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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Sprache kam, ein gewaltiges Aufsehen, und namentlich die Berufsgenossen der Attentäter, die Gründer und ihre Helfershelfer, wußten sich vor Entrüstung und Abscheu nicht zu lassen. An der Börse aber witzelte man ganz laut: Herr Wagener verdiene sein Schicksal, weil er es so billig gemacht habe – um lumpige vierzigtausend Thaler, die er noch mit Oder und Schuster theilen müsse. – In der That war Herr Wagener ein bloßer Dilettant, nicht werth, den eigentlichen Gründern die Schuhriemen aufzulösen, und neben der „Pommerschen Centralbahn“ hat die Gewerbebank Schuster noch eine ganze Reihe ähnlicher Gründungen vollführt, über die man bisher kein Wort verlor.

Da ist die „Schloßbrauerei Schöneberg“, sind die „Norddeutschen Eiswerke“ (vormals Bolle), und da ist der Bauverein „Thiergarten Westend“, von der Börse gleich bei der Einführung „Sumpfend“ getauft – lauter Gesellschaften, deren unglückliche Aktionäre heute über die Urheber Ach und Weh schreien. Dazu hatte die Gewerbebank H. Schuster und Compagnie über das ganze Land, vorzugsweise in den Mittel- und Kleinstädten, ein Netz von Filialen und Agenturen ausgeworfen, und in diesen Maschen fingen sich, angelockt durch das Aushängeschild „Gewerbebank“, ehrliche Land- und Handwerksleute, die ihr gutes Geld gegen buntbedrucktes Papier eintauschten, mit dem sie nun die Tabakspfeife anzünden können.

Eine der größten Blasen, die aus dem Hexenkessel emporstiegen, war die „Centralbank für Bauten“, die zum Verfasser Herrn Eduard Mamroth hat. Sie erwarb und verkaufte Häuser und Baustellen, bauete und übernahm Bau-Ausführungen, lieh Baugelder, handelte mit Baumaterialien, und betrieb daneben noch „Bank- und Handelsgeschäfte jeder Art“. Aber daran nicht genug, sie legte sich auch auf’s Gründen; sie gründete in Berlin und außerhalb, sie gründete Eisenwerke und Eisengießereien, eine „Centralfactorei für Baumaterial“ und nicht weniger als vier Zweigbaugesellschaften: Ostend, Südend, City und Cottage. Nach zehnmonatlichem Bestehen vertheilte die „Centralbank“ bereits eine Dividende von dreiundvierzig Procent – wie das gemacht wird, werden wir später erfahren – und in Folge dessen ging der Cours im April 1873, kurz vor dem Krach, bis auf vierhundertzwanzig hinauf. Von dieser wahnsinnigen Höhe stürzte er in den nächsten sechs Monaten bis unter fünfzig. – Ein Gutsbesitzer hatte sein Gut verkauft und kam mit einem Baarvermögen von zweihundertfünfzigtausend Thalern nach Berlin, um hier als Rentier zu leben. Er ließ sich überreden, sein Capital in der „Centralbank“ anzulegen und kaufte zum Course von vierhundert für achtzigtausend Thaler Actien, die ihm also dreihundertzwanzigtausend Thaler kosteten. Den Rest mit siebenzigtausend Thalern schoß der Banquier bereitwilligst zu und behielt die Actien als Unterpfand in Verwahrung. Der Cours begann zu sinken und sank ohne Aufhören; der Banquier verlangte Deckung, und da diese nicht geleistet werden konnte, ließ er die Actien im Wege der Execution an der Börse verkaufen. Der ehemalige Gutsbesitzer hatte in noch nicht einem halben Jahre sein ganzes Vermögen verloren und war dem Banquier auch noch zwanzigtausend Thaler schuldig. – So ging es mit der „Centralbank für Bauten“, aber mit den Tochtergesellschaften ging es noch schlechter: Ostend, im Frühjahre 1873 auf hundertachtzehn, notirt jetzt fünfzehn; Südend, damals hundertsechsundzwanzig, jetzt neun, und Cottage, damals sechsundneunzig, heute eins, schreibe Eins. Wie schnell auch der Ruhm der Welt schwindet, noch schneller schwinden an der Börse die Course!

Die „Preußische Bodencreditactienbank“ besteht seit 1869 und hatte ihrem Namen entsprechend den Zweck: die Förderung des Realcredits, besonders durch Gewährung und Vermittelung von Hypotheken. Speculationsgeschäfte waren ihr durch die Statuten ausdrücklich verboten. Als Director fungirte Herr Jachmann, Landrath außer Dienst und Gemahl der bekannten Sängerin und späteren Schauspielerin Johanna Wagner. Die Bank war an der Börse ziemlich unbekannt, bis sich Herr Richard Schweder ihrer annahm. Dieser kam von der „Discontogesellschaft“, wo er nur eine bescheidene Stellung bekleidet hatte, und verstand es, sein Talent dermaßen geltend zu machen, daß ihn Herr Jachmann zum Mitdirector erhob, ja bald vor ihm völlig in den Hintergrund trat. Herr Schweder wurde die Seele und das eigentliche Haupt der „Preußischen Bodencreditactienbank“. Als die Gründungsperiode anfing, ging sein Ehrgeiz darauf los, sich an der Discontogesellschaft, die ihn nicht zu würdigen verstanden, zu rächen, und ihr womöglich den Rang abzulaufen. Wenn ihm dies auch nicht ganz gelang, so ward er ihr doch ein furchtbarer Nebenbuhler. Er ließ rasch hinter einander eine stattliche Zahl von Gründungen aufmarschiren, die alle an der Börse großen Anklang fanden und ihn dort zu einem gesuchten, vielumworbenen Manne machten. Wie ein Feldherr stand er an seinem Platze, neben ihm sein Adjutant, Herr Paradies, Beide mit Bleistiften bewaffnet und umdrängt, umfluthet von Hunderten, die an dem auf den Markt gebrachten neuen „Effect“ Alle „betheiligt“ sein wollten, Alle heißhungrig nach „Albertinenhütte“ (heutiger Cours fünfzehn Brief) oder nach „Lindenbauverein“ (heute siebenzehn) oder nach „baltischen Waggons“ (heute eins Brief) schrieen. Daneben vermehrte Herr Schweder fortwährend das Capital der Bank, gab immer wieder neue Actien mit immer höherem Agio aus, und diese Actien wurden zu einem Hauptspielpapier der Börsenjobber.

Plötzlich fiel es Herrn Schweder ein, daß solche Spekulationsgeschäfte doch eigentlich gegen die Statuten der Bank verstießen, und um sein Gewissen zu entlasten, schuf er flugs eine andere Gründerbank, die sogenannte „Preußische Creditanstalt“. Nun sah man das rührende Schauspiel, wie beide Banken, Mutter und Tochter, zärtlich Arm in Arm wandelten und gleichzeitig, gemeinschaftlich oder jede für sich, rechts und links neue Gründungen ausstreueten. Dieses schöne Paar war noch viel enger zusammengewachsen als die weiland so angestaunten siamesischen Zwillinge. Beide, Mutter und Tochter, hatten nur Einen Kopf, nämlich den Director Schweder, und beide hatten nur Eine rechte Hand, nämlich den Procuristen Paradies. Herr Schweder und Herr Paradies blieben die Mignons der Börsenritter, bis sie im Frühjahre 1873 ihr letztes Kind, die Dannenberger’sche oder eigentlich, Liebermann’sche Kattunfabrik, in die Welt setzten. Die Börse gerieth in Aufruhr; man umdrängte und verfolgte Herrn Paradies, aber diesmal nicht mit Bitten und Schmeicheleien, sondern mit Drohungen und Vorwürfen. Man überschüttete ihn mit Verbalinjurien und machte Miene, zu Realbeleidigungen überzugehen. Da erhob Herr Paradies seine Rockschöße und entfloh. Er lief durch den langen Saal der Fondsbörse und durch den langen Saal der Waarenbörse in das Kündigungszimmer der letzteren und rettete sich hier vor den wuthschnaubenden Verfolgern, welche die „Stücke“, mit denen man sie bei „Dannenberger“ „betheiligt“ hatte, um jeden Preis wieder los werden wollten. Der Dannenberger’sche oder richtiger Liebermann’sche Kattun, der in der Wäsche arg einlief und keine Spur von Farbe hielt, kostete der „Preußischen Bodencreditactienbank“ Ruf und Ansehen, und damit verlor sie auch jeden sittlichen Halt. Sie übertrug das ganze Sündenregister und wälzte alle Verluste auf die „Preußische Creditanstalt“; sie wurde zu einer wahren Rabenmutter und trennte sich mit einem gewaltigen Schnitte von der Tochter, die seitdem ohne Kopf und ohne Hände, ein ungestalteter blutiger Rumpf, in einem dunkeln Winkel der Börse liegt.

Herr Schweder zog sich, nicht ganz freiwillig, in’s Privatleben zurück, und ihm blieb der Trost einer – Million, die er, vorher ein armer Commis, in zwei bis drei Jahren verdient hatte.

Mit seinem Rückzuge sanken die von ihm bis zu zweihundertachtzig hinaufgetriebenen Actien der Bank bis fünfundfünfzig und tiefer. Herr Paradies und Herr Jachmann folgten ihrem genialen Freunde bald nach, und auch sie gingen selbstverständlich nicht mit leeren Taschen. Zur Ehre des Herrn Jachmann sei’s gesagt: er war dem ganzen Gründungstreiben fremd geblieben – denn er verstand nichts davon. Er hatte immer nur seinen Namen unterschrieben, und dafür außer dem festen Gehalte eine Tantième bezogen, gegen welche das Jahreseinkommen z. B. des Reichskanzlers eine bloße Bagatelle ist. Noch muß hervorgehoben werden, daß die „Preußische Boden-Creditactienbank“ nicht bloß, wie andere Actiengesellschaften, einen gewöhnlichen „Aufsichtsrath“, sondern ein – „Curatorium“ hat, das die Direction in ihrer Thätigkeit controliren soll, daß also Herr Schweder seine statutenwidrigen Gründungen jahrelang unter den Augen des hohen „Curatoriums“ beging, und daß an der Spitze desselben stand und noch heute steht: Seine Excellenz der Wirkliche Geheime Rath und Staatsminister a. D. Herr von B…, zugleich Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_064.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)