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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

sein, und sollte er denn wirklich keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Thieren haben, obgleich alle körperlichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich die höheren Säugethiere, besonders in ihrer Entwickelungszeit, auszeichnen, auch dem Menschen zukommen? – obgleich der Aufbau seines Körpers ganz auf dieselbe Weise zu Stande kommt wie der aller übrigen Thiere (mit Ausnahme der Urthiere), nämlich mit Hülfe der sogenannten Keimblätter (siehe unten)? – obgleich der Mensch während seiner ganzen Lebenszeit Anhängsel an verschiedenen seiner Organe an sich trägt, die für ihn ohne allen Nutzen sind und nur Erbstücke von seinen thierischen Vorfahren sein können (die sogenannten rudimentären Organe, wie die Ohrmuskeln mit den vielen und überflüssigen Ohrnerven, der Wurmfortsatz etc.)? – und obgleich der menschliche Keim nacheinander ganz dieselben Entwickelungsstufen, gerade wie der des Säugethieres, durchläuft? Denn im frühesten Stadium seiner embryonalen Entwickelung zeigt der Mensch die größte Aehnlichkeit mit Urthieren, später trägt er dann die Merkmale von Würmern (Ascidie), Fischen, Amphibien und verschiedenen Säugethieren an sich, bis er schließlich am Ende seiner Entwickelung, an der Spitze des Thierreichs angelangt, als oberstes, jüngstes und vollkommenstes Mitglied der organischen Schöpfung mit den höheren zunächst unter ihm stehenden Affen (Chimpanse, Gorilla, Orang, Gibbon) die allergrößte Verwandtschaft besitzt. Den Affen, welche sogar auch wie der Mensch den gelben Fleck auf der Netzhaut des Auges besitzen, gleicht er aber (zumal als Neugeborener) in einer solch auffallenden Weise, daß die niederen Menschenracen den höheren Affenarten weit ähnlicher sind, als diese den niederen, ihnen zunächstehenden Affenarten, und zwar nicht blos in körperlicher, sondern auch in geistiger Beziehung. Denn es fällen viele christliche Missionäre, welche nach jahrelanger vergeblicher Arbeit von ihren fruchtlosen Civilisationsbestrebungen bei den niedersten Völkern abstanden, das Urtheil, daß man weit eher die bildungsfähigen Hausthiere, als diese unvernünftigen viehischen Menschen zu einem gesitteten Culturleben erziehen könne. Der Missionär Morlang, welcher ohne allen Erfolg viele Jahre hindurch die affenartigen Negerstämme am oberen Nil zu cultiviren suchte, schreibt: „daß unter solchen Wilden jede Mission durchaus nutzlos sei; sie ständen weit unter den unvernünftigen Thieren, denn diese letzteren legten doch wenigstens Zeichen der Zuneigung gegen Diejenigen an den Tag, die freundlich gegen sie sind, während jene viehischen Eingeborenen allen Gefühlen der Dankbarkeit völlig unzugänglich seien.“

Vergleicht man nun aber diese den Affen ganz nahestehenden Menschenracen mit den aus der Höhe der Cultur angekommenen weißen Menschen, so muß jeden nur halbwegs Gebildeten das Gefühl der höchsten Befriedigung bei dem Gedanken überkommen, daß nach der Descendenzlehre, welche ein fortwährendes Vollkommenerwerden der Organismen in körperlicher und geistiger Hinsicht nachgewiesen hat, auch der Mensch einer stetig wachsenden Veredelung entgegengeht. Und darum nicht Wehe, sondern Heil dem Darwinismus, denn er verheißt den Menschen Vervollkommnung!

Es ist doch wahrlich zu kindisch und geradezu verabscheuungswerth, wenn die großartigen Errungenschaften der Wissenschaft, – weil sie dem des Menschenverstandes unwürdigen Aberglauben und dessen Vertheidigern (den unter der Vormundschaft unwissender Wundergläubigen stehenden Dunkelmännern, welche Licht durch Finsterniß, Wahrheit durch Lüge und Thatsächlichkeit durch Phrasenwerk zu verdrängen bemüht sind entgegenarbeiten, – als die Menschheit entsittlichen) verdammt und verfolgt werden, und von Wem? Von Leuten, welchen, wie Dr. Page sagt, „nicht nur die Anfangsgründe der Wissenschaft unbekannt sind, sondern welche sich auch durch Formeln und Glaubenssätze gebunden haben, ehe noch ihr Geist reif oder ihr Wissen hinreichend genug war, um zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen zu unterscheiden. Kein Mensch, welcher Formeln und Glaubenssätze, einerlei ob in Philosophie oder Theologie, anerkennt, kann ein Forscher nach Wahrheit oder ein unparteiischer Richter über die Meinungen Anderer sein.“

Daß übrigens die Aufklärung der Menschheit durch die Fortschritte in der Wissenschaft nicht verhindert, leider aber, ebenso wie durch die Bevormundung der Schule durch den den naturwissenschaftlichen Unterricht hassenden Clerus, sehr verzögert werden kann, dies beweist recht deutlich die Aufstell[ung][WS 1] des Copernicanischen Weltsystems (die Entdeckung von der [Be]wegung der Erde und dem Stillstande der Sonne), welche obgleich es der mosaischen Schöpfungsgeschichte schnurstra[cks] entgegentrat und den frommen Gläubigen ein großes Aergerniß war – denn sogar Luther äußerte sich über Copernicus: „Der Narr will die ganze Kunst Astronomiä umkehren, aber nach der heiligen Schrift hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde“ –, endlich doch zur allgemeinen Anerkennung kam, ohne die Menschen dümmer und schlechter gemacht zu haben. Und so wird es auch, und sicherlich schon in kurzer Zeit, der Abstammungslehre ergehen, da die hohlen Phrasen ihrer Gegner nicht stichhaltige Gegenbeweise gegen die Thatsachen dieser Lehre liefern.

Eine kurze Uebersicht des Stammbaumes des Thierreichs (vorzugsweise nach Häckel bearbeitet) möge dem Leser, und ganz besonders dem die Macht und Weisheit eines Schöpfers verehrenden, ein Bild geben, wie sich der Keim alles thierischen Lebens anfangs nur an die einfachsten Organismen knüpfte, wie aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt, und wie schließlich ganz allmählich der Mensch in Folge der Veränderungen an Thieren, die vor ihm existirten, zum Vorschein kam. – Es ist der Magen der Urstammvater fast aller Thiere (mit Ausnahme der niedrigsten oder Urthiere), so wie mittelbar auch der des Menschen. Denn das fast nur aus einem Magen bestehende Urmagen- oder Urdarmthier, die Gastrula, ist es, von welcher vorzugsweise die Entwickelungsreihe im Thierreiche ausging und deren Bauplan (aus Bauplatten oder sogenannten Keimblättern) durch alle Thierclassen hindurch in stetig wachsender Vollkommenheit sich bis zum Menschen vererbt hat.

Forschen wir nach dem Ursprunge dieses als selbstständige Thierart, wie es scheint, ausgestorbenen Urmagenthieres, so dürfte dasselbe wohl durch Urzeugung im sogenannten Urschleime (Protoplasma) entstanden sein und Urthierformen durchlaufen haben. Es stellte die Gastrula, wie sie sich zur Zeit auch noch beim Werden vieler Thiere zeigt (wodurch auch die frühere Existenz einer ebenso gebauten selbstständigen Thierform bewiesen wird nach Häckel’s biogenetischem Grundsatze, siehe Gartenlaube 1873 Nr. 43 und 44), einen Zellenhaufen dar (Zellen sind blüthenartige Klümpchen mit einem schleimigen Innern und einem kernhaltigen Kerne), in dessen Innerem eine Höhle (der Urmagen) mit einer Oeffnung nach außen (dem Urmunde) sich bildete. An der Gastrula sind von der äußersten Wichtigkeit für die weitere Entwickelung des Thierreiches die beiden den Urmagen nach außen und nach innen begrenzenden Zellenschichten (das sogenannte Exo- und Entoderm), welche von nun an bei allen Thieren und auch beim Menschen als sogenannte Keimblätter dem Aufbaue aller Organe zu Grunde liegen.

Als die nächsten der Gastrula entsprossenen Nachkommen nimmt Häckel zwei Thierarten an, von denen die eine sich auf dem Meeresboden festsetzte, das sind die Pflanzenthiere (Schwämme und Nesselthiere, Korallen und Quallen), während die andere die freie Ortsbewegung beibehielt, das sind die Wurmthiere (bestehend aus einer niederen Classe: den Plattwürmern ohne Blut und Leibeshöhle; und einer aus der niederen hervorgegangenen höheren Art: den Ringel-, Rund- und Sternwürmern, den Moos-, Räder- und Mantelthieren). Die höheren Würmer legten den Grund zu vollkommeneren Thieren dadurch, daß bei ihnen ein mittleres Keimblatt (Mesoderm) mit einer Leibeshöhle, ein Herz und das erste Blut entstehen. Die Ringelwürmer werden als Eltern der Gliederthiere (Insecten, Spinnen, Tausendfüßer und Krebse) und der Sternthiere (Seesterne, -Lilien, -Igel, -Gurken) angesehen; von den Moosthieren stammten die Weichthiere oder Mollusken (Muscheln, Schnecken, Kraken oder Tintenfische und Tascheln). Die wichtigste Würmerclasse ist aber die der Mantelthiere, insofern diese den Uebergang von den Wirbellosen zu den Wirbelthieren macht. Bei den Ascidien nämlich, welche zu den Mantelthieren gehören oder auch als Urwirbelthiere bezeichnet werden, finden sich die ersten Spuren der Wirbelsäule (Chorda dorsalis, Rückensaite) und des Rückenmarks (Medullarrohr), ganz in ähnlicher Weise, wie dies bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_008.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2020)