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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Vielleicht ist es die Macht der Erinnerung an die schöne Jugendzeit, welche mir und vielen Anderen die Stätte vor Allen reizend und werth macht. Wohin der Blick sich richtet, steigt ein vergessenes Bild in frischem Ganze[WS 1] empor, neben der poetischen blauen Blume blüht die Rebe, rankt der Hopfen, sträubt sich der Bocksbart; auch die Realität des Genusses im Dasein und der Humor machen alte Rechte geltend, sei es, wenn das Auge auf das belobte Dach des „Herrn Vetters“, oder auf das berühmte der „Hirschgasse“ fällt, oder an hundert anderen Stellen haftet, wo dereinst jugendlicher Uebermuth Kraft verschwendete, ohne deren einzubüßen für den Ernst des Lebens. „O Heidelberg, du schöne Stadt!“ singt es in Jedem, der hier schöne Zeiten verlebt hat, und zwar auch ohne den Handwerksburschenzusatz: „Wenn es nicht darein geregnet hat.“

Als ich zum letzten Male dort oben stand, an einem goldenen Sommertage, schwerem Siechthum kaum entgangen, und mit der Wonne des Genesenden die würzige Luft aus Wald und Thal einsog, da traten plötzlich seltsame Ideenverbindungen vor meine Seele. Ein Blick auf die Trümmer der kunstvollen Wendeltreppe im Achteck des Ruprechtsbaues hatte sie angeregt. In diesen Tagen war durch die Blätter ein Gerücht gelaufen von dem Erscheinen der weißen Frau in der Kaiserburg zu Wien, und es hatten sich daran viele andere räthselhafte Geschichten aus alter Zeit knüpfen lassen, die alle sich auf dieselbe bewegende Ursache gründeten. Da kam zur Erzählung, wie der französische Ludwig der Vierzehnte, der Verwüster der Pfalz, „der das Recht auf der Spitze des Degens trug, den Gesetzen des Auslandes zum Hohne“, bewogen worden war, den Geist seines verstorbenen Ministers Louvois citiren zu lassen, der ihm das Versprechen abzwang, der Kirche Alles wiederzugeben, was er ihr in stärkeren Tagen genommen, wie Kaiser Joseph der Zweite durch ein Phantom geschreckt werden sollte, das, durch den Gardisten in den Schloßhof hinabgestürzt, sich in Fleisch und Bein eines Capuziners verwandelte, die Geschichten von den Erscheinungen, die dem König Friedrich Wilhelm dem Zweiten von Preußen vorgegaukelt wurden – und viele andere mehr, deren Opfer immer diejenigen waren, die auf Thronen saßen, während die Urheber entweder der Kirche oder dem Feudaladel angehörten oder beiden zusammen im hergebrachten Verbande. Auch die Steine jener zerfallenen Wendeltreppe könnten eine ähnliche Historie erzählen, wenn ein heiliger Beda ihnen Sprache verleihen möchte. Glücklicher Weise ist diese Geschichte aber auch ganz getreulich erhalten geblieben, und ich theile sie mit, wie ich dieselbe einem längst vergessenen Geschichtsbuche des vorigen Jahrhunderts entnehme. Sie dürfte auch für unsere Zeiten noch von Interesse und namentlich den zahlreichen Besuchern des Heidelberger Schlosses als Beitrag zu dessen Geheimgeschichte willkommen sein.

Auf Kurfürst Ludwig im Barte, den Kreuzfahrer, folgte sein Sohn Ludwig der Sanftmüthige im Jahre 1436. Der war ein weicher, frommer Herr, leicht lenkbar und den Einflüssen von außen mehr zugänglich, als gut erschien. Glücklicher Weise hatte er einen treuen Bruder von festem Charakter und heldischem Sinne zur Seite, den Pfalzgrafen Friedrich, später der Siegreiche, von seinen Gegnern „der böse Fritz“ genannt. Deren hatte er aber viele und mächtige; es konnte nicht anders sein. Den schwachen Bruder entriß er den schon fest um ihn gewundenen Bestrickungen der Pfaffen und verjagte den vordem allmächtigen Beichtvater; die Vasallen, welche hochmüthig der Lehnspflichten spotteten, wies er, und oft mit blutigen Köpfen, in ihre Schranken zurück. Unter ihnen waren die verwegensten die Grafen Wilhelm und Jacob von Lützelstein gewesen; Friedrich berannte und brach ihre feste Burg im Elsaß, eroberte ihr Land und zwang sie in schimpflicher Art zur Botmäßigkeit. Das brannte den Stolzen auf der Seele, und sie brüteten Rache. Tapfere, hochangesehene Ritter, besaßen sie großen Anhang, denn sie waren zugleich Häupter der heiligen Vehme, welche damals ihr Unwesen nach Süddeutschland verpflanzt hatte. Nichts destoweniger wagten sie nichts Offenes gegen den Kurfürsten, oder vielmehr gegen dessen rechte Hand. Sie fanden aber Verbündete zu heimlichen Thaten. Friedrich hatte mit Rücksichtslosigkeit die Uebergriffe der Kirche, namentlich die Ansprüche der Klöster, in aller Weise zu beschränken gewußt, denn er war für seine Zeit ein merkwürdig aufgeklärter, daneben völlig gottesfürchtiger Mann. Dadurch hatte er sich natürlich den tiefen Haß der Geistlichkeit und sogar den Bannspruch des Papstes zugezogen, kümmerte sich aber wenig darum. Die Lützelsteiner hingegen benutzten diesen Umstand, um sich Helfershelfer zu werben und mit diesen vereint einen Plan zu schmieden, zum Verderben des „bösen Fritz“, der ihren feudalen Herrschgelüsten allein im Wege stand.

Am kurfürstlichen Hofe in der Pfalz zu Heidelberg lebte seit längerer Zeit Eleonore, die Schwester der Grafen von Lützelstein. Ehedem eine blendende Schönheit, hatte sie eine große Rolle gespielt; der junge Pfalzgraf Friedrich war von ihren Reizen bestrickt gewesen, hatte sie aber verlassen, angeblich weil sie die Delila spielen und ihn ihren Brüdern ausliefern wollte. Doch schien ihr Verschulden nicht erwiesen, denn sie war unter den Frauen der Kurfürstin geblieben. Niemand kümmerte sich um sie, die doppelte Rache im Busen trug. Eines Tages erschienen mit stattlichem Gefolge zwei fremde Ritter aus Frankreich im Schlosse und ließen sich dem Kurfürsten vorstellen. Dieser fand an ihren adeligen Manieren Gefallen und bat sie um längeres Verweilen. Den ihnen zu Ehren angestellten Gastereien und Festen blieb Friedrich, der auch den Wissenschaften mit Eifer oblag, fern, allein Kemnath, sein Cancellar, faßte unbestimmten Verdacht, legte sich auf's Kundschaften und erlauerte bald, daß die Fremden mit der Gräfin Eleonore nächtlich verkehrten und daß auch der verbannte Beichtvater an diesen Zusammenkünften Theil nahm. Zwar lachte der Pfalzgraf, als ihm Warnung ward, allein der treue Kanzler ließ nicht nach mit Bitten, so daß er ihn endlich wenigstens bewog, zwei seiner besten und treuesten Ritter, einen Gemmingen und einen Geispitzheim, Tag und Nacht in seiner Nähe zu dulden.

Dem Kurfürsten waren mittlerweile von verschiedenen Seiten Zweifel eingeflößt worden gegen die Gerechtigkeit der Maßnahmen, welche er durch den Arm seines Bruders hatte vollziehen lassen, und somit auch gegen diesen selbst. Die hierdurch in ihm entstandene Gewissensunruhe erhielt Verstärkung durch manche sonderbare Erscheinungen. Die Diener berichteten von Spukgestalten; die Wachen in den Pfefferbüchsen auf den Bastionen hatten Feuerkugeln gesehen; eigenthümliche Laute wurden gehört, kurz, die Atmosphäre war mit Vorahnungen geschwängert. Im Ruprechts-Baue befand sich das Schlafgemach des Kurfürsten. Hier lag er einstmals Nachts in tiefer Ruhe, als ihn plötzlich ein Geräusch erweckte. Die Schloßglocke schlug in diesem Augenblicke die Mitternachtstunde. Plötzlich flog mit einem Krache die Thür auf; eine Wolke von wohlriechendem Qualme wälzte sich herein; als dieser sich verzogen hatte, erblickte der erschreckte Fürst beim schwachen Lichte des einzigen Lämpchens, das den hohen gothischen Raum erhellte, vor sich die Himmelskönigin, die Jungfrau Maria, mit einem funkelnden Strahlenkranze um’s Haupt, genau so, wie sie in der Schloßcapelle abgebildet war. Seine Haare sträubten sich; er stammelte Gebete, aber die hehre Erscheinung beruhigte ihn durch süße Worte, seinem Hause Heil und Segen verheißend. Allein auf den Honig folgte der Wermuth. Die fromme Mutter Gottes verlangte von dem Fürsten, daß er sofort seinen Bruder verstoße als Einen, der nach dem Kurhute, daher ihm nach dem Leben strebe, der ein Abtrünniger und Ausgestoßener der Kirche sei. Trotz der himmlischen Ueberredungskunst und trotz seiner Angst wollte aber Ludwig ein solches Versprechen nicht geben, es sei denn, die heilige Jungfrau liefere ihm Beweise von der Gottlosigkeit des Pfalzgrafen.

„Dem sei so!“ rief die Gottjungfrau. „Wisse, Schwachgläubiger, daß Dein verbrecherischer Bruder, Pfalzgraf Friedrich, Umgangs mit dem bösen Feinde pflegt und mit ihm Dein Verderben beräth. In diesem Augenblicke weilt der Höllenfürst in seinem Gemache. Mir aber ist die Macht verliehen, diesen zu bannen, daß er sich zu meinen Füßen krümmen und meinen Befehlen gehorchen muß. Wappne Dich mit Gottvertrauen, Ludwig, denn Du wirst das Uebel der Welt erschauen. Erscheine, Ewigverfluchter!“ Und unter entsetzlichem Lärme, Kettengerassel und Schwefeldampfe wälzte sich ein gräuliches Ungethüm in’s Gemach, wand sich im Staube vor der Mariengestalt, welche ihren Fuß auf das feuersprühende Drachenhaupt setzte. Der Kurfürst aber, voll von dem Aberglauben seiner Zeit, kränklich an Gemüth und Leib, vermochte den schauderhaften Auftritt nicht zu ertragen. Er war aus dem Bette geglitten und auf die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Soll wohl „Glanze“ heißen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_052.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)