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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


„Wollen Sie,“ rief er lebhaft und hocherröthend aus, „daß ich zu ihm gehe und eine Ausgleichung mit ihm suche, daß ich meine Worte und meine Herausforderung zurücknehme? Es würde mir schwer werden, und ich weiß in der That nicht, ob es sich mit meiner Ehre vertrüge, aber was verschlägt mir das Alles, wenn Sie es wollen, wenn es Ihretwegen geschieht! Ich könnte dann in Ihrem Namen und Auftrag mit ihm verhandeln. Wenn Sie mir dazu Vollmacht geben wollen, so bin ich bereit.“

Malwine schüttelte den Kopf und winkte abwehrend mit der Hand.

„Wie könnt’ ich ein solches Opfer Ihres Ehrgefühls annehmen?“ sagte sie mit traurigem Tone. „Welche Folgen würde das haben! Welche Schlüsse würden Sie daraus ziehen! Welche Erwartungen und welche Folgerungen!“

„Keine andern Folgerungen als die, daß Sie mir die ‚Beleidigung‘ verziehen haben, von der Sie neulich redeten. O Sie hatten Recht, ich bin so tactlos, so thöricht, so unvorsichtig gewesen. Wollen Sie mir nicht gönnen, etwas thun zu dürfen, um mein Vergehen zu büßen?“

„Nein, nein,“ fügte sie aufstehend und langsam durch das Zimmer zum nächsten Fenster schreitend hinzu, „ich bin so schmerzlich belehrt worden, wohin es führt, wenn man einem Manne vertraut, wenn man ihm gestattet, uns Dienste zu leisten, statt ihn in eisigster Kälte und Unnahbarkeit fern zu halten!“

„Aber ich bitte Sie, gnädige Frau,“ rief Landeck nun seinerseits aufspringend aus, „fühlen Sie nicht, wie furchtbar ungerecht Sie sind, daß Sie Erfahrungen, die dieser Maiwand Sie machen ließ, auch bei mir befürchten zu müssen glauben? Es ist abscheulich, daß Sie mich und ihn ohne Weiteres in eine Kategorie stellen – das habe ich nicht verdient und …“

„O, machen Sie mir noch Vorwürfe?“ unterbrach sie ihn in einem Tone des Zorns wie ein schmollendes Kind. „Quälen Sie mich noch mehr, als ob Sie mich nicht schon genug gequält hätten? Sehen Sie denn nicht, wie unglücklich ich bin?“

„Das sehe ich freilich,“ versetzte Landeck, „aber wenn ich Sie gequält habe, so habe ich doch auch das Recht wie die Pflicht meinen Fehler wieder gut zu machen, so viel er gut zu machen ist. Ich sehe ja auch, daß Sie Niemand anders haben, Ihnen beizustehen, Ihnen zu helfen, als mich, und ich, ich werde Ihnen helfen, trotz allem was Sie sagen mögen … wenn Sie mir auch Ihre Vollmacht dazu verweigern: Ihre Lage, die Verhältnisse geben sie mir. Ich bitte, ich flehe Sie deshalb an, thun Sie nichts selber, vermeiden Sie jedes Wort mit Maiwand über dies Alles – und lassen Sie mich handeln!“

„Was wollen Sie thun?“ rief Malwine halb erschrocken, halb erstaunt aus.

„Ich weiß es selbst nicht in diesem Augenblick. Aber vertrauen Sie mir, daß ich das Rechte finden werde! Vertrauen Sie mir!“

Damit wandte er sich ab und eilte davon.

Malwine ging, als er verschwunden war, langsam zu ihrem früheren Sitze zurück. Sie stützte sinnend das Kinn auf ihre Hand.

„Wie unglücklich ist eine Frau, die allein steht!“ sagte sie nach einer Pause seufzend. „Wenn er mich rettete vor diesem bösen Menschen, so hätte ich an ihm einen neuen Tyrannen. Und ich fühle, ich weiß, er wird es. Nun denn, in Gottes Namen!“

Sie blickte durch’s Fenster in die ferne weite Himmelsbläue, und ihre Züge verloren allmählich alle ihre frühere Spannung, ihren Ausdruck von Erregung. Eine eigenthümliche Ruhe schien über sie zu kommen, je mehr und mehr ihre Gedanken sich mit ihrer „Rettung“ durch Landeck beschäftigten und mit der „Tyrannei“, in welche sie alsdann gerathen würde. –




11.

Landeck eilte heim, um in seiner Wohnung Rudolph zu erwarten, der, nach der Verabredung vom gestrigen Tage, am Vormittage zu ihm kommen wollte, um ihm das Resultat seiner Unterredung mit dem Arzte mitzutheilen. Landeck war um so gespannter auf diese Mittheilung, als er selbst in diesem Augenblick noch nicht im Entferntesten einen Plan hatte, einen bestimmten Weg vor sich sah, wie er das, was er Malwinen gelobt hatte, ausführen solle; er wußte, er fühlte in seiner stürmischen Aufregung nur, daß er sein Gelöbniß lösen werde und müsse, und sollte es ihm das Leben kosten.

Als er die Gartenanlagen um die Villa des Herrn Escher betrat, sah er, daß Rudolph bereits gekommen war – aber Rudolph machte keine Miene, von ihm Notiz zu nehmen; er ging mit Elisabeth in dem Gange, der an der niedrigen Seitenmauer des Gartens entlang führte, auf und ab, und Beide sprachen mit unterdrückter Stimme, aber äußerst lebhaft mit einander.

„Der Vater,“ hatte Elisabeth eben gesagt, „ist außer sich – Gott gebe nur, daß die beiden erregten Männer nicht aufeinander stoßen! Daß Dein Vater, sein leiblicher Bruder, so habe wider ihn handeln können, da er ihm doch selber gestanden, daß es in seiner Macht gelegen, unsere Arbeiter von dem Strike zurückzuhalten, das hat ihn so furchtbar empört, so über alle Rücksichten fortgerissen, so offen und zornig vor meiner Mutter und mir Alles aussprechen lassen, was er bisher tief in sich verbarg. Und so ist mir endlich dieses schreckliche Licht gekommen, weshalb die unselige alte Spannung zwischen ihnen, und weshalb der Vater so hartnäckig wider unsere Verbindung ist. O Rudolph, Rudolph, welch unglückselige Stunde war das, wo Du so entsetzlich schwach warst …“

„Wenn Du mir diese Stunde vorwirfst, Elisabeth,“ unterbrach Rudolph sie, „wenn Du an meine Schuld dabei glaubst, wie es Dein Vater thut, wenn Du, wie er, überzeugt bist, ich hätte in der Noth, in die ich durch meine eigene Verschwendung und Liederlichkeit gerathen, meinen Herrn bestohlen – dann, bei Gott, Elisabeth, will ich den Untergang der Sonne, die jetzt auf uns scheint, nicht mehr sehen – dann mache ich meinem Leben ein Ende.“

„O nein, nein, nein,“ versetzte Elisabeth, mit der Linken seinen Arm ergreifend und fest umklammernd, während sie mit der Rechten ihr Tuch zu den Augen führte, um die strömenden Thränen abzutrocknen, „ich glaube Dir ja Alles, Alles, Rudolph; mein ganzes Herz sagt es mir, Du kannst so schlecht nicht gewesen sein – aber ist unser Unglück desto weniger groß darum? Der Vater glaubt es nun einmal – und bei seinem harten argwöhnischen Sinne –, wer wird ihm ausreden, was er glaubt, wer wird ihn überzeugen, daß die Sachen so zusammenhängen, wie Du sagst!“

„Das ist freilich zum Verzweifeln,“ rief Rudolph aus, „und ich würde verzweifeln, wenn ich nicht sähe, daß Du mir wenigstens vertraust und mir gut geblieben bist, Elisabeth, nachdem ich Dir eben gesagt habe, wie Alles gekommen ist und wie es zusammenhängt. Und nicht wahr, Du siehst jetzt auch ein, jetzt, wo ich Dir Alles gebeichtet, daß ich gar nicht anders konnte, als mit Malwinen auf dem Fuße guter Freundschaft bleiben, nicht allein wegen dessen, was Malwine für mich that, sondern auch, um Fühlung mit diesem Maiwand zu behalten …“

„Gewiß, gewiß, es ist mir jetzt selbst, als sei ich eine Thörin gewesen mit meiner Eifersucht. Unter dem furchtbaren Schrecken, den meines Vaters Worte mir erregt haben, und dem Kummer darüber ist es mir, als sei ich mit meiner Eifersucht recht erbärmlich und klein gewesen – ich will es Dir gestehen, Rudolph, es war auch weniger in mir der Glaube, daß Du Malwinen lieben könntest, als der Verdruß darüber, daß Malwine denken könne, Du gehörtest zu der Schaar ihrer Anbeter – sieh, dazu warst Du mir zu gut; das ließ mich so trotzig grollen … aber es ist vorüber, Alles, Alles. Rede nicht mehr davon … aber schaffe Rath und Hülfe, daß wir die Väter versöhnen, daß mein Vater von der Wahrheit überzeugt wird und daß er Dich und Dein Handeln in einem andern Lichte erblickt!“

Rudolph hatte Elisabeth’s Hand ergriffen und drückte glühende Küsse darauf.

„Also Du hast an meiner Liebe nicht gezweifelt, Elisabeth? – Du hast es wirklich nicht … o wie danke ich Dir für dieses Wort“ … es hat mich so unsäglich empört und erbittert, es hat mir so mein ganzes Leben vergiftet, daß Du keinen Glauben an mich hattest, wenn ich Dir sagte, daß ich mit Malwinen nicht brechen könne …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_106.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)