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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

des „Cyklop“, Herrn Hecht ab, welcher nun die Theilung des Raubes vornimmt.

Grün und Gelb sind bloße Statisten gewesen
     und erhalten jeder 10,000 Thaler,
     zusammen also
20,000 Thlr.
Fröhlich und Selig haben größere Ansprüche,
     weil sie höhere Summen zeichneten und
     außerdem als Aufsichtsräthe fungiren; auf
     sie entfallen je 20,000 oder zusammen
40,000
Hirsch und Wolf endlich sind die beiden
     Intimusse von Hecht, mit denen er stets
     zusammengeht, und die ihn nächstens bei
     Gründungen, wo Einer von ihnen die
     Hauptrolle spielt, in gleicher Weise zuziehen
     und „betheiligen“. In Anbetracht
     dessen, in Erwägung ihrer Zeichnungen
     und mit Rücksicht auf ihre einflußreichen
     Stellungen als Präsident des Aufsichtsraths
     und resp. stellvertretender Director erhalten
     Wolf und Hirsch je 50,000 oder zusammen
100,000
Hecht zahlt also an seine Verbündeten 160,000 Thlr.
     und da er von Gebrüder Israel 1,000,000
     empfangen, bleiben noch 840,000 Thlr.
Hierin stecken die Kaufsumme für Flau mit
     400,000 Thlr. und das Betriebscapital
     mit 200,000 Thlr., gleich
600,000
so daß Hecht selber etwa 240,000 Thlr.

profitiren würde. Es ist jedoch sicher anzunehmen, daß er auch mit Flau ein geheimes Abkommen getroffen hat und an diesen nicht 400,000 Thaler voll, sondern höchstens 350,000 Thaler zahlt. Aehnlich verhält es sich mit dem „Betriebscapital“ von 200,000 Thalern, dessen Schicksal ganz in den Händen des Directors Hecht und seines Stellvertreters Hirsch ruht und das in der Regel schon im ersten Geschäftsjahr der neuen Gesellschaft wegzuschmelzen pflegt, wie der Schnee im April. Was Wunder, wenn die mit 100 an der Börse eingeführten Actien des „Cyklop“ schnell auf ein Sechstel des Nennwerths sinken?! Was Wunder, wenn nach einem Jahre der „Cyklop“ bereits um seine Existenz ringt, zu einer Anleihe schreiten muß, oder gar in Concurs geräth, und die Actionäre auch nicht einen Heller mehr retten?!!

Der Leser aber darf überzeugt sein, daß diese Vorgänge und diese Zahlen keinem bloßen Phantasiegebilde entnommen sind, sondern auf Thatsachen beruhen, die sich hundertmal wiederholt haben, und bei dem Gründungstreiben überhaupt die Regel bildeten. Jene Summen sind durchaus nicht übertrieben, sondern die Gründer haben in vielen Fällen noch weit größere Beute-Antheile davon getragen; ja es ist, namentlich bei Banken und Bergwerken, mehrfach vorgekommen, daß überhaupt gar kein oder doch nur ein eingebildetes, in Wahrheit völlig werthloses Gründungsobject vorhanden war, das aber trotzdem die Actionäre mit Millionen bezahlt haben.

Man gestatte uns, noch einen Augenblick zum „Cyklop“ zurückzukehren um daran einige Erläuterungen zu knüpfen. Herr Hecht konnte die Gründung nicht allein vollführen. Er bedurfte dazu der anderen Personen als seiner Gehülfen. Um die Posse der „constituirenden Generalversammlung“ in Scene zu setzen, um den obligaten „Aufsichtsrath“ und „Vorstand“ wählen zu können, sind mindestens sieben bis zehn Schauspieler nöthig. Dieses müssen Leute von Vermögen oder Credit sein, sonst vertreibt kein namhaftes Bankhaus die Actien, sonst findet das „Effect“ an der Börse keinen Anklang und überhaupt kaum Aufnahme. Selbstverständlich giebt sich nun aber zu solchem Diensten Niemand umsonst, Niemand aus bloßer Gefälligkeit her – am wenigsten ein Geldmann, sondern wer beim Gründen hilft, verlangt auch seinen Antheil. Und mit Recht. Denn jeder Mitgründer trägt eine moralische wie eine gesetzliche Verantwortlichkeit, die ihm Geld und Freiheit kosten kann, Achtung und Ehre meistens gekostet hat, und wenn er als „erster Zeichner“ auftritt, übernimmt er auch immer ein Risico. Selbst wo er nur zum Schein zeichnet, wo z. B. das angeworbene Bankhaus für ihn die Einzahlung leistet, bleibt er demselben doch verhaftet, falls die Gründung verunglückt, oder die Actien nicht abgesetzt werden. Daher sind alle die Personen, welche je beim Gründen irgend wie Pathen standen, dafür auch bezahlt worden, und in der Regel überreichlich. Auch pflegten sich die „ersten Zeichner“, gleichviel ob wirkliche oder nur Scheinzeichner, außerdem noch gewisse einträgliche Vorrechte nach der Zukunft hin zu wahren, z. B. für den Fall der Ausgabe neuer Actien, worauf wir seiner Zeit näher eingehen.

Verkaufte der Besitzer direct, oder unternahm er selber die Gründung, so hatte er natürlich seine Helfershelfer abzufinden und stellte demgemäß die Verkaufssumme oder das Actiencapital so hoch wie nur irgend angänglich. „Lieber etwas mehr Capital!“ war fast überall die Losung, und die Vorstände gewisser Actiengesellschaften, die nachher in Concurs geriethen oder zur Liquidation (Auflösung) schreiten mußten, suchten sich dann mit der Behauptung zu entschuldigen: „das Actiencapital sei zu klein gewesen“ (!). Man that’s in der Regel nicht unter einer Million, da man sonst nicht die Gründungsspesen herausschlug, und weil es sonst auch nicht recht lohnte, damit an die Börse zu kommen. Weil man blos „gründete“, um zu gründen, mußte man die Leitung der Fabrik oder der Bank etc. oft in den Händen des Verkäufers lassen. So heißt es in dem Prospecte der „Märkisch-Schlesischen Maschinenbau- und Hüttenactiengesellschaft, vormals F. A. Egells“: „Die Mitwirkung der früheren Besitzer ist für das neue Unternehmen gesichert.“ Und in der Ankündigung der so berüchtigt gewordenen „Thüringer Actiengesellschaft für Fabrikation von Eisenbahnmaterial, Erfurt-Gotha“ – eingeführt durch die Bankhäuser Rauff und Knorr und S. Frenkel, die beide noch eine Reihe ähnlicher Gründungen leisteten – liest man: „Der bisherige Chef der Fabrik in Erfurt, Herr Julius Unger, eine technische Autorität für Eisenconstructionen, ist für die Oberleitung des neuen Unternehmens gewonnen, dem damit die Erfahrungen und Verbindungen des alten zu Gute kommen.“ Der Verkäufer oder Vorbesitzer, der nicht selten ja der eigentliche Gründer war, ließ sich in vielen Fällen zum Präsidenten des Aufsichtsrathes oder zum Director der neuen Actiengesellschaft ernennen. Als solcher bezog er dann einen Ministergehalt und eine vielleicht noch höhere Tantième und verfuhr im Uebrigen nach Willkür und Belieben. Entweder er that gar nichts und ließ die Dinge gehen, wie sie wollten, oder er that zu viel, begann zu bauen und zu vergrößern, schaffte die theuersten Maschinen an, experimentirte in der kostspieligsten Weise und verschwendete in Materialien und Löhnen – lauter Dinge, vor denen er sich früher wohl gehütet hatte.

Um bei einer Gründung vorsichtig und sicher zu gehen, um sich gegen Verluste und Rückschläge zu decken und um das Risico möglichst zu theilen – bildete man wohl auch nicht blos ein Consortium (Genossenschaft), sondern mehrere hintereinander. Der interessanteste Fall dieser Art ist der folgende. Herr A., ein in Geschäften sehr gewandter und darin auch stets äußerst glücklicher Mann, verband sich im November 1871 mit guten Bekannten zur Gründung eines „artistischen“ Unternehmens. Nachdem die Zeichnungen geschehen, verkaufte das erste Consortium die Actien an ein zweites Consortium zum Course von 75, worauf sie ein drittes Consortium zum Course von 85 übernahm, und sie einem vierten Consortium zum Course von 93 überließ. Dieses endlich führte die Actien an der Börse ein zum Course von – 110 und schlug sie zu diesem Preise auch wirklich los. Der Leser schüttelt verwundert den Kopf. Aber er wird sich erst recht wundern, wenn er hört, daß der geschickte Herr A. allen vier Consortien angehörte. In der That, Herr A. trat viermal hintereinander zugleich als Verkäufer und als Käufer, als „Geber“ und als „Nehmer“ auf, und verdiente natürlich jedesmal doppelt, nach rückwärts wie nach vorwärts hin. – Uebrigens war die Gründung trotzalledem keine eigentlich unsolide. Nein, sie ist vielleicht die solideste der ganzen Periode. Denn die Gesellschaft hat seit drei Jahren regelmäßig zehn Procent Dividende vertheilt, und ihre Actien stehen selbst heute, wo die Börse an der galoppirenden Schwindsucht darnieder liegt und die Mehrzahl aller Effecten am Course fast neun Zehntel eingebüßt hat, circa – 120! Die Moral von der Geschichte aber mag der Leser selbst herausfinden.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)