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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


wohin jene Summe damals gewandert ist. Die Sorge, welche Frau von Haldenwang wegen des Vertrags hegte, zu dem Sie sie verleiteten, wird ihr durch das Gericht abgenommen werden. Seien Sie dessen sicher! Also können wir uns Ihnen empfehlen, Herr von Maiwand.“

Herr von Maiwand athmete tief und schwer; er war sehr bleich geworden. Das Papier, welches Doctor Iselt Landeck übergeben, hatte in der That eine merkwürdige Wirkung geübt. Es hatte seinen Zorn, wie es schien, plötzlich gebrochen. Er mochte sich sagen, daß nun Alles für ihn zu Ende, daß dieses Blatt ihn in Malwinens Augen unrettbar verderben mußte, für immer.

„Sie können sich empfehlen, meine Herren,“ preßte er mühsam hervor, „und mich der Frau von Haldenwang, wenn’s beliebt. Ich bin nicht der Mann, der sich aufdrängt. Wenn Sie übrigens das Geld, das Sie mir boten, in der That daran wenden wollen, so will ich Ihnen den Revers, den Sie wünschen und der uns einen häßlichen Proceß erspart, ausstellen.“

„Damit bin ich einverstanden. Haben Sie die Güte, diesen Revers zu schreiben!“

Maiwand nahm seinen früheren Platz wieder ein und zog ein Schreibzeug herbei – sehr langsam und gemessen und mit zitternder Hand. Dann starrte er auf das Papier. Er bedurfte offenbar einiger Zeit, um sich zu fassen und seine Gedanken zu ordnen. Landeck sprach deshalb den Wunsch aus, ihm den Wortlaut der Bescheinigung zu dictiren, und Maiwand nickte dazu. Es bedurfte nur weniger Zeilen, worin die Erklärung enthalten war, daß der mit Tag und Datum näher bezeichnete Vertrag nur ein Scheinvertrag gewesen, daß vom Ankäufer keine Zahlung geleistet worden, daß dieser nie beabsichtigt habe, daraus Rechte herzuleiten, und auf alle solche, falls sie ihm erwachsen, verzichte. Maiwand unterzeichnete dann das Schriftstück. Landeck und Iselt thaten es als Zeugen ebenfalls, und dann legte Landeck jenem die dafür als Preis versprochenen fünf Banknoten wieder auf den Tisch. –

Maiwand starrte darauf hin und dann die beiden sich jetzt zum Gehen wendenden Männer an, als frage er sich in diesem Augenblicke, ob er denn eigentlich wache oder träume – und in der That, die niederschmetternde Raschheit, womit sich sein Schicksal so urplötzlich gewendet hatte, war geeignet genug, ihm einen solchen Eindruck zu machen, und ihn so vernichtet den beiden sich entfernenden Gegnern nachstieren zu lassen. –

Als diese draußen vor dem Pfarrhause waren, schob Landeck hoch und glückselig aufathmend seinen Arm unter den Iselt’s und sagte:

„Wie soll ich Ihnen danken, Doctor? Niemals traf ein ungehoffter Bundesgenosse im richtigeren Moment ein als Sie soeben. Wie aber, ich bitte Sie, war es Ihnen möglich, sich jenes Document zu verschaffen, womit ich jetzt dem armen Rudolph das Leben wiedergeben kann?“

„Das ist sehr einfach zugegangen,“ versetzte der Doctor. „Ich erhielt es an diesem Vormittag, als ich eben im Begriffe war meinen Rundgang zu meinen Patienten anzutreten. Sie müssen nämlich wissen, daß ich vor Jahren einmal als Arzt in einer Familie thätig war, die aus einer Frau und ihrer Tochter bestand, anständigen Bürgersleuten, welche ein paar elegant meublirte Zimmer an Officiere zu vermiethen pflegten. In ihrem Hause hatte Herr von Maiwand lange sein Hauptquartier aufgeschlagen, und die Zeit dazu benutzt, das Mädchen unglücklich zu machen; aus den Schilderungen der Mutter lernte ich zuerst den Leumund dieses Herrn kennen. Sie erzählte mir mehr als ich verlangte von dem Leben, das er geführt, von den Schulden, die er gemacht, von den Wucherern, die ihn bedrängt und es verstanden, die Wechsel, die er ihnen ausgestellt, ganz unglaublich und lawinenhaft wachsen zu lassen. Auch von einem Herrn Aaron Baer, der seine Vorschüsse von einigen tausend Thalern bis zu der Summe von neuntausendfünfhundert Thalern hinaufgeschwindelt und dann stürmisch Zahlung verlangt habe. Da ich zu solchem Schwindel ungläubig den Kopf schüttelte, schloß die gute Frau ihren Secretair auf und zog das Blatt hervor; sie hatte es beim Aufräumen in dem Papierkorbe gefunden, in den es Maiwand, nachdem er es bezahlt und zornig zusammengeballt, geworfen, und hatte es als Merkwürdigkeit, als Document zur Sittengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts aufbewahrt, Dessen erinnerte ich mich, als Sie mir zuerst von dem Scheinkaufe von Haldenwang redeten, und dann kam mir der Gedanke, daß ein solches Beweismittel für die finanzielle Lage Maiwand’s der Frau von Haldenwang wichtig werden könne, wenn sie mit ihm in Zerwürfniß und Proceß über ihren leichtsinnigen Kaufvertrag gerathe. Ich schrieb also an jene Frau in der Residenz und bat sie um das für sie werthlose Blatt, falls sie es noch besitze, und, wie Sie sehen, ich erhielt es. Als mich dann der Pfarrer in sein Schreibzimmer führte, wo ich ihm ein Recept screiben wollte, vernahm ich Ihre erhitzte Stimme im anstoßenden Raume, und folgte eine Weile mit begreiflicher Spannung der Debatte, die ich freilich nur zum Theil verstand, doch hörte ich genug, um zu begreifen, wie wichtig Ihnen der alte Wechsel sein mußte, den ich eben erhalten. Von einer Erklärung Maiwand’s über dieselbe Summe, auf welche der Wechsel lautet, sprachen Sie ja gerade. Daß ich den Horcher gemacht, werden Sie mir also schon vergeben. Sie schrieen ja ohnehin so laut, daß es gar nicht möglich gewesen wäre, nicht zu horchen, und weil ich also auch vernommen habe, in welcher Eigenschaft Sie diesem Bösewichte die Stirn geboten, so lassen Sie mich jetzt vor allen Dingen Ihnen Glück, alles überschwengliche Glück wünschen, Ihnen, ‚dem der große Wurf gelungen‘, der nun doch bekennen muß, was kluge Leute ohnehin sich sagen konnten, daß er aus dem fernen Hellas dieser Helena gefolgt ist, die er sich nun, ein tapferer Achill und kluger Odysseus zugleich …“

„Ich bitte Sie bei allen Göttern dieses Hellas,“ fiel Landeck erschrocken ein, „hören Sie auf! Sie sind völlig im Irrthume, wenn Sie glauben, meine Versicherung, ich habe ein Recht, für Frau von Haldenwang aufzutreten, sei irgend etwas Anderes gewesen, als eine Kriegslist, ohne die ich nicht den geringsten Erfolg hoffen durfte. Ich mußte meinem Gegner alle und jede Hoffnung, daß er sein eigentliches Ziel je erreichen werde, mit einem Schlage nehmen. Dazu gab es nur ein Mittel, eine, wenn Sie wollen, freche Lüge.“

„Ah bah,“ unterbrach ihn lachend Iselt, „ich glaube nicht an Ihre Lügen. Ein so classischer Mensch wie Sie und lügen! Die Lügen gehören in die Romantik.“

„Und doch, ich schwöre Ihnen, daß ich log,“ fiel Landeck heftig ein, „und Sie werden mich grenzenlos unglücklich machen, wenn je ein Wort über Ihre Zunge käme, welches die Kriegslist, die ich brauchte, verriethe.“

Iselt schüttelte den Kopf und lachte:

„‚Ich schwöre, daß ich log – ich log, was ich schwur‘ – was soll ich darauf geben? Ich habe Ihnen gesagt, daß ein Arzt etwas von einem Beichtvater an sich hat und das Beichtsiegel zu bewahren weiß. Darum und meines treuen Beistandes willen, dächt’ ich, könnten Sie ein wenig offener gegen mich sein. Aber beruhigen Sie sich! Ich werde Ihnen durch fehlende Discretion keinen Verdruß machen.“

Doctor Iselt sprach das wie durch Landeck’s Mangel an Vertrauen ein wenig verdrossen und schwieg dann. So eilten sie Beide auf dem Wege nach Haldenwang dahin, bis in der Nähe des Gutes Iselt zurückblieb.

„Wohin wollen Sie, Doctor?“ fragte Landeck.

„Zu meinen Kranken, Sie sind, wenn ich Sie nicht begleite, um Zeuge des zärtlichen Dankes zu sein, der Ihnen da oben werden wird, desto sicherer, daß ich Sie nicht verrathe.“

„Nein, nein,“ rief Landeck aus, indem er sein geröthetes Gesicht vom Doctor abwandte und die Hand ihm auf die Schulter legte, „Sie sollen mir jetzt einen großen, großen Freundschaftsdienst leisten. Ich selbst, ich kann jetzt nicht zu Frau von Haldenwang gehen – ich kann es nicht.“

„Sie können es nicht? Weshalb nicht?“

„Denken Sie, es wäre – nun, was weiß ich selbst, was es ist? – aber ich kann es nicht. Es scheint mir so anmaßend, so unverschämt, wenn Sie wollen, vor eine arme Frau, deren Herz voll schwerer Sorge ist, zu treten und ihr zu sagen: da bin ich, Dein Retter, Dein Befreier. Ich habe Alles erreicht, erkämpft, was Du bedarfst, um wieder glücklich und frei aufzuathmen. Kann man so vor Frau von Haldenwang treten? O nein, das müssen Sie selbst fühlen, man kann es nicht. Mir ist es wenigstens unmöglich.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_128.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)