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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Elisabeth, deren Thränen wieder hervorbrachen, warf sich schluchzend an seine Brust.

„Nein, nein, nein, es war ja kindisch und abscheulich, und auch der Aerger war dabei, daß Du mir nicht gehorchtest, und weil ich meinen Willen nicht durchsetzte – o gewiß, ich war recht schlecht, Rudolph. Vergieb, vergieb mir und thue Alles, um der Wahrheit den Sieg zu verschaffen! Ich flehe Dich an …“

„Das werde ich, Elisabeth – und wenn ich ein Verbrechen begehen müßte, ich will jenen bösen Menschen zum Reden zwingen, da wir nun einmal kein anderes Auskunftsmittel haben … und dort unten sehe ich Landeck stehen; er harrt meiner. Er ist mein Verbündeter in der Sache … also auf Wiedersehen, Elisabeth! Ich hoffe, wir Beide athmen leichter, wenn wir uns wiedersehen.“

Er riß sich von ihr los und eilte zu dem seiner harrenden Freunde.

Beide hatten sich eine neue Verwickelung ihrer Lage mitzutheilen. Rudolph, indem er Landeck sagte, was er eben von Elisabeth erfahren. Herr Escher hatte nämlich in furchtbarer Entrüstung seinen Bruder, den Vater Rudolph’s, angeklagt, daß dieser die Arbeiter auf seinen Werken nicht von dem Strike abgehalten habe; er hatte sich ferner im Zorn offen darüber ausgesprochen, wie Malwinen’s Vermögen zur Deckung des Deficits in der Casse verwandt worden, die Rudolph angegriffen. Damit hatte denn auch Elisabeth ein ganz erschreckendes Licht über jenen unheilvollen Vorgang in der Residenz bekommen, das sie in Verzweiflung gestürzt, bis Rudolph sie eben durch eine offene Schilderung des Hergangs zu beschwichtigen gewußt. – Landeck theilte dagegen den Inhalt seiner Unterredung mit Malwinen mit, welche ihn in ebenso große Spannung seines ganzen Willens gebracht. Er fragte Rudolph dann nach dem Ergebniß seines Schrittes beim Doctor Iselt … aber Rudolph hatte von diesem nichts vernommen, was sie fördern konnte. Doctor Iselt hatte nur mitgetheilt, daß er früher, als er in der Hauptstadt Assistenzarzt gewesen, ein junges durch Maiwand verlassenes Mädchen in einer Krankheit behandelt und damals genug über ihn gehört habe, um zu seiner Ansicht über den Charakter des Mannes berechtigt zu sein, und daß er in die Hauptstadt geschrieben, um gewisse nähere Angaben hierüber zu erhalten. Das half den jungen Männern aber sehr wenig.

„Es bleibt uns nichts übrig, als uns an meinen Vater zu wenden,“ rief Rudolph aus. „Wir wollen ihm schildern, wie Malwine durch diesen Maiwand, durch die thörichte Handlung, zu der sie sich von ihm verlocken ließ, bedroht ist. Er ist klug und entschlossen; seine Arbeiter folgen ihm unbedingt; er soll sich mit diesen der Sache annehmen und bei unserem Feinde nöthigenfalls Gewalt brauchen. Wenn ein halb Dutzend entschlossener Männer den Herrn von Maiwand einfängt und ihm droht, ihn, wenn er nicht Alles gesteht und schriftlich bekundet, was man von ihm will, in eines unserer Frischfeuer schleudern zu wollen – ich denke, das hilft.“

„Ah – Sie wollen Gewalt brauchen, Rudolph,“ rief Landeck beunruhigt aus, „gegen einen so durchtriebenen und verschlagenen Menschen ist das sehr gefährlich.“

„Eben weil er so durchtrieben und verschlagen ist, bleibt uns ja nichts Anderes übrig. Oder wissen Sie ein anderes Mittel? Sie wissen keins. Deshalb kommen Sie – begleiten Sie mich! Wir wollen zu meinem Vater gehen. Sie sollen mich unterstützen bei ihm, indem Sie ihm Malwinens Lage Maiwand gegenüber schildern – kommen Sie!“

Rudolph zog ungestüm Landeck mit sich fort. Dieser folgte ihm, obwohl er nichts weniger als einverstanden war mit dem verzweifelten Entschlusse seines Freundes. So schritten sie aus den Anlagen hinaus und dem Wege nach, der flußaufwärts zu den Fabriken und dort über eine Brücke über den Fluß führte. Am Aufgange zur Brücke stand eine Menge Arbeiter beisammen; sie ließen sie schweigend vorüberziehen; einige grüßten Rudolph, der im besten Ansehen bei ihnen stand; überhaupt schien, nachdem die friedlichere Partei, welche gegen die Zerstörung der Maschinen war, bei ihnen gesiegt hatte, einige Beruhigung eingetreten. Jenseits des Flusses kamen mehrere ältere Männer in der Richtung von des Werkmeisters Hause her ihnen entgegen; sie blieben stehen, als sie Rudolph erreicht hatten, und einer sagte:

„Es ist gut, daß Sie kommen, Herr Rudolph Escher. Gehen Sie rasch und sehen Sie nach Ihrem Vater; es ist dem Manne etwas zugestoßen, was ihn ganz verstört macht. Wir hatten mit ihm zu verhandeln – wegen der Strikecasse und der Vertheilung der ankommenden Gelder, wissen Sie – aber es ist gar nicht mit ihm zu reden; es ist, als ob er von Sinnen sei und nicht mehr wüßte, was er sagt.“

„Es ist, als ob ihn der Schlag getroffen,“ sagte ein anderer der Arbeiter.

„Er ist erkrankt?“ rief Rudolph erschrocken aus.

„Krank? Ich weiß nicht, ob’s just das ist. Sehen Sie selbst!“ versetzte der Erstere.

Rudolph eilte so schnell davon, den Weg zu dem hochliegenden kleinen Hause hinauf, daß Landeck alle Mühe hatte, ihm nachzukommen. Als sie den Garten betraten, sahen sie Rudolph’s Vater auf der Bank vor dem Hause sitzen. Die Hände zwischen den Knieen zusammengeklammert, vornübergebeugt, saß er da, starr auf den Boden niederblickend; das Geräusch der nahenden Schritte ließ ihn aufblicken … und als ob der Anblick der beiden hastig daher kommenden jungen Männer etwas Erschreckendes für ihn hätte, erhob er sich mit offenbarer Anstrengung und schien vor ihnen in die nahe offene Hausthür fliehen zu wollen. Aber nach einem Schritte, den er gemacht, sank er wie gebrochen und kraftlos auf die Bank, an deren Armlehne er sich gehalten, zurück.

„Vater – Vater – was ist Dir? Was ist Dir zugestoßen?“ rief Rudolph, jetzt schon an seiner Seite und, um ihn zu unterstützen, seinen Arm ergreifend.

„Weshalb kommst Du?“ stieß der Alte mühsam und doch zornig hervor – „geh’ fort, geh’ hinein, laß’ mich! Ich will allein sein – geh’ hinein!“

„Wie kann ich hineingehen, ehe Du mir sagst, was Dir ist, was vorgefallen, ob Du krank bist, was Du hast, Vater?“

„Was mir ist – das soll ich Dir sagen vor dem Fremden da? Geh’ hinein, sag’ ich Dir – geh’ – ich will’s. Laß’ mich!“

Rudolph stand rathlos diesem räthselhaften Wesen seines Vaters gegenüber.

„Soll ich hinabeilen und nach dem Arzte senden?“ fragte Landeck besorgt.

„Lassen Sie den Arzt!“ rief der Alte – „hier ist nichts zu heilen. Was gethan ist, das ist gethan; was zerbrochen, das leimt kein Arzt mehr.“

„Aber,“ sagte jetzt Rudolph beinahe entrüstet durch diese seltsame schroffe Weise, „was ist denn gethan und was ist zerbrochen? Du sollst reden, Vater – Du kannst nicht glauben, ich ginge und ließe Dich so in Deinem Kummer oder in Deinem Leiden, bevor Du mir seinen Grund gesagt und ich weiß, was Dir geschehen ist.“

„Gesagt … ich soll es noch sagen – vor dem Fremden da sagen? Wahrhaftig, ich sollt’ es, ich sollt’ es thun, ich sollt’ es offen in die Welt hinausschreien, daß ich selbst nichts als ein alter böser Narr bin, der seinen Bruder, seinen leiblichen Bruder umbringt und ruinirt, und daß mein Sohn, mein eigener einziger Sohn, für den ich gearbeitet, gedarbt, erworben, für den ich gelebt habe, ein, ein …“

Er sprach das Wort nicht aus. Trotz seines inneren Jammers, trotz der entsetzlichen, niederschmetternden Last auf seiner Brust, die ihn nur keuchend Athem holen ließ, schien die Rücksicht auf die Gegenwart Landeck’s das Wort auf seiner Zunge festzubannen – er murmelte nur unhörbar das Wort, schlug dann langsam das Auge auf, und der Blick, den er nun auf Rudolph’s Züge richtete, hatte eine ganz unbeschreibliche Sprache von Zorn, Groll und tiefem Elende.

Landeck, der den Grund dieser Scene nach Rudolph’s früheren offenen Geständnissen längst glaubte verstanden zu haben, trat jetzt dichter heran an den alten Mann, und seine Hand beschwichtigend auf seine Schultern legend, sagte er:

„Sie durften das Wort, welches eben auf Ihrer Lippe lag, vor mir laut aussprechen; es würde der Ehrenhaftigkeit Ihres Sohnes in meinen Augen nicht das Geringste nehmen. Aber es ist besser, daß Sie es nicht sprechen, denn glauben Sie mir, Sie würden ein großes Unrecht an ihm begehen. Was Sie auch von ihm glauben mögen …“

Gotthard Escher unterbrach hier Landeck’s Rede durch einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_107.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)