimmt von außen gegen den Mittelpunkt des Wirbels hin zu, im Centrum selbst aber, wo das Barometer am niedrigsten steht, herrscht meist völlige Windstille. Sobald daher der Mittelpunkt eines Sturmes über einen Ort hinwegschreitet, verstummt das Geheul des Windes wie durch Zauberschlag. Der Unkundige freut sich dessen und glaubt alle Gefahr plötzlich verschwunden, aber der erfahrene Schiffer benutzt die kurze Rast, um sich für den Eintritt in die zweite Hälfte des Wirbels vorzubereiten. Oft nach wenig Minuten, bisweilen aber auch nach einigen Stunden ist dieser angelangt und der Sturm setzt mit gleicher Wuth wie früher, aber nun aus der entgegengesetzten Richtung kommend, ein. Im Allgemeinen ist die Heftigkeit dieser Stürme um so größer, je kleiner der Durchmesser der wirbelnden Luft ist, und die Stärke des Windes vermindert sich in dem Maße, wie der Orkan seine Wirbel ausdehnt, was im Verlaufe seiner Fortbewegung geschieht. Aus diesem Grunde sind auch diejenigen Stürme, welche, von Westindien kommend, bisweilen die ganze Breite des Atlantischen Oceans überschreiten und sich der europäischen Küste nähern, hier bei weitem nicht mehr so heftig wie in der Nähe der amerikanischen Gestade.

Ich habe bereits bemerkt, daß der Mittelpunkt eines Wirbelsturmes durch den Ort des niedrigsten Barometerstandes bezeichnet wird, und daß dieser Mittelpunkt nicht stehen bleibt, sondern sich über die Erdoberfläche fortbewegt. Wenn man nun, auf Grund der Beobachtungen, untersucht, in welcher Richtung die Fortbewegung dieses Sturmcentrums stattfindet, so ergiebt sich, daß die westindischen Hurricanes, so lange sie in der heißen Zone bleiben, alle von Südost nach Nordwest vorschreiten, sobald sie aber auf diesem Wege in die gemäßigte Zone gelangen, biegen sie sofort um und schreiten nun von Südwest nach Nordost vorwärts. Umgekehrt verhält es sich mit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 845. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_845.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)