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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

versenkt er sich wohl in den Gedanken, welch reiche Blüthen dieser Geist „am Baume der Menschheit“ hätte treiben können, wenn das Gestirn seines Lebens nicht auf falsche Bahnen gedrängt worden wäre. Nicht immer ist ihm dieser Weg gleich bei der Geburt vorgezeichnet gewesen; oft hat er in geordnetem Gleise begonnen und ist erst später in die falsche Richtung gekommen.

Das Leben eines solchen modernen hochstapelnden Gauners mit seiner zwischen Salon und Zuchthaus, Glanz und Elend, Furcht und Keckheit wechselnden Scenerie ist für die dichterische Phantasie weit ausgiebiger als das eines Räubers von ehedem. Hackländer hat in seinem „Europäischen Sclavenleben“ eine solche Figur mit großem Effect verwerthet. Dieser Herr von Brand, der beim Eintritte in die Salons den Geruch der Penne durch den Duft seines „coeur de rose“ zerstreut, ist bis auf den umgehängten falschen Großmuthsmantel, den er noch von Rinaldini und Consorten erbte, ein ganz correctes Bild.

Stellen wir aus den zerstreuten Notizen zunächst das Leben eines solchen Hochstaplers zusammen!

Im Jahre 1838 quartierte sich im Gasthofe zum Bairischen Hofe in Speier ein Fremder ein, der sich für einen englischen Major Namens von Massow ausgab. Er führte sich in den dasigen Harmonieclub und in noch andere Kreise ein, indem er erzählte, er sei in Folge eines Duells mit dem Adjutanten des Königs von Hannover seines Dienstes entlassen worden. Die Veranlassung zu dem Duelle habe seine junge hübsche Frau gegeben, die einzige Erbin reicher Eltern. Sie sei aus Kummer darüber, daß sie ihn unglücklich gemacht habe, und zwar kinderlos, gestorben. Der Herr Major zeigte bei dieser Erzählung gewöhnlich das in Gold gefaßte Bild seiner Frau vor und „weinte wie ein Kind“. Auch führte er zum weiteren Beweise für die Wahrheit seiner Angabe eine englische Zeitung bei sich, in welcher sich die Beschreibung eines derartigen Duells befand. Das Vermögen seiner Frau, sagte er weiter, habe er nicht angenommen, sondern es im Stolze der widerfahrenen Kränkung den Eltern seiner Frau gelassen und sich damit begnügt, van der Pension zu leben, die er durch den englischen Gesandten in Hannover oder in Frankfurt beziehe.

Daneben erzählte er viel von seinen Erlebnissen im russisch-türkischen Feldzuge, sowie von seiner Vorstellung bei König Louis Philipp, der ihn in herablassendster Weise empfangen und zur Tafel gezogen habe. Diese Erzählungen, die sonstige große Sachkenntniß, die er nach allen Richtungen hin entwickelte, in Verbindung mit dem seinen äußern Schliff seines Benehmens verschafften ihm die Sympathien der besten Kreise. Er wurde nicht bloß fast täglich in die ersten Häuser zu Gaste geladen, er wurde geradezu der Liebling der ganzen guten Gesellschaft. Da er so wenig Glück in der Liebe gehabt hatte, so schien es erklärlich, daß er desto mehr im – Spiele hatte. Er gewann in der That seine L’hombrespiele fast täglich. Mit der Zeit fiel es seinen Spielgenossen allerdings auf, daß die schwarzen Aß fast beständig in seinen Händen waren. Man untersuchte die Kartenblätter und fand an denselben allerhand Nägeleindrücke. Die Spielgesellschaft wandte sich seitdem von ihm ab, nicht so die andern Kreise. Dort blieb seine Stellung noch unerschüttert. Inzwischen hatte seine Hôtelrechnung einen anständigen Betrag erreicht und da sie unberichtigt blieb, so wandte sich der Wirth nachfragend an die englische Gesandtschaft in Frankfurt. Von da bekam er die Antwort, daß ein Major weder zu einem Pensionsbezuge berechtigt, noch überhaupt der Name in der englischen Armee bekannt sei. Der Wirth verschwieg diesen Umstand nicht, auch der Unterschleif beim Kartenspiel wurde ruchbar. Das Publicum wurde nachdenkend; das Vertrauen begann zu weichen und die Polizei nahm Notiz davon. Da versammelte der Major seine Bekannten um sich. Er hatte kurz vorher mehrere hundert Flaschen feinen Rheinweins von einem Rüdesheimer bekannten Hause bestellt und erhalten. „Meine Herren,“ redete er nun zu den Geladenen, „ich hatte mir vorbehalten, Sie von Zeit zu Zeit zu mir zu bitten, und mir den Wein dazu kommen lassen. Neue Nachrichten bestimmen mich, früher als es mein Wunsch war, von hier abzureisen, und Sie würden mich verbinden, wenn Sie mir den Wein um den Ankaufspreis abnehmen wollten. Sie werden ihn sobald nicht wieder so gut und billig bekommen.“ Die Freunde kauften ihm bereitwillig den Wein für dreihundert und einige sechszig Gulden ab; der Major bezahlte mit dem Gelde des Weinhändlers seine Schulden und reiste ab.

Im Frühjahre des folgenden Jahres treffen wir unsern von M. wieder in Hamburg. Er hat sich im „Hôtel de Russie“ einquartiert, führt dort an der Tafel stets das große Wort, drängt sich in die Familie eines russischen Generals, miethet sich dann eine Privatwohnung, hält Equipage, Bedienten, Jockeys, verkehrt viel mit Engländern, spielt mit großem Glücke und hat auch hier Zutritt in den ersten Familien. Im Sommer besucht er das Bad Travemünde. Hier ist er der gefeierte Held der Saison, arrangirt Lustfahrten, macht die Honneurs auf den Bällen u. dgl. mehr. Alles ist entzückt von dem liebenswürdigen Major, und wenn er in seinem Cabriolet, den Bedienten im Fond, durch die Alleen fährt, lüften die Herren die Hüte und die Damen schwenken die Tücher. Den Winter verlebt er wieder in Hamburg. Dort war inzwischen die Zahl seiner Gläubiger zu einer merklichen Höhe angewachsen. Sie begannen, ihn zu drängen. Daneben machte man, namentlich im Club bei Giavanoli, wo er viel verkehrte, auch hier die Entdeckung von der eigenthümlichen Vorliebe der vier Aß für die Person des Herrn Major, so wie von dem weitern Umstande, daß beim Spiele unter den Tisch gefallene Geldzettel nicht wieder zu finden waren. Es schwirrten allerlei Gerüchte durch die Luft. Der Herr Major entzog sich ihnen durch eine rasche Abreise, jedoch nicht ohne seinen auf die Herzen zweier vermögender Damen gewonnenen Einfluß zur Gewinnung eines Darlehns zu benutzen. In Lübeck hatte er alte Travemünder Bekannte. Der Eine machte sich ein Vergnügen daraus, dem liebenswürdigen Major zweihundert Mark vorzuschießen, der Andere ihm zu einem Passe zu verhelfen. Der Herr Baron verlegte nun den Schauplatz seines Wirkens nach Pyrmont und spielte mit dem erschwindelten Gelde dort die Rolle eines pommerschen Rittergutsbesitzers mit Erfolg. Doch genirte ihn die Nähe der preußischen Polizei. Er reiste ab und wandte sich nach Süden. In München wußte er sich sogar bis in die Nähe des Königs zu drängen.

Dann verschwindet er in Deutschland eine Zeitlang vom Schauplatz, um in den nächsten Sommern an den Spielbänken verschiedener Bäder wieder aufzutauchen. Er führt hier abwechselnd die Firmen: Gouverneur Massew von Portsmouth, Baron Massen aus Holstein, Baron von Maltzahn, Masson und Adolf Hassen und renommirt viel mit seiner Bekanntschaft französischer Generale, die er in Algier gemacht. Die Polizei kennt ihn längst; sie macht an ihm förmliche Studien, aber sie kann nicht an ihn kommen, seine Person nicht feststellen.

Da ereilt ihn sein Verhängniß in Gent. Dort verurtheilt ihn 1844 der ostflandrische Assisenhof wegen Betrugs und Fälschung zu fünfjähriger Einkerkerung. Dort entschließt er sich auch, die seither hartnäckig verweigerte Demaskirung vorzunehmen. Sein Vorleben wird festgestellt, und Polizei, wie Gericht erneuern in ihm nur eine – alte Bekanntschaft.

Man wußte nun, daß er der frühverwaiste Sohn eines preußischen Husarenofficiers, andern Namens, aus Tr. in Schlesien war, daß er nach kurzer Dienstzeit das preußische Militär heimlich verlassen und sich in russische Dienste begeben hatte, daß er nach einigen Jahren von dort zurückgekehrt, in Wien auf preußische Requisition verhaftet und vom Oberlandesgericht H. wegen Desertion, Führung falschen Namens und Charakters sowie wegen Betrugs zu einer halbjährigen Gefängnißstrafe und zu Geldbußen verurtheilt worden war, daß er vielfach anderen drohenden Untersuchungen sich nur durch rasche Flucht entzogen und, überall ausgewiesen, sich unter den Namen eines Herrn von Plathen, von Oppersdorf, von Stegmann, von Seydewitz, von Arnim, geschmückt mit dem eisernen Kreuze und im Besitze eines ganzen Kistchens voll Ordensdecorationen, in Dresden, Teplitz, Dessau, Sondershausen, Gotha, Darmstadt, Hannover, Hildesheim, Wolfenbüttel, Leipzig, Schkeuditz, Ronneburg aufgehalten hatte. Beim Oberlandesgericht Naumburg war er noch mit der Abbüßung einer dreijährigen Zuchthausstrafe im Rückstande. Er war nach der Schweiz geflohen. In Interlaken und Genf erinnerte man sich seiner wieder. In Venedig war er wegen Raufhändeln und Benutzung gefälschter Creditbriefe bestraft worden. Dies Alles war seinen Triumphen in Speier, Hamburg und Travemünde vorhergegangen.

Von dem Zuchthause wieder ausgeworfen, begab er sich nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_029.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)