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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Wer von den Alten unserer Zeitgenossen zurückblickt in die zwanziger und dreißiger Jahre, den muß es fröstelnd überlaufen. Was war das für eine Zeit! Das freie Wort verpönt, die Körperübung als Keim des Hochverraths betrachtet, der Geist der Lehre in spanische Stiefel eingeschnürt – überall Demagogenriecherei, Denunciantenthum, hündische Demuth. Wenn ein paar lustige Handwerksbursche im „German house“ zu London oder im „Storch“ zu Biel ihre harmlosen Bundeslieder, etwa: „Zweiunddreißig, dreiunddreißig, nehmet Euren Kopf in Acht! – oder: „Fürsten zum Lande hinaus, jetzt kommt der Völkerschmaus“ gesungen hatten, ohne wahrhaftig etwas dabei zu denken, gleich wurden hochnothpeinliche Tribunale errichtet im ganzen lieben deutschen Reiche, und die Häscher gingen einher auf den Straßen, wie des Scharfrichters Knecht mit dem Lasso für die herrenlosen Hunde. Heilige Gerechtigkeit, wie viel junges edles Blut hat damals vertrauern müssen im Schatten hinter Schloß und Riegel, welche starke Charaktere, große Talente sind da gebrochen worden um eine läppische Kinderei, um ein Endchen dreifarbiges Band, für nichts und wider nichts! Man darf wahrlich nicht daran zurückdenken in unseren etwas aufgeklärteren Zeiten, sonst quillt die Galle auch in dem schon etwas vertrockneten Organismus, und es ballt sich die Faust mit dem bewußten Verdict: So 'was läßt man sich denn doch nicht mehr gefallen.

Die kleinen deutschen Universitäten wurden durch die schwarzen Brillen der Angstmeier und Schmalzgesellen von oben herab stets als Stätten permanenter Pulververschwörungen betrachtet. Die Jugend war aus der miserablen Wirklichkeit in's Reich der Ideale geflüchtet und suchte hier ihrem Drange nach Thaten Luft zu machen in dem Aufbau schillernder Phantasmagorien, welche ebenso reizend wie ganz und gar unhaltbar waren. Wer sich in die Geschichte jener politischen Studentenbewegungen vertieft, der wird fortwährend lächeln müssen, aber mit einer Thräne im Auge. Nächst Jena ist es hauptsächlich Gießen gewesen, wo das Feuer der Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes am enthusiastischsten unter der Asche schwellte. Hier lebten und wirkten die Snell, Hundeshagen, die Brüder Follen, Georg Büchner, Gladbach, Bansa und Andere, umgeben von einem zahlreichen Kreise junger, feuriger Anhänger, sie standen in Verbindung vorzugsweise mit den Marburgern – unter ihnen hervorragend Jordan, der später so viele Dichterfedern in Bewegung gesetzt, aber keinen Schlüssel für seine Ketten – dann mit den Männern der Bewegung vom Rhein und Main, den Welcker, Graf Bentzel-Sternau, Rotteck, Uhland, Wirth, Itzstein, Döring, Bunsen und mit noch manchen Anderen da und dort in Deutschland. Nicht weit entfernt von Gießen liegt die kleine hessische Stadt Butzbach. Sie galt damals für einen Hauptherd revolutionärer Zündstoffe, ja sogar für den Mittelpunkt der dumpfhinrollenden Erschütterung, welche die Mächtigen stetig unter den Füßen zu spüren vermeinten – und zwar aus dem Grunde, weil in der Mitte ihrer Bürgerschaft ein Mann lebte, dessen Geist, Tugend und Thatkraft ihn zu einem der Besten unserer Zeit stempeln, der, von feuriger Vaterlandsliebe beseelt, von seinen Mitbürgern begeistert, geliebt und zugleich von energischem, opferfreudigem Charakter, allezeit bereit war, das eigene Ich hinzuwerfen zum Besten der Menschheit.

Dieser allgemein verehrte, weithin gekannte Mann hieß Friedrich Ludwig Weidig. Er war ein Kind des grünen Waldes, geboren am 15. Februar 1791 in dem oberhessischen Dorfe Obergleen bei Alsfeld; sein Vater, ein gebildeter und energischer Charakter, war Oberförster und leitete die Erziehung des Knaben selbst, bis er nach dem Städtchen Butzbach versetzt wurde, woselbst er sie zum Theil in die Hände trefflicher Lehrer legen konnte. Butzbach hat, wie gesagt, in allen Zeiten als ein „Nest des Liberalismus“ gegolten; es herrscht dort durchgehends ein gewisser Wohlstand; selbst die Ackerbürger stehen in Bildung hoch über ihren Genossen vom flachen Lande; es hat da immer hervorragende Geister gegeben und man scheute sich weniger, als anderwärts, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, seinen Gedanken freien Ausgang zu erlauben. Der junge Weidig wuchs daher in einer Atmosphäre auf, welche die Keime seiner hochbegabten Natur nach allen Seiten hin zur mächtigen Entwickelung brachte. Er war ein liebenswerther, ideal angelegter Jüngling, allen Altersgenossen voran, geliebt von ihnen als Vorbild und Führer, geliebt von Jedermann wegen seiner gewinnenden Eigenschaften. Mit dem siebenzehnten Jahre bezog er das Gymnasium in Gießen, blos um die oberste Ordnung der Prima zu durchlaufen; ein Semester später war er schon Student der Theologie. Diese hat er nur als Brodstudium betrachtet; sein eigentliches waren Geschichte und Philologie. Besonders eng schloß er sich an die beiden Brüder Follenius, geistvolle, schwärmerisch poetische Enthusiasten. Mit ihnen las er die griechischen Classiker und dichtete. Der Vierte im Bunde war der jüngere Welcker. An den großen Gestalten des Alterthums rankte sich der Thatendurst der jungen Männer heran. Sie sannen über des Vaterlandes Zerrissenheit und des Volkes dumpfes Verkommen; sie schwuren sich einander zu, für die höchsten Güter der Menschheit zu leben und, wenn nöthig, zu sterben. Andere traten hinzu. Ein Geheimbund – jugendlich aufgefaßt und mit jugendlichen Zwecken – bildete sich, aber er trug seine Farben so offen zur Schau, daß ihn schon bald die Spürnase der Polizei ergattert hatte und Hand auf seine Mitglieder legte. Die Sache war aber doch noch so unschuldig, daß sie keine weiteren Folgen hatte, als die Unterschrift des consilium abeundi und – die Befleißigung größerer Vorsicht. Nach zurückgelegtem Triennium machte Weidig ein glänzendes Examen und wurde unmittelbar darauf, einundzwanzig Jahre alt, zum Conrector in Butzbach ernannt.

Es soll hier keine Biographie gegeben werden, sonst wäre das Bild zu entrollen von der Wirksamkeit eines Lehrers, wie es deren nicht viele gegeben hat. In wenig Jahren war Weidig der angebetete Liebling von Jung und Alt der ganzen Stadt und weit über deren Marken hinaus. Er verstand es, wie kein Anderer, die Jugend heraufzuziehen in die sonnige Sphäre der Bildung, aber er lehrte nicht blos, er erzog auch. Jedermann war er mit Rath und That behülflich. Niemand sprach ihn vergeblich um irgend eine Unterstützung an – er litt selber lieber bittern Mangel, als daß er seine Armuth nicht mit den Armen getheilt hätte. Stoisch versagte er sich jeden Genuß, damit er nur sein Scherflein übrig behalte für Diejenigen, welche noch weniger besaßen als er. Um zu ermessen, wie viel das war, stehe hier das Factum, daß er nach zehnjährigem höchstbelobtem Dienste als Conrector endlich im Jahre 1822 als Rector mit sechshundert Gulden Gehalt angestellt wurde. Neben seiner Aufgabe als Lehrer und Erzieher widmete er alle freie Zeit öffentlichen Ehrenämtern; namentlich war er 1814 thätig als Adjutant bei der Organisation der Landwehr. Als er eine edle, liebenswürdige Gattin gewonnen hatte, schien er fast in den Hafen des Glückes für immer eingelaufen. Sein Haus war der Mittelpunkt einer Gemeinde von wackeren und bedeutenden Männern – von weit her kamen Freunde, Gesinnungsgenossen, Bewunderer, und die Tag für Tag mit ihm lebten, wären für den geliebten Mann durch Wasser und Feuer gegangen.

Aber der Mann wollte mehr sein als Lehrer, Hausvater und ehrsames Gildeglied. Er trug tief im Herzen den Ehrgeiz, ein freier Bürger sein zu wollen im freien Staate. Er wollte die ewigen Menschenrechte herunterholen von dem künstlichen Himmel, an dem sie nunmehr so lange schon in Ketten aufgehängt gewesen. Solches aber durfte man in jenen Zeiten kaum zu denken, geschweige denn zu äußern wagen. Wo daher Zweien oder Dreien in engvertraulichem Kreise das Geständniß entschlüpft war, „daß doch nicht Alles sei, wie es sein könnte“, da war schon die Verschwörung fertig. Der Druck reizt aber stets zum Gegendrucke; nur das Zuviel-Regieren bildet die Convente. Von Gießen aus kam die Anregung; Weidig sammelte seine Getreuen um sich und gründete die „Deutsche Gesellschaft zu Butzbach“. Aus der von ihm verfaßten Stiftungsurkunde stehe Folgendes hier: „Ja, wenn das ganze Volk vom freudigen Gefühle seiner Stärke und Würde durchdrungen und belebt ist, dann ist Deutschland ein freies und glückliches Land. Nur wenn es sich selber verläßt, kann es verderbt werden. Nicht zur Schmach und Knechtschaft ist es bestimmt. Der Herr hat es gesegnet mit leiblichem und geistigem Segen. Er gab dem Lande fruchtbare, wohnliche Thale, geschirmt von erzreichen Gebirgen, getränkt mit anmuthigen Bächen und Strömen, in denen ein heiterer Himmel sich spiegelt. Er gab dem Volke starke Leiber und frohe Herzen, ein ernstes und treues Gemüth und unerschütterlichen Glauben. – Und frei und glücklich war Germanien, so lange es beharrte bei eigner Art und Zucht und Sitte. Als aber das Gift der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_016.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)