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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


zu Gottfried Escher gewendet, „Du zürnst Rudolph nicht mehr, und dann, nicht wahr, Oheim Gottfried, mein gestrenger Vormund, dann zürnst Du auch der eigenwilligen, leichtsinnigen Malwine nicht mehr, daß sie einst so scharf ihren Willen durchsetzte?“

„Wie sollt' ich Dir noch zürnen, Malwine?“ entgegnete er, „Du handeltest damals groß und edel. Daß ich erfuhr, wie Du bewogen wurdest, so zu handeln, dafür hilf mir hier Deinem griechischen Freunde Landeck danken! Er war der Mann, der mich auf den Grund der Dinge blicken ließ, der so eindringlich zu reden wußte, daß ich einsah, wie viel Unrecht ich in Gedanken begangen – und leider auch heute in meinem Handeln gegen Gotthard …“

„Ja, ihm, Landeck allein verdanken wir den Frieden, Malwine,“ rief hier Elisabeth, indem sie sich zu Landeck wandte und ihn, mit ihren beiden Händen seine Rechte umfassend, heranzog.

„Ihm – auch Ihr! Und Ihr wißt noch nicht einmal,“ sagte Malwine mit leiserer, schüchterner Stimme und offenbar plötzlich mit einer schweren Befangenheit ringend, „Ihr wißt nicht, was er für mich gethan, wie er für mich gekämpft und gesiegt hat …“

„O, reden Sie nicht davon!“ unterbrach Landeck sie beschämt, „Sie sehen, wie ungehärmt und unverwundet ich aus dem Kampfe hervorgegangen bin …“

„Und doch haben Sie Alles, Alles für uns vollbracht,“ sagte sie, „wie soll ich Ihnen danken?“

„Sie sollen mir wirklich nicht danken,“ versetzte er jetzt fast heftig in seiner hülflosen Verlegenheit, „es ist wahrhaftig nichts Großes, was ich zu Stande gebracht, und ich that es ja auch um Rudolph’s willen, am Ende gar nur meiner selbst willen, aus bloßem gestacheltem Ehrgeiz, und da Sie, nur Sie, diesen Ehrgeiz so zu stacheln gewußt haben, daß er mir den rechten Muth gab, so ist ja eigentlich Alles nur Ihnen zu verdanken.“

„Ein wenig haben Sie Recht,“ entgegnete Malwine, ihm tief in’s Auge schauend, „wenn nicht den Muth, den Ihnen Niemand zu geben braucht, gab ich Ihnen doch die wirksamste Waffe und legte auf Ihre Lippe das entscheidende Wort, womit Sie den Gegner besiegten.“

„Das gaben Sie mir?“ fragte Landeck sie nicht verstehend, nicht wagend, sie zu verstehen.

„Das gab ich Ihnen, als ich Ihnen am heutigen Morgen das Recht gab, mich Ihre Braut zu nennen, Landeck …“

Landeck wurde purpurroth.

„Sie gaben mir dazu das Recht? O mein Gott!“ stammelte er, „als ich das Wort aussprach – und Sie wissen es, daß ich das that? Hat mich Iselt so schnell verrathen? – als ich das Wort aussprach, da hatte ich wohl das Bewußtsein, daß ich etwas that, was nichts entschuldigen konnte, nichts, aber Sie hörten es ja nicht, sollten es nie hören und erfahren, und ich hatte ja so vergeblich nach einem anderen Mittel gesucht, mich gequält, um eins zu finden, und in der Verzweiflung, in die Ihr Zorn mich stürzte, in dem furchtbaren Gefühl, etwas vollbringen zu müssen, das …“

„Weshalb alle diese Worte, Landeck?!“ unterbrach ihn Malwine rasch und tief aufathmend, „ich verlange ja das Alles nicht zu hören. Sie thaten, was Sie berechtigt waren, zu thun. Ich hatte Ihnen ja,“ sie sprach die Worte sehr leise, „ich hatte Ihnen ja mein Gefühl für Sie verrathen. Und darum durften Sie reden. Eine ehrliche Frau offenbart nicht ihr Gefühl; sie giebt nicht ihr Herz, ohne sich selbst zu geben. Wenn ich Ihnen in einem Augenblicke stürmischer Erregung mein Gefühl für Sie zeigte, wußten Sie auch, daß meine Hand Ihnen gehörte. Und hier, hier ist sie.“

Landeck war keines Wortes mächtig. Er blickte sie einen Augenblick an, als traue er seinem Ohre, seinen Sinnen nicht, und dann kniete er vor ihr nieder und küßte ihre Hand, auf die seine Thränen niederfielen.

„Welche Wendung für uns Alle diese eine Stunde enthält!“ rief hier Gottfried Escher, während die Anderen erstaunt und überrascht ihrer erregten Theilnahme in eben so lebhaften Ausrufen und gerührten Glückwünschen Luft machten.

„Aber mein Gott,“ sagte plötzlich Landeck aufspringend, „wie darf ich – Sie, die reiche Malwine, und ich, der arme – –„

„Trösten Sie sich darüber, Landeck!“ unterbrach ihn bitter lächelnd Gottfried Escher, „arm werden wir Alle bald sein, wenn diese Arbeitseinstellung lange dauert …“

„Das aber, das soll sie nicht,“ sagte hier sein Bruder Gotthard mit düsterer Entschlossenheit. „Das ist jetzt meine Sache, Gottfried, und verlaß’ Dich darin auf mich! Ihr soll ein Ende werden.“

Er war aufgesprungen, alle seine Bewegungen zeigten wieder die frühere eiserne Kraft des Mannes und seine Züge die tödtlichste Entschlossenheit. „Es sind,“ fuhr er fort, „genug unter ihnen, die gern fortarbeiten möchten, aber sie haben nicht den Muth, denn die Andern, die wissen, daß der ganze Anschlag zusammenfällt, wenn nicht Alle bis auf den Letzten zusammenstehen, haben sie mit dem Tode bedroht. Den Muth wollen wir ihnen geben; ich und Rudolph werden sie zusammenbringen und ihnen zeigen, wie wir die Arbeit wieder mit denen beginnen, die sich uns anschließen, und die Todtschläger mögen dann kommen, wenn sie Lust haben!“

Der alte Mann nahm seinen Hut und steckte eine Waffe zu sich, auch Rudolph that so, und Beide eilten davon, den Fabrikanlagen zu. Gottfried Escher folgte ihnen. Er sah, wie sie mit einer Gruppe Arbeiter zusammenstießen und mit ihnen in lebhaften Wortwechsel geriethen. Nach einer Weile theilte sich die Gruppe; mehrere gingen nach verschiedenen Seiten auseinander, aber beinahe ein Dutzend folgte dem alten Gotthard und seinem Sohne nach den weiter oben liegenden Gebäuden von Bartels und Söhnen.

Escher schritt jetzt, um eine Centnerlast erleichtert, seiner Villa zu. Er wußte, daß in einer Sache wie diese nur der Anfang schwer ist und daß der ganzen Agitation jetzt der Kern ausgebrochen war. Und in der That zeigte sich schon am andern Tage der Einfluß, den sein Bruder durch seine Persönlichkeit auf die Arbeiter ausübte, und die Macht seines Beispiels siegreich. Von Herrn Escher’s Leuten stellte sich ein volles Drittel schon am folgenden Morgen bedingungslos zur Arbeit ein, und der Rest kam im Laufe der zwei folgenden Tage. Ein wenig länger hatten Bartels und Söhne zu warten und zu verhandeln, doch war am Ende der Woche auch hier Alles ausgeglichen. Gegen Gotthard Escher und den Werkmeister Rudolph als Verräther, als Treulose, als Judasse war dann freilich am nächsten Sonntage in den Schenken viel Eiferns, Drohens und Schimpfens. Dabei und bei einigen mit allen möglichen Arten des grausamsten Todes drohenden anonymen Briefen blieb es dann aber.

Herr von Maiwand reiste schon am nächsten Tage ab, nachdem er sich in der That das boshafte Vergnügen gemacht, die Verwaltung des betreffenden als eventueller Erbe eingesetzten Waisenhauses brieflich von der bevorstehenden Vermählung der Frau Malwine von Haldenwang mit dem Herrn Landeck zu benachrichtigen. Malwine von Haldenwang ging darüber leicht hinweg. Als ihr der Diener ein Schreiben brachte, welches die Ankunft eines zur Unterhandlung bevollmächtigten Commissars ankündigte, war sie eben beschäftigt, Landeck eine ihrer großen Arien vorzusingen – jetzt sang sie ihm und ließ ihn gern die ganze Gewalt ihrer mächtigen Stimme empfinden. Sie ließ sich durch den Brief nicht stören und setzte ihren Gesang ruhig fort; als sie geendet hatte, sagte sie:

„Soll ich Dich nun, da man uns von hier fortsendet, in die rechte Reisestimmung durch Beethoven’s ‚Kennst Du das Land‘ versetzen?“

Landeck schüttelte den Kopf.

„Noch nicht,“ antwortete er lächelnd, „denn wir sind noch lange nicht reisebereit; wir wollen uns doch erst durch eine Verhandlung mit billigdenkenden Leuten dies hübsche Heim sichern, bevor wir ‚ziehen‘! Dein Vermögen in andern Werthen reicht vollständig hin, um von den Herren von der Verwaltung Haus Haldenwang zurückzukaufen, und ich denke, Du giebst mir auch dazu Vollmacht.“

„Zu Allem, was Du willst,“ versetzte sie, „aber Beethoven's Lied singe ich, wenn Du mit Deiner Verhandlung fertig bist, dennoch.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_144.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)