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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Erregung und einer Spannung seines Wesens, die sich jetzt vollauf bis zum Unerträglichen steigerte. Nach allen Seiten hin war es bis zu dem Punkte gekommen, wo die Lösung gefunden, die Klärung der Lage herbeigeführt werden mußte, wo Tod und Leben von dem Ausgange des Conflicts abhingen. Rudolph, so direct als Verbrecher beschuldigt, mußte sich in Escher’s Augen rechtfertigen. Der alte Gotthard mußte eine beruhigende Aufklärung erhalten, sollte der Kummer über den Sohn, an dem sein ganzes Herz gehangen, und in welchem allein er zu leben schien, den unglücklichen Mann nicht tödten. Malwine mußte von der Angst, womit ihr Bedränger sie erfüllte, gerettet werden, oder Landeck hatte zu befürchten, daß sie, die zu raschen und rücksichtslosen Entschlüssen sicherlich leicht genug zu bestimmen war, in dieser Angst und in der Beschämung über ihre stürmisch kundgegebene Neigung die Flucht ergreifen und ihm auf immer entschwinden würde; für ihn selbst handelte es sich ja jetzt um seine Ehre, um seine Wiederherstellung in Malwinens Augen und somit auch um sein ganzes Lebensglück. Er mußte eine Lösung finden, mußte sie ohne Zögern finden.

Aber wie sie finden? Durch die Macht des Rechts und der Wahrheit, die hinter ihm standen? Was war bei einem Menschen wie Maiwand damit zu erreichen, so lange er ohne weitere Waffen ihm gegenübertrat! Und mit andern Waffen ihm gegenübertreten, ihn im Duell tödten, das half noch weniger. Es verschlimmerte ja nur die ganze Lage und machte sie heillos. Mit Gewalt von dem Elenden erzwingen, was man von ihm verlangte, das war Rudolph’s Plan gewesen, ein Plan der Verzweiflung, aber chimärisch; er konnte am Ende dahin führen, daß Maiwand sich, als der angegriffene, gefährdete, zu keiner Schonung mehr verpflichtete Theil, offen als Feind erklärte und von den Mitteln, die er nun einmal zum Unglück besaß, Gebrauch machte, um Malwine zu bedrängen. Und konnte denn List und Klugheit helfen, Verschlagenheit dem verschlagenen Menschen gegenüber? Freilich, sie am ersten, wenn nur Landeck nicht solch eine bemitleidenswerthe reine Seele gewesen wäre, der List und Verschlagenheit so fern lagen, daß es ihm stets mißlungen war, nur die geringste Nothlüge hervorzubringen! Und doch, eine Lüge, eine freche, mit der kühnsten Energie auftretende Lüge konnte helfen, und in dem Augenblick, wo dieser Gedanke über Landeck kann, war er auch entschlossen, sie zu gebrauchen.

Er ging zum Schlosse zurück, diesmal der Gesindestube, die durch eine Seitenthür in’s Freie führte, sich zuwendend. Dort fragte er nach Herrn von Maiwand. Dieser war am heutigen Vormittag nicht wie gewöhnlich nach Haldenwang herausgekommen. Also mußte er in seiner Wohnung beim Pfarrer im Dorfe sein. Landeck trat unverdrossen seine Wanderung dahin an. Er fühlte nach all den Gängen an diesem Tage nichts von Ermüdung. Er schritt vorwärts, rastlos vorwärts, alles Sinnen und Denken nur auf das, was er beschlossen hatte, concentrirend, jeden Gedanken, der seine Energie hätte lähmen können, jedes Bedenken wider die List, die Lüge, welche er zu seinem Mittel machen wollte, mit Gewalt von sich abweisend. Er fühlte dieses Bedenken, die Beklommenheit darum schwer genug auf der Brust liegen, aber bis zu seinem Haupte, bis zur lähmenden Besinnung und Erwägung sollte das Bedenken nicht kommen. Die frische Farbe der Entschlossenheit sollte nicht durch des Gedankens Blässe angekränkelt werden. Er wollte es nicht und wäre es ein Verbrechen gewesen, was er beging, er wollte es ausführen, um all der Pein und Qual um sich her und in sich ein Ende zu machen.




12.

So gelangte er zum Pfarrhofe, in dem Maiwand wohnte. In den Gängen des Gartens sah er über die Hecke fort den Pfarrer an der Seite des Doctor Iselt auf- und abgehen. Beide in lebhaftem Gespräche miteinander; der Arbeiterstrike gab ja überall jetzt den Leuten den ausgiebigsten Gesprächsstoff.

Er trat in’s Haus und in die geräumige Küche, in der eine am Feuer beschäftigte Magd ohne weitere Anmeldung ihm die Thür zu Maiwand’s Zimmer öffnete. Dieser saß in seinem Schlafrocke hinter Büchern und Rechnungen, mit deren Controlle und Eintragung er beschäftigt war. Er schien ruhig seines Amtes als Malwinens Oberrentmeister zu walten. Langsam hob er den Kopf. Seine Züge zogen sich eigenthümlich zusammen, als er Landeck vor sich treten sah. Ohne ein Wort zu sprechen, ohne sich zu erheben, lehnte er sich in seinen Armstuhl zurück und blickte Landeck schweigend an.

„Sie finden es ein wenig tactlos, Herr von Maiwand,“ sagte dieser, sich zur äußersten Ruhe und einem völlig unbefangenen Ton zwingend, „daß statt meiner Zeugen, welche Sie erwarteten, ich selber bei Ihnen erscheine …“

„Freilich!“ versetzte Maiwand in einem Tone verächtlicher Lässigkeit.

„Aber ich dachte, daß wir unseren Streit am besten so beilegen. Ich bedaure diesen. Ich wünsche nicht, mich mit Ihnen zu schlagen, und deshalb komme ich, um Ihnen die Genugthuung zu geben, die Sie als Edelmann verlangen können. Ich gebe Ihnen die offene Erklärung, daß ich vorschnell, ohne Kenntniß der Sache und der Natur des zwischen Ihnen und Herrn Rudolph Escher entstandenen Streites meine Forderung ausgesprochen habe und sie zurücknehme. Sind Sie damit zufrieden?“

Eine boshafte Freude blitzte in Maiwand’s Augen auf.

„Ich finde diesen Schritt von Ihrer Seite nur sehr verständig und weise, Herr Landeck,“ versetzte er mit einem überlegenen Lächeln. „Es haben sich Leute, welche besser als Sie mit den Waffen umzugehen wußten, besonnen, bevor sie sich mit mir schlugen. Eine andere Frage ist es jedoch, ob ich mit der Genugthuung, welche Sie bieten, zufrieden bin. Diese Erklärung zwischen vier Wänden und unter vier Augen kann mir nicht genügen. Ich müßte sie da verlangen, wo Sie Ihre, wie Sie bekennen, sehr unmotivirte Beleidigung ausgesprochen haben, an derselben Stelle …“

„Ich verstehe, in Haldenwang, in Gegenwart der Frau von Haldenwang wohl gar,“ fiel Landeck bitter lächelnd ein; er mußte im Stillen die Geistesgegenwart des Mannes anerkennen, der sofort der Sache eine solche Wendung zu geben suchte, daß dadurch Landeck in Malwinens Augen feig und verächtlich erscheinen mußte. „Ich wäre auch damit einverstanden, Herr von Maiwand,“ erwiderte er, „wenn dem sich nicht ein sehr großes und entschiedenes Hinderniß in den Weg stellte.“

„Und das Hinderniß wäre?“

Landeck, den Maiwand bisher, ohne ihm einen Sitz anzubieten, vor sich stehen lassen, wandte sich, um sich einen Stuhl herbeizuholen, stellte ihn neben den Tisch, an dem sein Gegner saß, und, nachdem er sich gesetzt und Hut und Handschuhe abgelegt, zog er ruhig sein Cigarrenetui hervor.

„Nun,“ fragte Maiwand, ihn mit einiger Verwunderung ansehend, „es scheint, Sie halten, ein wenig voreilig, den Frieden bereits für geschlossen?“

„So sehr,“ entgegnete Landeck, „daß ich Sie um ein wenig Feuer bitte.“

Maiwand schob ihm lässig ein Feuerzeug zu.

„Wollen Sie jetzt die Gewogenheit haben und auf das Hinderniß zurückkommen?“ sagte er dabei.

„Das Hinderniß? Gewiß!“ versetzte Landeck, und nachdem er seine Cigarre in Brand gesetzt, fuhr er fort:

„Das Hinderniß besteht darin, daß Sie nicht nach Haldenwang zurückkehren werden, Herr von Maiwand, also nicht davon die Rede sein kann, daß wir dort Erklärungen austauschen. Sie müssen deshalb schon mit meiner jetzigen unter vier Augen vorlieb nehmen.“

„Daß ich nicht nach Haldenwang zurückkehren werde?“ fragte mit halb verwundertem, halb verächtlichem Lächeln Herr von Maiwand.

„So sagt’ ich.“

„Daß Sie es sagten, hört’ ich – ich möchte vernehmen, weshalb Sie es sagten.“

„Sie werden nicht dahin zurückkehren, weil Frau von Haldenwang es nicht wünscht und Ihnen dies durch mich ausdrücken läßt.“

„Ah!“ lachte Maiwand gezwungen auf, „eine sehr naive Botschaft, welche Sie da übernommen haben. Sie haben mich bei Ihrem Eintreten hier allerdings nur ein wenig an Ihrem Tacte zweifeln lassen; jetzt, gesteh’ ich Ihnen, muß ich an Ihrem Verstande zweifeln …“

„Bitte, Herr von Maiwand! Wir haben eben, denk’ ich,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_126.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)