Seite:Die Gartenlaube (1875) 023.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


hatte. Es war tiefe Dämmerung geworden, als er in das Zimmer trat. Ueber die die Villa umgebenden Anlagen, auf deren Baumwipfel Landeck aus seinen Fenstern hinabblickte, um das ganze Thal hatte sich tiefe abendliche Stille gelegt, und ein dünner blauer Nebel stieg mit leisem Kräuseln und Bewegen über dem Flußbette auf. Das Haus der Frau von Haldenwang, das Landeck von seinem Fenster aus auf der halben Berghöhe am Waldessaume daliegen sah, verschwamm mit seinen Umrissen in unsichere Linien und schien wie ein phantastisches Phantasiebild auf den Nebeln des Flusses zu ruhen, aus ihnen empor zu wachsen; es ruhte auf dem blauen Duft, wie das ganze Luftschloß seiner Zukunfts-, Lebens- und Glücksträume, sagte er sich bitter. Luftschlösser gebaut und wie ein Träumer das Leben genommen – das hatte er ja immer. Wie ein reicher Mensch aus dem Vollen lebt, so hatte er von seinem Lebensschatze geschöpft und drauf losgezehrt. So war er, seinem innern Triebe nach, aus seiner Laufbahn fort, nach Griechenland gegangen, und so war er jetzt einem blinden Herzenstriebe gefolgt und hierher gekommen, ohne sich vorher zu fragen, mit welch klar ausgesprochener Hoffnung, mit welchem bestimmten Gedanken er denn komme. … Idealismus war der Grundton seines Wesens. Und stand es bei ihr nicht gerade so? Lag nicht in dieser inneren Uebereinstimmung der Zauber, der sie an einander fesselte?




4.

So träumend und sinnend hatte er sich in sein offenes Fenster gelegt und lange in die niedersinkende Nacht hinausgeschaut, mit den Augen dem glimmenden Lichte eines Leuchtkäfers oder dem lautlosen Fluge eines über die stillen Gebüsche dahinschießenden Nachtvogels folgend.

Wenn er nach unten hinabblickte, traf sein Auge auf das grüne Rebendach einer Veranda, die sich an dieser Stelle an die Villa lehnte, und von den Ranken und Blättern so dicht übersponnen war, daß es völlig unmöglich wurde zu erkennen, ob sich Personen darunter befanden oder nicht. Doch vernahm Landeck nach einer Pause ein leises Schreiten da unten und dann Stimmen, die behutsam und gedämpft eine Zwiesprache führten, so daß er den Sinn der Worte nicht verstand. Ohne seinen Platz zu verlassen, achtete er ihrer deshalb nicht weiter, bis das Gespräch lebhafter und lauter wurde und einzelne Ausdrücke ihn trafen, so daß er wider Willen festgehalten und zum Hören gezwungen wurde.

„Ich sag’ Dir zum letzten Male,“ sagte eine tiefe, ernstklingende Männerstimme, die Landeck trotz seines jetzt schon mehrwöchentlichen Aufenthalts in der Familie völlig unbekannt war, „ich sag’ Dir’s, wenn Du Dich nicht versöhnend in’s Mittel legst, wenn Du nicht Deines Vaters starren Willen besiegst, so bricht das Unglück wie ein Sturm über Euch herein. Dein Vater hält diesen Sturm nicht aus. Es ist unmöglich, daß er ihn überwindet. Du kannst das nicht übersehen, nicht erkennen, aber ich, der ich seine Geschäftslage kenne, ich kann’s. Seit zwei Jahren hat er bei aller Fülle von Bestellungen wegen der hohen Löhne ohne einen rechten Vortheil gearbeitet. Seine Arbeiter haben den Vortheil gehabt, nicht er. Dabei hat er seine Reserven aufgezehrt. Kommt eine neue Arbeitseinstellung, so kann er die Ablieferungstermine nicht einhalten und dann kommen, augenblickliche Deckung heischend, seine Tratten zurück …“

„Mein Gott,“ versetzte eine Mädchenstimme – Landeck kannte sie als die der ältern Schwester seines Zöglings – „mein Vater weiß das Alles, Rudolph, aber er giebt nun einmal nicht nach; er erkauft durch Nachgiebigkeit Deines Vaters Hülfe nicht … Er hat seine Gründe und ist ebenso unbeugsam fest, wie es der Deine ist.“

„Und unter dieser Festigkeit, die Du lieber eiserne Starrköpfigkeit nennen solltest, haben sie dann selber und wir zu leiden, wir noch mehr als sie.“

Wir?“ sagte das junge Mädchen mit etwas wie einem kühlen, scharfen Tone. „Ich denke, Du erträgst das Leid immer noch mit achtbarer Fassung, und wenn es Dir allenfalls zu drückend wird, so wanderst Du hinüber zu Malwinen und läßt es Dir von ihr aus der Seele fortsingen.“

Eine Pause folgte. War der Mann, den Elisabeth Escher Rudolph nannte und duzte, von den im Tone herben Vorwurfs gemachten Worten so betroffen worden, daß er nichts zu antworten wußte? Doch nein. Nach einer Weile sagte er mit unterdrückter, wie mühsam an sich haltender Heftigkeit:

„Elisabeth! Habe ich das um Dich verdient? Aber Du bist eben auch, wie unsere Väter sind. Hast Du einmal in einen Gedanken Dich festgebissen, so entreißt ihn Dir keine Macht der Vernunft und der Ueberzeugung mehr.“

„Sag’ lieber: Worte, bloße Worte entreißen mir ihn nicht! Gieb mir Gründe, erkläre mir offen und rückhaltlos, was Dich an Malwinen fesselt, weshalb Du nicht aufhören kannst, Dich in dem Zauberkreise, den diese hochmüthige Frau um sich zieht, zu bewegen, und Dich da von all den vornehmen Herren, die ihr den Hof machen, als eine lächerliche Figur über die Achsel ansehen zu lassen – gieb mir Gründe dafür, und ich will Dir trauen. Sonst nicht.“

„Sonst nicht! Wie hart und bitter Du das aussprichst! Uebrigens beruhige Dich! Ich gehe sehr, sehr selten zu Malwinen und dann spiele ich durchaus keine lächerliche Rolle dort, wenn ich auch nicht in Frack und in Lackstiefeln komme und keine Glacéhandschuhe an meinen schwieligen Arbeiterhänden trage, sondern mit dem Rechte des Vetters erscheine, just wie und wann ich mag.“

„Sie räumt Dir das Recht mit großer Güte und Herzlichkeit ein, scheint es.“

„Sie räumt es mir ein; ich bin jedoch viel zu wenig eitel und anmaßend, um mich deshalb in den Kreis derer, die Malwinen den Hof machen, zu mischen. Es ist meist nur Herr von Maiwand, den ich bei ihr sehe, und ich versichere Dich, daß für Herrn von Maiwand ich der letzte Mensch auf Erden bin, den er lächerlich findet.“

„Das Alles ist keine Erklärung, die mich irgend beruhigen könnte. Ich weiß, wie Ihr damals zusammen gestanden habt, als Du noch in der Residenz warst und Malwine dem dortigen Theater angehörte. Das könnte ich überwinden und vergessen; es liegt hinter Dir und geht mich nichts an, aber daß Du hier den Verkehr fortsetzest, ist eine offene Beleidigung für mich, Rudolph, und darum verlange von mir nicht, daß ich des Vaters Willen umstimme! Wozu? Wen von uns Beiden würde es glücklich machen?“

„Bitterkeit über Bitterkeit! Und ich kann Dir doch nichts antworten, als daß ich mit Malwinen nicht brechen kann, nicht aus irgend einem anderen Grunde als dem der Dankbarkeit, der mich an sie fesselt; auch muß ich den Faden in der Hand behalten, den Faden zur Aufklärung und Feststellung einer Sache, von der meine Ehre und vielleicht auch Malwinens Glück abhängt.“

„Du müßtest mir diese Sache vertrauen können, wenn Du ein gutes Gewissen hättest. Du könntest es mir überlassen, zu beurtheilen, ob Du mit dem Faden, von dem Du redest, wirklich an die schöne Malwine gebunden bist oder nicht.“

„Vertrauen! Das eben ist es, was ich von Dir fordere, wie jeder Mann es von seinem zukünftigen Weibe verlangen darf.“

„Ich bin Dein Weib noch nicht, Rudolph. Ich habe Dir Vertrauen geschenkt, vollständiges Vertrauen – Gott weiß, trotz Allem, was mein Vater gegen Dich sprach, trotz Allem, was er that, mir das Vertrauen zu Dir und zu einer Zukunft an Deiner Seite zu nehmen. Da aber tauchte die verführerische Cousine plötzlich in unserer Nähe als junge, reiche vornehme Frau wieder auf, deren Hand eben frei geworden, schöner, anziehender als je, und Du – ich habe mir das endlich gestehen müssen – Du bist seitdem gegen mich umgewandelt. Das ist eine Thatsache, an der sich nichts ändern läßt. Ich mache Dir ja keine Vorwürfe darüber. Ich beginne nicht davon zu reden; ich antworte Dir nur, wenn Du mir Vorwürfe machst. … Man kann eben lange blind sein, bis ein Augenblick kommt, der uns Licht giebt … und nun mußt Du gehen; es ist die höchste Zeit. Der Vater kann jeden Augenblick aus den Comptoirs drüben heimkehren.“

„Gut denn! Ich gehe. Es bleibt mir ja nichts Anderes übrig, als die Flucht vor der Bitterkeit, die Dich heute so plötzlich, so merkwürdig erfüllt. Was kann es mir denn auch helfen, wenn ich Dir schwöre, daß, wenn ich umgewandelt, das heißt erregt und erschüttert war, als ich Malwine wiedergesehen, dies wahrhaftig nicht durch den Anblick der jungen Frau hervorgerufen wurde, sondern einzig und allein, weil ich Maiwand bei ihr wiedersah. Was kann es helfen, da Du mir nicht mehr vertraust! Vertrautest Du nur der Warnung wegen der Geschäftslage Deines

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_023.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)