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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Karup in Gotha, und auf der Basis der von diesem bedeutenden Fachmanne angestellten Berechnungen hatte die Commission das nun vorliegende Statut ausgearbeitet. Der Entwurf wurde in eingehender Debatte modificirt und angenommen. Auch für die Wittwen und Waisen der deutschen Bühnenangehörigen wäre nunmehr durch Gründung dieser segensreichen Institution gesorgt. Die Anstalt hat ihre eigene, von der allgemeinen Pensionscasse getrennte Verwaltung. Der Sitz ihres Directoriums ist in Weimar. Die opferfreudigsten Verfechter der schönen Sache waren Intendant Baron von Cramm, Borchers, Otto Devrient, Savits, Dr. Krückl u. A.

Schließlich besprach und acceptirte die Dresdener Versammlung ein Localverbandsstatut, welches die Normen festsetzte, auf Grund welcher die einzelnen Localverbände thätig sein sollten.

Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger ist eine so eigenartige Erscheinung im Genossenschaftswesen, daß es mir hier vergönnt sein mag, ihre Organisation, sowie die Grundzüge ihrer Pensionsanstalt in aller Kürze etwas näher zu beleuchten. Der Paragraph 1 des Genossenschaftsstatuts mag hier vollständig Platz finden. Er lautet: „Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger hat die Fortentwickelung des deutschen Theaters, sowie die Sicherung und Hebung der geistigen und materiellen Interessen der deutschen Bühnenangehörigen zum Zwecke, namentlich den Mitgliedern nach den Bestimmungen des Pensionsstatuts eine Pension zu gewähren.“

Es ist wohl nothwendig, darauf hinzuweisen, daß die Genossenschaft mit nur geringen Ausnahmen in weiterem Sinne Alles umfaßt, was auf und an der Bühne thätig ist. Die Mitglieder haben das Recht der activen und passiven Wahl für die Verwaltung. Den weiblichen Mitgliedern stehen dieselben Rechte zu, nur können sie weder in die Genossenschaftsleitung, noch in die Localausschüsse gewählt werden.

Der erste Factor der Genossenschaft ist die Delegirtenversammlung, welche alljährlich im December stattfindet. Die Zahl der Delegirten richtet sich nach der Zahl der Wähler, welche demselben Lokalverbande angehören. Je fünfzig Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Delegirten.

Die eigentliche Verwaltung während des Genossenschaftsjahres liegt in den Händen des „Centralausschusses“. Dieser besteht aus einem ersten Präsidenten, einem zweiten Präsidenten, einem Generalsecretär und einem Generalcassirer. Außerdem gehören zum Centralausschuß noch drei Mitglieder, deren Jedes die Verwaltung eines bestimmten Ressorts übernimmt. Es sei hier bemerkt, daß sämmtliche Aemter der Genossenschaft – mit Ausnahme der statutarisch zu bezahlenden Ressortämter – Ehrenämter sind, die unentgeltlich versehen werden müssen. Der Centralausschuß muß seine Protokolle, Abschlüsse etc. der Delegirtenversammlung zur Bestätigung vorlegen.

Der Verwaltungsrath der Pensionsanstalt untersteht dem Centralausschuß. Er besteht aus 1) dem ersten Präsidenten der Genossenschaft; 2) einem bezahlten, cautionspflichtigen Verwaltungsdirector; 3) einem bezahlten, cautionspflichtigen Cassirer; 4) einem Rechtskundigen und 5) aus drei resp. vier Mitgliedern der Genossenschaft. Die Redaction des Genossenschaftsblattes, dessen Abonnement mit einer Ausnahme für alle Mitglieder obligatorisch ist, und die Leitung der Theateragentur sind einem bezahlten Beamten übergeben.

Wir kommen nun zu der Institution der Localausschüsse. Dieselben sind für den glatten Geschäftsgang außerordentlich wichtig. Der Localausschuß ist das vermittelnde Glied zwischen dem Centralausschuß und den Genossenschaftern der einzelnen Localverbände. Er besteht aus drei resp. fünf Mitgliedern, und zwar aus einem Obmann, einem Cassirer, einem Schriftführer und, bei größeren Localverbänden, aus zwei Beisitzern.

Jede Bühne, an welcher sich wenigstens fünf Genossenschaftsmitglieder befinden, constituirt einen Localverband. Die Mitglieder des Localverbandes wählen den Localausschuß. Das ist der Verwaltungsapparat der Genossenschaft.

Die Allgemeine und die Wittwen- und Waisen-Pensions-Anstalt sind ja die greifbarsten Wohlthaten der so schön gelungenen Vereinigung. Da steht nun zunächst fest, daß nur ein Genossenschaftsmitglied Mitglied der Pensionsanstalt werden kann.

Die Beitragspflicht umfaßt: 1) das Eintrittsgeld, je nach Wahl der Pensionskategorie zu ein, drei, fünf und acht Thalern normirt, und 2) die Bezahlung der Pensionsbeiträge gemäß der gewählten Kategorie. – Die Höhe der einst zu beziehenden Pension ordnet sich in vier Kategorien. Die Wahl einer derselben ist völlig freigestellt. In der ersten Kategorie zahlt das Mitglied jährlich sechs Thaler Beitrag und erwirbt dadurch eine jährliche Pension von hundertfünfzig Thalern.

Die zweite Kategorie zahlt jährlich zehn Thaler und erhält eine jährliche Pension von zweihundert Thalern.

Die dritte Kategorie zahlt jährlich zwanzig Thaler und erhält eine jährliche Pension von dreihundertdreiunddreißig und ein Drittel Thalern.

Die vierte Kategorie endlich zahlt jährlich vierzig Thaler und erhält eine jährliche Pension von sechshundert Thalern. Uebertritte aus einer Classe in die andere sind unter gewissen, der Casse vortheilhaften Bedingungen gestattet. Die Casse hat, vom Tage ihrer Gründung – 1. December 1871 – gerechnet, zehn Sammeljahre, während welcher keine Pension gezahlt wird.

Die Bedingungen der Pensionsfähigkeit sind: 1) zehnjährige Mitgliedschaft, respective zehnjähriges Zahlen der Beiträge, 2) erwiesene Dienstuntauglichkeit und 3) das zurückgelegte sechszigste Lebensjahr. Wer dieses Jahr erreicht hat, muß seine Pension erhalten, sobald er es beantragt. Das Vermögen der Anstalt wird gebildet: durch den während der ersten zehn (Sammel-) Jahre angesammelten Grundstock und durch die nach den ersten zehn Jahren eingebrachten Werthe. Der Grundstock darf nach zehnjährigem Bestande der Anstalt nicht mehr erhöht werden. Die ständigen Einnahmequellen der Anstalt bestehen: 1) in den Zinsen des unantastbaren Grundstockes; 2) in den Zinsen der übrigen Capitalien; 3) in den Pensionsbeiträgen der Mitglieder; 4) in den Erträgen einer Abgabe von ein Procent derjenigen Gastspiele aller Mitglieder, die nicht auf Engagement stattfinden; 5) in dem Ertrage der freiwillig zum Vortheile der Anstalt gegebenen Vorstellungen, Concerte, Matineen etc.; 6) in den Geschenken an die Anstalt und 7) in dem Ertrage der Strafgelder, Freibilletsteuer etc.

Die außerordentlichen Einnahmen können selbstverständlich bei der Genossenschaft deutscher Bühnenmitglieder enorme Summen bringen. Den Genossenschaftern ist ja die Veranstaltung von Vorstellungen, Concerten etc. zu Gunsten ihrer Pensionscasse vermöge der von ihnen ausgeübten Kunst so leicht gemacht. Mit Dank und Anerkennung muß hier hervorgehoben werden, daß der deutsche Bühnenverein auf Anregung seines Präsidenten, des Generalintendanten der königlichen Schauspiele, Herrn von Hülsen, Excellenz, in Berlin beschlossen hat. an jeder Vereinsbühne alljährlich ein Benefiz zu Gunsten der Pensioncasse zu veranstalten. Auch Kaiser Wilhelm hat auf Antrag des Herrn von Hülsen huldvoll bewilligt, daß die kaiserlichen Theater in Berlin, Hannover, Cassel und Wiesbaden alljährlich eine Benefizvorstellung zum Besten der Casse geben. Schließlich mögen noch einige Notizen über den gegenwärtigen Status des Ganzen folgen. Die letzte Uebersicht des Vermögens der Genossenschaft wurde aufgestellt am 27. August 1874 und bringt folgende Zahlen:

Activa:
225,297 Thlr. 6 Gr. - Pf.
Passiva:
49,428 Thlr. 116 Gr. 4 Pf.
Vermögen:
175,868 Thlr. 24 Gr. 8 Pf.

Davon sind über 100,000 Thaler in sicheren ersten Hypotheken veranlagt; außerdem circa 30,000 Thaler in sicheren Papieren, als preußisch consolidirte Anleihe, Berliner Pfandbriefe etc. Die Mitgliederzahl reicht nahe an 7000, gewiß eine stattliche Summe. Das in Berlin in der Charlottenstraße 85 belegene Haus, welches Eigenthum der Genossenschaft ist und einen Werth von 61,000 Thalern hat, enthält die Kanzleien für alle Zweige der Verwaltung.

Die Genossenschaft darf hoffen, nach Ablauf ihrer zehn Sammeljahre ein Vermögen von einer Million zu besitzen. – Jeder, der noch Freude hat am Wohlergehen des Nächsten, wird mit angenehmen Gefühlen auf diese Vereinigung blicken. Und gar die Tausende, die dem deutschen Theater von Herzen zugethan sind, sie werden sich dieses Triumphes der Selbsthülfe herzlich freuen. Das Fundament eines schönen, monumentalen Baues ist mit ausdauernder Begeisterung gelegt worden, und die Mauern sind zu schon stattlicher Höhe emporgewachsen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_096.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)