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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


auf ihn warten, aber er müsse es weiter bringen, als bis zum Gesellen, da sie nur einem freien und selbständigen Meister ihre Hand reichen werde. Sie mochte wohl wissen, daß es nöthig war, ihn zu stetigem Fleiße anzuspornen, da er sie am liebsten vom Fleck weg, wie sie Beide gingen und standen, geheirathet und dann ein sorgloses Leben von der Hand in den Mund begonnen hätte.

Seitdem sie nun, um den Verdacht des Hochmuths von sich abzuwälzen, dem Herrn Pfarrer vertraut hatte, wie sie mit Maino stand, und diese ungeahnte Aufklärung überall großes Aufsehen machte, glaubte auch der Jüngling nicht länger sich zurückhalten zu müssen, sondern fand sich an allen Feiertagen und oft auch im Vorbeigehen am Werkeltage bei seiner Geliebten ein, die ihn aber nie über die Schwelle ihres Hauses ließ. Man konnte sie dort an schönen Abenden, oft bis tief in die Nacht hinein, auf einem Bänkchen sitzen sehen, das Kind Margheritina zu ihren Füßen spielend, bis es endlich einschlief, die Arme um den Hals des Hündchens Brusco gelegt. Dann erst durfte Maino sich einige unschuldige Liebkosungen gegen seine schöne und züchtige Braut erlauben. Bei allem Ungestüme seines zärtlichen Blutes hielt ihn doch auch die Verehrung, die er für sie wie für ein höheres Wesen hegte, in gewissen Grenzen. „O Pia,“ sagte er mehr als einmal, „ich weiß es, daß ich zu schlecht für dich bin, und wenn ich mir einbilden könnte, daß irgend ein sterblicher Mensch dich besser und treuer zu lieben vermöchte, als der arme Maurerbursche – beim Blute Christi, ich hinge mich an den ersten besten Baum und ließe dich glücklich werden, wie du es verdienst. Aber habe nur Geduld! Es geschehen noch alle Tage große Dinge in der Welt, wahrhaftige Mirakel, und ebenso gut, wie der namenlose Corse ein großer Kaiser und der Herr der ganzen Welt hat werden können – seine Herrlichkeit ist freilich zu einem schnöden Ende gekommen, weil er sich selbst mehr geliebt hat, als die Völker – ebenso gut kann der arme Bauernkerl Maino noch einmal ein großer Herr werden und dich wie eine Fürstin in seinem Hause halten.“

Sie lächelte ungläubig zu solchen Worten und suchte ihrem Liebsten dergleichen Hirngespinnste auszureden, damit er nur um so eifriger darauf bedacht wäre, ohne Hoffnung auf Wunder dem Ziel ihrer Wünsche nachzustreben. Aber Etwas, das einem Wunder nicht allzu unähnlich sah, ereignete sich in der That und rückte dieses Ziel, das noch um Jahre entfernt schien, plötzlich in die allernächste Gegenwart.

Eines schönen Tages, lange vor Feierabend, erschien Maino im Dorfe mit strahlendem Gesicht. Er hatte gegen den Willen seiner Braut es nicht versäumen wollen, dem Glück ein Pförtchen offen zu lassen, und scharf in der Lotterie gespielt. Nun war das seit Menschengedenken Unerhörte geschehen und die vier Nummern, die er gesetzt, sämmtlich herausgekommen. Diese benedeite Quaterne hatte ihm einen ganz ansehnlichen Haufen Lire ins Haus gebracht, mit dem er wohl wagen durfte, sich als Meister zu setzen, ein Geschäft und einen eigenen Hausstand anzufangen und ein Mädchen, welches der Kaiser auf die Stirn geküßt, heimzuführen.

Auch willigte seine Braut ohne Widerstreben ein, die Seinige zu werden. Nicht sowohl das Geld war es, was sie zu der raschen Hochzeit geneigt machte, als vielmehr der Umstand, daß ihnen dasselbe von der Glücksgöttin selbst ins Haus beschert worden. Sie betrachtete Maino seitdem mit anderen Augen, als einen Liebling höherer Mächte, und wenn sie auch zu verständig war, um zu glauben, daß ihm eine so glänzende Bahn bestimmt sei, wie dem corsischen Unterlieutenant, so sah sie ihn doch im Geiste mit allerlei Ehren und Würden geschmückt, als den ersten Mann im Dorfe, oder wer weiß gar noch als Podestà einer der Nachbarstädte, wenn das Glück ihm treu bliebe.

Ueberdies war sie nun zweiundzwanzig Jahre, hatte den verwegenen guten Jungen von Herzen lieb und sehnte sich danach, sein Weib zu werden.

Es sollte hoch hergehen bei ihrer Hochzeit, davon ließ sich der glückliche Bräutigam nicht abbringen. Was irgend mit dem Schwesternpaare nah oder fern versippt war, und das war das halbe Dorf, wurde in die Schenke geladen, Musiker von Alessandria her verschrieben und für ein hinlänglich ausgiebiges Faß des besten Nostrale gesorgt. Daß Maino seine Braut und das Kind Margheritina von Kopf bis Fuß aufs Schönste in neue Kleider steckte, braucht kaum gesagt zu werden. Auch das Hündchen Brusco erhielt ein hochzeitliches Halsband von rothem Sammet mit einer kleinen silbernen Schelle, und seit der Quaterne kam sein Freund Maino nie zu seiner Verlobten, ohne dieser einen Blumenstrauß und dem Hunde ein Würstchen mitzubringen.

Als nun in der zweiten Woche nach dem Glücksfalle der Hochzeitstag angebrochen war, erschien der Bräutigam zu Pferde mit vier oder fünf seiner guten Freunde, die gleichfalls trefflich beritten waren, da das Dorf San Giuliano Vecchio, wo sie sämmtlich in Arbeit standen, eine ziemliche Strecke von Spinetta entfernt an der Straße nach Tortona liegt, und Hochzeiter doch nicht in bestaubten Schuhen und Kleidern auftreten dürfen. Die Braut empfing ihn von ihren Brautführerinnen umgeben, die Schönste und Königlichste von Allen, mit einem so liebestrahlenden Lächeln, daß dem guten Jünglinge der Himmel sich aufzuthun schien, und er große Mühe hatte, an sich zu halten, um nicht die verrücktesten Freudensprünge zu machen. Er schwang sich wie eine Feder vom Rosse, reichte seiner Liebsten die Hand und trat ungesäumt, mit möglichster Würde, wie die uralten Dorfsitten es erheischten, den Kirchgang mit ihr an.

Nun hatte es seit unvordenklichen Zeiten zu einer richtigen Hochzeit in Spinetta gehört, daß auf dem Wege zur Kirche, und nach der Trauung wiederum bis zum Wirthshause hin, von den Freunden des Bräutigams kleine Böller gelös't, Flinten und Pistolen und was irgend knallen wollte blind in die Luft hinaus abgefeuert wurden. Seitdem aber Karl Felix sein unumschränktes Regiment ausübte, durfte, da die Furcht vor heimlichen Anschlägen der Carbonari noch nicht ganz beseitigt war, kein Bauer eine Schießwaffe sehen, geschweige denn hören lassen. Die königlichen Gensdarmen, die überall auch auf den Dörfern vertheilt waren, hatten strenge darauf zu sehen, daß dem Waffenverbot nirgend zuwidergehandelt wurde, und selbst das Freudenschießen bei Hochzeiten war seit Anno Einundzwanzig verstummt.

Bisher hatte die muntere Dorfjugend, der bei jedem Feste der Lärm die Hauptsache ist, sich knirschend in den Verzicht gefügt. Maino aber war nicht gesonnen, seinen Hochzeitstag ohne diese kriegerische Musik zu feiern. Er glaubte es schon seiner Braut schuldig zu sein, deren Vater als tapferer Soldat gefallen war, und wenn auch nicht so viel Pulver draufgehen konnte, wie bei der Krönung des großen Soldatenkaisers, oder bei seiner Heirath mit der österreichischen Kaiserstochter – ganz wie jeder andere Bauernbursche durfte doch Dessen Ehrentag nicht vergehen, der eine Quaterne in der Lotterie gewonnen hatte.

Als daher der festliche Zug etwa die Hälfte des Kirchwegs zurückgelegt hatte, fingen Maino's Freunde an, unter lautem Jauchzen und schallenden Evvivas ihre Büchsen abzuschießen, und der Bräutigam selbst, sobald er diese langentbehrten Töne hörte, griff in seinen Gürtel, holte ein paar alte, aber schön gearbeitete Taschenpistolen heraus und feuerte aus ihnen, trotz des inständigen Bittens der Unheil ahnenden Pia, mit einem hellen Jubelrufe in die blaue Luft.

Nun wäre unter gewöhnlichen Verhältnissen diese Uebertretung des Gesetzes wohl nicht strenger geahndet worden, als mit einer nachträglichen Geldbuße oder gar nur einer scharfen Vermahnung der Schuldigen. Zum Unglück aber war einer der beiden Gensdarmen, die in Spinetta ihr Standquartier hatten, selbst ein Anbeter der Braut gewesen, hatte sich, seines obrigkeitlichen Ansehens wegen, mit kühnen Hoffnungen getragen und es als eine persönliche Beleidigung, wo nicht gar als eine Schmälerung seiner Amtsehre empfunden, daß es nun doch zwischen der schönen Pia und diesem armseligen Maurerburschen richtig wurde. Er war Rache und Verderben brütend die Tage vor der Hochzeit herumgegangen, hatte seine Kameraden in den Dörfern Parodi und Mandrogne benachrichtigt, daß sie sich am Hochzeitstage nach Spinetta begeben sollten, da es dann leicht zu Händeln kommen möchte und, wenn der Wein dem Bauernvolk erst zu Kopfe stiege, sie Beide allein nicht ausreichten, um Unfug zu verhüten.

Wie nun jene völlig harmlosen Freudenschüsse zu knallen anfingen, erschienen die sechs wohlbewaffneten Gensdarmen plötzlich mitten auf der Straße, forderten die Auslieferung der Waffen, und jener verschmähte Nebenbuhler des Bräutigams – der den Spitznamen Barbone trug – trat mit triumphirender

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_159.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)