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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


den Qualen der Verließe und Marterkammern erzählt wird. Ein System raffinirtester Quälerei griff Platz in den Verhören, in der Behandlung, in jeder Berührung mit dem armen Gefangenen. Was den Unbefangenen mit wehmüthiger Bewunderung erfüllt, die Festigkeit und Klugheit, mit der Weidig es trotz aller Lockungen und Drohungen standhaft vermied, irgend einen Mitschuldigen zu nennen, einen Freund zu compromittiren, das ward ihm als Trotz und Verbrechen angerechnet. Gepeinigt von Vorwürfen, gestachelt von Sarkasmen, überhäuft mit höhnischem Spotte, ließ er sich manchmal hinreißen zum Gegengebrauch der nämlichen Waffen – niemals zu einer Silbe von Verrath – darauf aber schien man es gerade abgesehen zu haben, um ihn zu martern und zu strafen. Vergeblich waren seine immer wiederholten Klagen, seine Proteste wider die Parteilichkeit des Richters, seine Bitten um Erlaubniß des beschränktesten Verkehrs mit den Seinigen. Man gestattete ihm nicht ein Wort der tröstenden Zusprache an seine der Entbindung nahe Frau, nicht den Anblick des ihm geborenen Kindes, um den er flehentlich gebettelt hatte. Briefe an ihn, selbst unverfänglichen Inhalts, blieben ruhig bei den Acten; die Lectüre wurde ihm entzogen – eine wahre Tortur für einen Mann, der gewohnt ist, sich geistig zu beschäftigen.

Wie der Leiter der Untersuchung, so die Beamten und Unterbeamten bis herab zum Gefangenwärter, diese Letzteren glaubten sich durch brutale Behandlung des in ihren Zwang gerathenen Unglücklichen bei Jenem angenehm zu machen, und so war es in der That. Aushorchen, barsche Zurechtweisungen, Unterlassung der kleinsten Gefälligkeiten, Versagen des Arztes bei Krankheitsfällen, Alles das kam nur zu oft vor. Aber noch weit mehr! Wiederholt ward Weidig, wegen verletzter Ehrerbietung gegen seinen Richter, mit Ketten belastet; es wurde ihm der „Sprenger“ angelegt, ein eiserner Ring, der die Hände an die Füße fesselt; er wurde Tage lang an die Wand geschlossen; es wurde ihm mit Krummschließen, ja sogar mit Hieben gedroht – und nicht blos gedroht! Wer die „Mysterien des Darmstädter Stockhauses“ aus jener Zeit schreiben könnte, die Leiden zu schildern wüßte, welche die armen Opfer einer großen Idee, die Minnigerode, Bogen, Weidig zu erdulden hatten, wahrlich, der würde einen der merkwürdigsten Beiträge zur Geschichte des Jahrhunderts der Civilisation liefern. Ist es da zu verwundern, wenn ein klarer Geist sich umnachtet, der Mann der Freiheit körperlichem und seelischem Siechthum verfällt und endlich in der gräßlichen Verzweiflung den einzigen Ausweg aus solcher Hölle sucht? Mit seinem Blute hatte Weidig mehrere Male, da ihm jedes Schreibgeräth entzogen war, die dringendsten Gesuche an die Behörde geschrieben; man zuckte die Achseln über solche „Ueberspanntheit“ und warf die entsetzlichen Tafeln mit dem Lächeln der Macht zu den Acten. So mußte denn das blutige Drama ein blutiges Ende finden.

Zwei Jahre hatte Weidig seines Kerkers Qualen heldenhaft getragen; länger vermochte er es nicht. Am 23. Februar 1837 fand ihn der früh vor acht Uhr in die Zelle tretende Gefangenwärter in seinem Blute schwimmend. Statt nach Hülfe zu rufen, selber zu helfen – schloß der treue Diener seines Herrn das Gefängniß rasch wieder zu und lief zu diesem, um – wahrscheinlich hochwillkommene Meldung zu thun. Und nun folgt das Entsetzlichste. Zwei volle Stunden ließ man den Verwundeten im Todeskampf ohne jeden Beistand, versperrt in der grauenvollen Kerkereinsamkeit. Als endlich nach Ablauf dieser langen, langen Zeit Aerzte im Geleite des Richters an das Todesbett traten, da war es freilich zu spät, – noch einmal hob sich der gemarterte Leib empor, deutete starr blickenden Auges mit dem Finger nach der Wand, sank zurück und verschied. An der Kerkerwand aber stand mit blutigen Zügen geschrieben: „Da mir der Feind jede Vertheidigung versagt, so wähle ich einen schimpflichen Tod aus freien Stücken. F. L. W.“ Aus allen vorhandenen Indicien ging hervor, daß der Unglückliche, als der Wärter bei ihm eintrat, eben erst angefangen hatte, sich mit einer Glasscherbe den Hals zu durchschneiden und wahrscheinlich, selbst wider seinen Willen, hätte gerettet werden können, wenn ihm sofort Hülfe geworden wäre. Als am 24. December .1835 ein anderer „politischer“ Gefangener einen Selbstmordversuch gemacht hatte, ließ der nämliche Kerkermeister diesen sofort bewachen, für den armen Weidig hatte er die zarte Rücksicht der Pflicht nicht. Er sollte sterben. Sein Tod erregte das grenzenloseste Aufsehen und eine Erbitterung, welche lange nachklang. Niemand wollte an Selbstmord glauben; die medicinische Facultät der Universität Zürich gab sogar, von Weidig's Brüdern aufgefordert, das Gutachten ab: „Es ist weder gewiß, noch wahrscheinlich, daß Pfarrer Weidig die Halswunde in ihrer ganzen Ausdehnung sich selber beigebracht habe.“ Aber den Schleier, der über jenen beiden grauenvollen Stunden gebreitet lag, vermochte Niemand zu lüften.

Dagegen wurde durch den Freimuth der Gerichtsärzte zur Evidenz erwiesen, weshalb der charakterstarke, geistig große Mann sich so plötzlich den Tod gegeben – er warf sein Leben weg, weil es bübisch entehrt worden war. Bei der Section des Leichnams fanden sich nämlich auf den Oberschenkeln verschiedene kaum verheilte, in der Tiefe mit Blutgeschwulst[WS 1] verbundene Wunden striemenförmig nebeneinander; kein Zweifel konnte darüber obwalten, daß der Unglückliche kurz vor seinem Tode auf das Empfindlichste gezüchtigt worden war, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem Ochsenziemer. Er, der Mann des reinen Lebens, der Wissenschaft, der Seelsorger, – er war mit der entehrenden Strafe der Sclaven oder des Auswurfs der Menschheit freventlich, gegen das ausdrückliche Verbot der Oberbehörden, in grausamster Weise belegt worden – und da blieb ihm weiter nichts übrig, als zu sterben. Unbilliges erträgt kein edles Herz.

Und warum, warum? Weidig mußte sterben, blos darum, weil er gewollt und erstrebt hat, was Alle die, welche da hinter ihm in Reih' und Glied liegen, gewollt, erstrebt und mit ihrem Herzblut erkauft haben. Denn die peinlichste Untersuchung hat nichts weiter auf ihn gebracht, als das Ziel: Umänderung der bestehenden Staatsform in Deutschland, einseitig durch den Willen der überwiegenden Mehrzahl der Regierten, ohne Rücksicht auf freie Zustimmung der Regenten – nach der Auffassung der von den Karlsbader Beschlüssen beeinflußten Untersuchungscommissionen – nach seiner eigenen Aussage aber und derjenigen aller seiner sogenannten Mitschuldigen: Herstellung der politischen Einheit Deutschlands mit Aufhebung der Staatenvielheit und Wiedereinsetzung eines deutschen Kaisers aus dem Hause Preußen. Das aber ist heute Wahrheit geworden. Viel edles Blut ist darum geflossen, aber keines edler, als dasjenige des Märtyrers, an dessen Grabe wir sinnend stehen mit der herzzerreißenden Frage: Also darum Räubern und Mördern gleich behandelt, darum hinuntergestoßen in Nacht, Verzweiflung und Tod?! Welche Contraste liegen hier dicht beieinander – das eiserne Kreuz und die Sclavenpeitsche!

Die bewundernde Theilnahme einer Nation, welche die Opfer des heiligen Kriegs unter Blumen bettet – und das Hinausführen eines ebenso guten, wo nicht besseren Sohnes auf schlechtem Schragen, im unheimlichen Zwielicht, ohne Geleit, verscharrt an damals abgelegener Stelle, weit entfernt von denen, die da starben als Biedermänner oder wohlangeschriebene Richter auf dem warmen Daunenbette der Gerechten. Aber der Baustein, den die thörichten Werkleute verworfen, ist zum Eckstein geworden. Glänzendere Genugthuung ist keinem nach verödetem Leben geworden, als dem Manne, den eine sinnige Bürgerwahl im Tode zum Führer gemacht hat der Helden, die sein Ideal zur Wirklichkeit gebracht haben.

Sein Grabstein sagt den Rest. Er ist ein einfaches Kreuz auf würfelförmigem Postament, beides aus Sandstein. Ein schwarzes Schild trägt die Inschrift: „Dr. Friedrich Weidig, Pfarrer zu Obergleen, gest. 23. Febr. 1837. Du starbst nach langer Kerkerhaft als heiliger Streiter, Dein freier Geist sucht in gestirnter Höh' des Lichtes Urquell.“ – Merkwürdiger ist diejenige der Vorderseite des Piedestals, sie lautet: „Die Inschrift dieses Kreuzes, theilweise zehn Jahre lang auf Befehl der Behörde durch Eisenkitt verdeckt, wurde im Juni 1848 der Anschauung wiedergegeben und dieses Denkmal erneuert und vervollständigt durch Weidig's Freunde und Verehrer.“ – Die Angst, wie die Rache hatten sogar über dem Grabe gewacht. Endlich trägt die Rückseite den Vers:

„Vaterland, dein sei mein Leben,
Dein mein Fürchten, Hoffen, Streben,
Und zum Lohne gieb dafür

Grab in freier Erde mir.
F. Weidig.“

Er ist aus einem Gedicht des Hingerichteten genommen. Man

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Blutgeschulst
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_019.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)