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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Winter, wo es auf der Oberwelt an Arbeit mangelt, eine größere ist, als im Sommer, führen hier in der dunkeln Tiefe ein höchst einförmiges Leben. Sie werden jeden Montagmorgen, nachdem sie sich für die Woche mit Lebensmitteln versehen haben, durch einen Führer zu ihrer Arbeitsstätte gebracht und am Sonntagmorgen durch diesen wieder von dort abgeholt, um den Rest des Tages außerhalb des Berges zubringen zu können. Am Mittwoch begiebt sich der Führer noch einmal zu ihnen hinunter, um für den Fall einer Erkrankung den Verkehr mit der Oberwelt zu vermitteln. Es sollen jedoch, wie unser Führer uns versicherte, derartige Fälle äußerst selten vorkommen, da sich die Arbeiter, trotz des Mangels an Sonnenlicht, hier unten sehr wohl fühlen, was wohl der reinen, angenehmen Luft der Höhlen mit ihrer in allen Jahreszeiten sich stets gleichbleibenden Temperatur (zehn Grad Réaumur) zuzuschreiben ist. Die Beschaffenheit der zur Stütze der oberen Schichten des Berges nicht beseitigten Wände und Pfeiler mit ihren zahlreichen Ueberresten eines vorweltlichen Thierlebens, Muscheln, Korallen, Fischzähnen etc., zeigt uns, daß der gesammte Berg nichts anderes ist, als verhärteter Meeresschlamm. Besonders bemerkenswerth unter diesen vorweltlichen Resten sind die hier gefundenen Knochen eines großen, krokodilartigen Geschöpfes, welches Cuvier, mit Rücksicht auf seinen Fundort, als Mosasaurus (Maas-Saurier) bezeichnet hat.

Von Zeit zu Zeit stoßen wir auf unserer Wanderung auf eigenthümliche, senkrecht durch das Gestein laufende Röhrenbildungen, sogenannte geologische Orgelpfeifen, welche von der Weite eines gewöhnlichen Ofenrohres bis zu der eines Brunnenschachtes variiren. Diese Röhren, welche von den Geologen als die Wirkungen früherer Meeresstrudel angesehen werden, sollen von dem Plateau des Berges bis zum Bette der Maas hinabreichen, und man nimmt an, daß eben diese Röhren, welche gleichsam als natürliche Luftschachte angesehen werden können, an der angenehmen, reinen Beschaffenheit der Luft, welche hier unten circulirt, einen wesentlichen Antheil haben.

Während man beim Durchforschen dieser Schichten Schritt für Schritt auf zahllose Reste vorweltlicher Thiergeschlechter stößt, fehlt diesem ausgedehnten Hallenbau jegliche Spur thierischen Lebens. Keines der Thiere, welche sonst wohl derartige Räume zu bevölkern pflegen, ist hier zu entdecken und nur das unheimliche Volk der Fledermäuse wählt während des Winters für einige Zeit hier seinen Schlafplatz. Trotz der überall sichtbaren Spuren der Menschenhand machen diese Hallen deshalb einen seltsam finstern und ernsten Eindruck. Die uns umgebende Stille wird selbst durch den Laut unserer Tritte nicht unterbrochen. Der weiche Sandboden läßt diese ungestört verhallen, und Gespenstern gleich sehen wir unsere dunklen Schatten in dem matten Lichte der trübe flammenden Fackel an den hellen Steinwänden dahinhuschen.

Um so angenehmer wird deshalb das Ohr nach einiger Zeit durch den melodischen Ton fallender Wassertropfen berührt. Dem Schalle nachgehend, gelangt man an ein durch das Wasser gehöhltes Steinbecken, in welches in regelmäßigen Zwischenräumen von neun zu neun Secunden von einem von der Decke niederhängenden mächtigen Tropfsteinblocke ein Wassertropfen herniederfällt. Unser Führer erklärte jenen Block für die Krone eines versteinerten vorweltlichen Baumes, dessen Wurzelballen die Umfassung jenes Beckens bilde, während der fehlende Stamm beim Durchbrechen des Felsens zerstört sei. Diese Annahme hat indessen wenig Wahrscheinliches, und jener Block, wie das darunter befindliche natürliche Becken, sind wohl weiter nichts, als einfache Tropfsteingebilde, welche in Folge ihrer fortwährenden Feuchtigkeit und des hier in der Regel stattfindenden Aufenthalts der das krystallhelle Wasser kostenden Besucher des Berges von dem Qualme der Fackeln geschwärzt sind. Das Wasser wird ohne Zweifel durch einen der zahlreichen zuvor erwähnten natürlichen Schachte hierher geführt, und außer dem Umstande, daß dieses die einzige Quelle des Berges ist, dürfte vor Allem die Regelmäßigkeit merkwürdig sein, mit welcher der Tropfen bei trockenem wie bei feuchtem Wetter niederfällt.

Neben den naturhistorischen Seltenheiten dieses Labyrinths ist es interessant, die zahllose Menge von Inschriften zu betrachten, welche alle Wände und Pfeiler desselben bedecken. Diese nach vielen Tausenden zählenden Namen, unter denen sich manche von bekannten und berühmten Personen befinden, reichen mehrere Jahrhunderte zurück. Die früheste, deren Alter sich mit Sicherheit feststellen läßt, datirt aus dem Jahre 1030, von welcher Zeit dann alle Jahrhunderte mit einer größern oder geringern Zahl von Namen vertreten sind. Gerade jene älteren Namen stehen mit ihren zierlichen mittelalterlichen Zügen noch so klar und frisch auf dem Steine da, als ob sie soeben erst mit Kohle dorthin geschrieben wären. Sie sind um so leichter aus der Menge neuerer Inschriften herauszufinden, als sie meist so hoch über diesen stehen, daß sie vom Boden aus nicht mehr mit der Hand zu erreichen sind, was denn auch wesentlich zu ihrer Erhaltung beigetragen hat. Es findet jenes seine Erklärung darin, daß man, wie auch an den Absätzen der Pfeiler zu sehen ist, beim Aushauen der ehemals niedrigen Gänge immer mehr in die Tiefe gelangt ist, wo das Gestein härter und dichter war als in den zuerst bearbeiteten oberen Schichten.

Bei der Betrachtung dieses merkwürdigen Fremdenbuches fanden wir unter anderen Namen auch den L. van Beethoven's, welcher mit schönen kräftigen Zügen hingeworfen war. Der Name Napoleon's des Ersten, auf welchen unser Führer uns aufmerksam machte, war kaum mehr zu lesen, und wir erfuhren, daß drei vor mehreren Jahren den Berg besuchende preußische Officiere, welche an dem Namen des Franzosenkaisers Anstoß genommen, denselben unleserlich gemacht hatten, indem der Eine von ihnen die Schrift mit seinem Säbel zerkratzte, während die beiden Andern ihren damaligen Führer, den Vater des unsrigen, welcher die Verletzung des Namens hindern wollte, festhielten.

Der Name des alten biedern Garibaldi mit der Jahreszahl 1861 hat, wahrscheinlich von der Hand eines ultramontanen Schwärmers, ein ähnliches Schicksal erfahren; man hat ihn, wenn auch nicht weggekratzt, so doch wenigstens durchstrichen. Daß unter anderen Celebritäten auch der classische Name „Kieselak“ nicht fehlte, bedarf wohl keiner Versicherung.

An einem Kreuzgange angekommen, wo mehrere größere Hallen zusammenlaufen, machte uns der Führer auf das roh mit Kohle an die Wand gezeichnete lebensgroße Bild eines Mönchs aufmerksam. Dasselbe vertritt hier, wie wir erfuhren, die Stelle eines Gedenksteins und bezeichnet den Ort, an dem man zu Anfang dieses Jahrhunderts die Leichname dreier Mönche des am Abhange des Berges gelegenen Klosters Slavante fand, welche sich ohne Führer in den Berg begeben hatten. Die Unglücklichen sollen sich, wie man erzählt, zu ihrer Orientirung eines am Eingange befestigten Fadens bedient haben, welcher jedoch gerissen war und sie so dem Hungertode überlieferte. Um allen derartigen Unglücksfällen vorzubeugen, hat man neuerdings die Eingänge des Berges, deren es mehrere giebt, verschlossen und außerdem die Einrichtung getroffen, daß der Führer an einem unweit des zur Einfahrt bestimmten Eingangs gelegenen Hause sein jedesmaliges Betreten und Verlassen des Labyrinths anzeigen muß. Ist nach einer gewissen Zeit die Rückmeldung nicht erfolgt, so wird ein zweiter des Berges kundiger Führer dem ersten nachgesandt. Da das Amt eines Führers durch dieses Labyrinth eine nur durch langjährige Uebung zu erlangende Sicherheit erfordert, so pflegt dasselbe in einzelnen Familien fortzuerben, indem der Sohn schon von Kindheit an den Vater begleitet, um so die zahllosen Pfade des Berges kennen zu lernen.

Indem wir auf unserer Wanderung in eine neue Halle eintreten, dringt plötzlich durch einen Felsspalt das helle Tageslicht zu uns herein. Wir sind am Ausgange angelangt; noch eine kurze Strecke, und wir stehen, vom hellen Sonnenscheine umfluthet, hoch über dem Thale und blicken in die weite, prächtige Landschaft hinaus. Zu unsern Füßen schlängelt sich die Maas gleich einem Silberstreifen durch das weite Thal. Längs dem Fuße des Berges führt der von Segel- und Dampfschiffen belebte Canal dahin; zur Rechten dräut dort neben dem celtischen Opferaltare das alte Römercastell von luftiger Bergeshöhe in das Land hinaus; während zur Linken die Stadt Mastricht mit ihren Thürmen und Festungswerken aus der Ebene emporragt. Werfen wir nun noch einen Blick zurück auf das Felsenthor, durch welches wir soeben dem Schooße der Unterwelt mit ihren mannigfachen Erinnerungen entstiegen sind, so umfassen wir mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_038.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)