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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


bescheidene Lebensstellung giebt. Der Onkel Gottfried Escher dagegen, der ganz dieselbe Erziehung genoß, dieselbe gewerbliche Ausbildung erhielt, hat es mit seiner rastlosen Energie, seinem Ehrgeiz, vielleicht auch ein wenig mit seinem Glücke zu einer eigenen Fabrik gebracht und diese nach und nach so erweitert und einsichtig geleitet, daß er ein großer Industrieller geworden ist und, wie ich denke, einen fest gegründeten Wohlstand besitzt …“

„Wenn nicht nächstens der große Strike ausbricht,“ schaltete hier Herr von Maiwand ein, „von dem man behauptet, daß er ihn ruiniren müsse.“

Frau von Haldenwang zuckte die Achseln.

„Der Onkel ist viel zu gescheidt und vorsorglich, um sich so leicht durch ein einziges widriges Ereigniß stürzen zu lassen,“ sagte sie. „Mein Vater nun endlich,“ fuhr sie dann fort, „der, um das Kleeblatt dieser drei brüderlichen Namen voll zu machen, Gottlieb hieß, hatte früh eine große Neigung zu den Studien verrathen, und da er der Aelteste war, hatte man dieser Neigung nachgegeben; er hatte Medicin studirt und war ein geachteter Arzt in der Residenz. Leider mußte ich das Unglück erleben, als er eben in den weitesten Kreisen bekannt und geschätzt zu werden begann, ihn in Folge einer Ansteckung, die er sich bei einer Consultation am Krankenbette zugezogen, zu verlieren; ich war damals erst siebenzehn Jahre alt.“

„Ach, und Sie waren dadurch ganz verwaist?“

„Nicht ganz. Meine Mutter starb viel später, als ich schon Sängerin an der Hofbühne war, auch hat sich ihrer wie meiner der Onkel Gottfried, der mein Vormund wurde, getreulich und sorglich angenommen.“

„Und doch sehen Sie ihn so selten?“ wagte Landeck zu bemerken.

Frau von Haldenwang antwortete auf diese Frage nicht. Sie fragte rasch: „Ist Ihr Zögling intelligent und folgsam?“

„Hinreichend, um mir die Aufgabe, ihn zu erziehen, zu einer lohnenden und nicht gar zu schweren zu machen. Es ist leider nicht viel, was sich an einer solchen jungen Menschenseele bilden läßt. Man kann ihr Kenntnisse beibringen und sie auch denken lehren; man kann aber ihren Gefühlen keine Richtung geben, was doch eben so wichtig wäre, und man kann ihr nichts von der eigenen Erfahrung mittheilen, was noch viel wichtiger wäre, als die Kenntnisse. Deshalb fallen die Männer immer auf’s Neue in dieselben Fehler, in dieselben Schlingen, welche ihnen das Leben stellt, trotz aller guten Lehren.“

„Zum Beispiel in welche Schlingen?“

„Nun, unter Anderem in die der Frauen; die jungen Männer sind in diesem Falle dümmer als die jungen Hühner, die, wenn ein Weih über dem Hofe schwebt, sich aus bloßem Instinct verkriechen; die jungen Männer sehen die Gefahr nicht, bis sie einmal von dem Weih einer Leidenschaft erfaßt sind und zerfleischt werden.“

Frau von Haldenwang lachte und sah ihn dann groß und verwundert an.

„Sie werden wieder zur umgekehrten Biene,“ sagte sie. „Aus meiner harmlosen Frage haben Sie Gift gezogen, und Ihrer Antwort darauf wissen Sie eine Wendung zu geben, die stechen soll.“

Landeck erröthete leicht. Sie mochte ja Recht haben. Er mochte sich ihr sehr unliebenswürdig zeigen. Es macht aber nichts unliebenswürdiger, als sich Jemandem gegenüber zu befinden, dem man größere Achtung und Geltung abringen will und bei dem man dann gewöhnlich ganz falsche Mittel anwendet, um zu diesem Ziele zu gelangen. Er fühlte sich sehr unglücklich bei diesem Gedanken und dadurch völlig hülflos. Mit einem Seufzer sagte er:

„Was hat eine arme Biene für ein anderes Mittel sich geltend zu machen, als indem sie sticht?“

„Muß sie sich denn ‚geltend machen‘?“

„Nein, Sie haben Recht; es ist das für ein so kleines Insect viel zu viel Ehrgeiz.“

Landeck fühlte an dem grollenden tiefen Schmerze, mit dem ihn das überlegene, wie mit ihm spielende Wesen Malwinens erfüllte, wie sehr er die übermüthige Frau liebte. Er schwieg eine Weile, dann sprang er auf.

„Wollen Sie gehen?“

„Ich will Sie nicht länger abhalten, sich aus Griechenland erzählen zu lassen, von einem Manne, der – so viel besser zu erzählen weiß als ich.“

„Ach, Sie haben das übel genommen?“ fragte sie lachend. „Das ist unrecht von Ihnen; es verlangt Niemand, daß Sie außer einem großen Pädagogen …“

„Zu deutsch Schulmeister –“

„Zu deutsch Schulmeister – auch noch ein großer Schriftsteller sein sollen. Sie wissen ja, das Talent ist angeboren, und es nicht zu haben, hat nichts Beschämendes.“

„Ich gehe auch nicht mit dem Gefühle der Beschämung von hier, gnädige Frau, gewiß nicht,“ versetzte er mit einem Ausdruck von leichtem Spott um die feingezeichneten Linien seines Mundes.

„So begleiten Sie mich auf Ihrem Heimwege die Allee hinab,“ sagte sie sich ebenfalls erhebend, „ich möchte ein wenig frische Luft schöpfen.“

Fräulein Lini erhob sich von ihrer Schachpartie, um den Hut und einen leichten Ueberwurf für ihre Gebieterin zu holen; diese nahm ihr die Sachen aus der Hand und sagte dabei, wie es Landeck vorkam, ein wenig gebieterisch:

„Bleiben Sie, bleiben Sie hier, Lini, und unterbrechen Sie Ihre Partie nicht! Spielen Sie weiter, Maiwand!“

Sie ging dabei so rasch zu der auf die Terrasse führenden Glasthür hinaus, daß ihr Wunsch, von den beiden Spielenden nicht begleitet zu werden, offenbar war. Wollte sie mit Landeck allein sein?

Maiwand blickte den Fortschreitenden gedankenvoll nach. Fräulein Lini, welche sich wieder an das Spiel gesetzt hatte, beobachtete ihn dabei und fragte endlich:

„Nun, weshalb kauen Sie so nachdenklich an dem armen Schnurrbart? Sie haben Schach der Dame geboten – verfolgen Sie Ihren Triumph!“

Er ging langsam wieder an’s Spiel.

„Finden Sie nicht Frau von Haldenwang merkwürdig verändert seit einiger Zeit?“ fragte er dabei.

„Ein wenig,“ antwortete sie; „sie ist schweigsamer, und durchaus nicht liebenswürdiger; wie behandelt sie zum Beispiele oft diesen armen Herrn Landeck! Aber ich denke, darüber haben Sie nicht zu klagen; gegen Sie ist sie seit eben so langer Zeit die Nachgiebigkeit selbst geworden. Früher hatte sie doch über Manches, was Sie angeordnet oder was Sie anriethen, zu rechten und debattiren. Jetzt ist sie mit Allem, was Sie thun und meinen, einverstanden.“

„Das heißt, sie hört mich kaum. Sie scheint von anderen Gedanken so eingenommen, daß sie vergißt, daß es sich bei diesen Sachen um ihre eigenen Interessen handelt …“

„Oder,“ antwortete lächelnd Fräulein Lini, „da Sie sich durch einen kleinen Meisterstreich zum Herrn von Haldenwang gemacht haben, denkt sie wohl, es seien jetzt die Ihren …“

„Ich mich zum Herrn von Haldenwang? Wie verstehen Sie das, Fräulein Lini?“

Fräulein Lini sah ihn mit blinzelnden Augen sehr schlau an. „Spielen Sie nicht den Betroffenen, Herr von Maiwand!“ sagte sie. „Sie sind einmal ein glücklicher Spieler, und es giebt Damen, die sich außerordentlich leicht umgarnen lassen, wie zum Beispiel meine schlecht vertheidigte Königin auf dem Schachbrette hier.“

„Ach,“ warf Maiwand ein, „Sie sind von Ihrem Doctor Iselt, dem Gegenstande Ihrer stillen Verehrung, mit seiner argwöhnischen Skepsis angesteckt. Wenn er solch bösen Einfluß auf Sie übt und Ihr harmloses Gemüth verdirbt, Fräulein Lini, so werden wir ihn als Hausarzt abschaffen.“

Fräulein Lini wechselte unter dem bösen Seitenblicke, den ihr Maiwand dabei zuwarf, ein wenig die Farbe. Sie verstand die Drohung und schwieg. Achselzuckend rückte sie ihre Königin weiter, um dann bald nachher von ihrem Partner völlig matt gesetzt zu sein. –

Malwine von Haldenwang war unterdeß eine Weile schweigend neben Landeck durch die Anlagen und in die Eichenallee hinabgegangen, welche zum Flusse hinunterführte.

Sie machte ein sehr ernstes Gesicht; es lag etwas wie Trauer darauf; es schien etwas um ihre Lippen zu schweben, das sie doch nicht aussprechen konnte oder wollte. War ihr am Ende der Ton des Verkehrs, der zwischen ihr und Landeck zur Herrschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_042.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)