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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Zwietracht sich einfraß in die Glieder seines Leibes, als fremde Unart, Unzucht und Unsitte sich einschlich, da ist es in Schmach und Jammer erlegen, und schwer hat es seine Sünden büßen müssen. Darum, als nun der Tag der Erlösung kam, haben viele deutsche Biedermänner das Volk ermahnt, seiner urangestammten Kraft zu gedenken und sich ihrer neu zu gebrauchen, und, ob Gott will, das Land wird auferstehen zu seiner alten Herrlichkeit. – Vor Anderen aber hat seine Stimme erhoben für das Vaterland der deutsche Mann Ernst Moritz Arndt, und auch in unserer Stadt hat das Wort, das er redet, von der Nothwendigkeit eines deutschen gesellschaftlichen Lebens die Herzen deutscher Männer entzündet und sie getrieben, sich zu einer deutschen Gesellschaft in dem von ihm ausgesprochenen Geiste zu verbinden.“

Die Wirkung dieser allerdings geheimen Verbindung machte sich bald fühlbar; kühner flogen die Blicke, freier die Worte; häufiger ballte sich die Faust. Die Unvorsichtigen kamen in Conflicte mit den in Butzbach stationirten Officieren. Weidig selber mußte zweimal mit dem Säbel seine kecke Lehre vertheidigen – der alte Student lebte noch in ihm, und er ging als Sieger von der Mensur. Allein rasch war nunmehr die Polizei hinter ihm her; er ward 1819 in politische Untersuchung gezogen, Viele mit ihm aus Nah und Fern. Kurz vorher war Karl Ludwig Sand's blutige That in Mannheim geschehen, waren die Turnschulen geschlossen, Jahn in Berlin, Arndt und die Brüder Welcker in Bonn verhaftet worden; die Karlsbader Conferenzen standen bevor. Trotzdem schien der hessischen Regierung die rechte Energie nicht gekommen – sie erfolgte erst nach Karlsbad – sie ließ die groß angelegte Untersuchung gemach im Sande verrinnen. Welches Urtheil hätte sie aber auch fällen sollen, als Pfarrer Flick von Peterweil den Zweck der Verbindung folgendermaßen offen angab: „Deutschlands Befreiung von fremder Herrschaft aufrecht zu erhalten, eine Revolution zwar nicht herbeizuführen, im Falle eine solche aber dennoch in Deutschland ausbrechen sollte, sowohl gegen Pöbelherrschaft als gegen Despotismus zu wirken; zugleich habe sich dieser Bund an die in volksthümlichem Geiste vorangehende preußische Regierung anschließen sollen.“ (Nach den Acten.) – Als Weidig wieder heimkehrte zu den Seinen, wurde ihm von den wackeren Butzbachern fast der Empfang eines Triumphators zu Theil; sein Einzug gestaltete sich zu einem wahren Volksfeste. –

Unerschüttert, rastlos wirkte der brave Mann fort an dem Werke, das er sich zum idealen Ziele seines Lebens ersehen hatte. Nach einander erschien eine Reihe von Flugschriften – die conservativen Angstmeier nannten sie „Brandschriften“ – der freisinnigsten, zündendsten Art, so der berühmte „Hessische Landbote“ und der „Leuchter und Beleuchter“. Jedermann wußte, daß Weidig und Georg Büchner, der geniale Verfasser des „Danton“, sie schrieben und herausgaben. Die Polizei stellte wahre Treibjagden an nach der verborgenen Presse und wurde dabei von den schlauen „Demagogen“ ein paar Mal auf das Ergötzlichste irre geführt; wer mit einem Exemplare ertappt wurde, wanderte in's Gefängniß, aber die lächerlichste Strenge hilft nichts, sobald das ganze Volk einmüthig steht für die Sache, welche es zu der seinen gemacht hat. Immer höher gingen die Wogen der Unzufriedenheit, die Zeichen der nahenden Zeit des Umsturzes; meldete doch ein beflügelter Polizeibericht das entsetzliche Factum, daß „schon die Buben in Butzbach Freiheitslieder sängen, und zwar von Körner.“

Mittlerweile waren großartige Ereignisse vor sich gegangen, welche die Luft mit Gewitterdämpfen geschwängert hatten. Die Pariser Revolution von 1830 lag dem deutschen Volke im Gebeine wie verhaltener Schmerz oder gleich einer nicht zum Durchbruche gekommenen Arznei; es rumorte da und dort: in Göttingen hatten sich 1831 Studenten und Bürger unter Rauschenplatt erhoben gegen die – miserabile dictu – Censur. In Polen die Revolution ausgebrochen, Aufstände in Italien, im südlichen Frankreich, in Paris, überall Gährung und Wirren. Das Hambacher Fest am 2. Mai 1832, von mehr als dreißigtausend Theilnehmern besucht, bringt den Gedanken der nationalen Einheit zur Blüthe. Die über alle Länder sich zerstreuenden polnischen Flüchtlinge säen die Keime der Selbsthülfe des Volkes aus. Sie fanden nirgends offenere Arme, herzlichere Aufnahme, als in Butzbach und bei Weidig, obgleich dieser ihrer Nationalität keineswegs gewogen war. Der Verdacht, der immer über ihm die grauen Fittige regte, steigerte sich von Jahr zu Jahr. Das servile Beamtenthum suchte eine Art Ehre darin, einen Hochverräther „zu Stande zu bringen“, es hat ihm niemals die weißgekleideten Mädchen vergessen, die ihn nach der Rückkunft von der ersten hochnothpeinlichen Untersuchung an den Thoren seiner Stadt empfingen.

Und endlich, endlich fand sich auch der Verräther. Sein Name soll hier nicht genannt sein; Weidig hatte die Schlange selber an seinem Busen großgezogen – er mußte es schwer büßen. Am 3. April 1833 fand das verunglückte Frankfurter Attentat gegen den sogenannten deutschen Bundestag statt; am 21. Mai ward Weidig polizeilich verhaftet. Allein auch diesmal bewährte sich der feste Zusammenhalt gleichgesinnter Männer voll Muth und Charakter. Es konnte mit Aufgebot aller juristischen Spitzfindigkeiten nichts gegen ihn aufgebracht werden, als daß er ein „Verführer der Jugend“ – zur Tugend! – sei; daher ward er seines Rectorpostens und damit seiner staatsgefährlichen Wirksamkeit in Butzbach entkleidet, und – man höre! – zur Strafe als Seelsorger in sein Geburtsdorf Obergleen versetzt. Am 26. September 1834 zog er daselbst ein, empfangen gleich einem Messias; solcher Ruf war ihm vorausgeeilt. Was er hier in der kurzen Spanne seiner Amtsthätigkeit leistete, sagt am besten die folgende actenmäßige Denunciation des Kreisraths zu Alsfeld:

„Was bis jetzt (14. December 1834) vorgekommen ist (sic!), besteht darin, daß Weidig auf jede Weise sich Popularität zu verschaffen sucht, und sowohl an Sonntagen, als auch mitunter an Wochentagen der confirmirten Jugend zu Obergleen Singunterricht in seiner Wohnung ertheilt. Ersteres geschieht auf die verschiedenartigste Weise; er beobachtet die größte, mitunter übertriebene (!) Leutseligkeit, mit Begierde sucht er jede Gelegenheit zum Predigen an anderen Orten, wozu die bestehenden Vacanzen bisher dienstliche Veranlassung gaben, auf; er verweigert, unter Simulation (!) eines Gewissenszwanges für ihn, als Annehmenden, die Entrichtung der Beichtkreuzer, sowohl in seiner, als in anderen Pfarreien; armen Kranken bezahlt er die Arzneien, und neulich hat er öffentlich von der Kanzel bekannt gemacht, wer ein Anliegen habe, solle sich nur an ihn, als den Geistlichen, wenden, und er hat dieses sogar unter dem Anfügen, daß er dem Wucher der Juden vorzubeugen trachte, dahin ausgedehnt, daß er sich ganz allgemein zu Gelddarlehen erboten hat, obgleich er mit Ausnahme seines (kärglichen) Besoldungsbezuges aus dem geistlichen Landkasten kaum zwölf Gulden seit seiner Anstellung in Obergleen eingenommen haben mag.“

Welche niedrige Gesinnung hier bei dem Angeber, welch’ glänzende Zeugniß für den edlen Verklagten! Aber damals las man die Schriften anders, oder sagte, wenn man sie etwa verstand, mit dem Patriarchen: „Thut nichts, der Jude wird verbrannt.“ Und so kam es auch bald. Am 22. April 1835, früh zwischen vier und fünf Uhr, ward Weidig abermals verhaftet, diesmal für immer. Warnungen waren ihm genug geworden, er hätte fliehen können, war auch schon einmal halb unterwegs, allein das Pflichtgefühl und der Muth seiner guten Sache führten ihn wieder zurück, um stehenden Fußes seinem Geschick zu begegnen. Er ward zuerst in die Frohnveste nach Friedberg, darauf nach Darmstadt in das sogenannte „Stockhaus“ gebracht, einen der scheußlichsten Kerker, die ihren Schatten aus dem Mittelalter in unsere Zeit herüberwerfen.

Nunmehr beginnt ein Märtyrerthum fast ohne Gleichen. Das Verhängnis hatte dem Armen einen Untersuchungsrichter gegeben, der, früher von ihm beleidigt, sein persönlicher Feind war. Derselbe – Georgi ist sein Name – gehörte jener Schule der Unerbittlichen an, in welcher der Kleinstaatsgedanken dermaßen verkörpert ist, daß sie jedes Rütteln daran als ein todeswürdiges Verbrechen betrachten; er war ein strenger Jurist, aber nur im Buchstaben, nicht im Geiste, daneben ein harter, rachgieriger, sogar unmoralischer Mann, ein Mensch, der dann und wann an Säuferwahnsinn litt. Hier sei kein neuer Stein denen zugefügt, die unter heißen Flüchen auf sein Grab geworfen worden sind; es mag sogar angenommen werden, daß der Mann, ein bureaukratischer Fanatiker, in seinem Rechte zu sein und als Folterknecht seinem Staate einen Dienst zu leisten glaubte.

Aber was Weidig unter ihm und seinen Helfershelfern litt, das übersteigt alles Maß dessen, was in Schauerromanen von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_018.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)