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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

stets weislich in Acht genommen haben. Schon unsere ältesten deutschen Botaniker schauten mit einem Gemisch von Bewunderung und Ehrfurcht auf diese kleinen Gewächse, deren Anblick einem Jeden unvergeßlich bleibt, der sie je in ihrer Pracht gesehen. Mitten im Torfmoose eingebettet finden wir im Hochsommer, umkränzt von den immergrünen myrtenblättrigen Ranken der Moosbeere, eine Rosette kleiner hellgrüner verhältnißmäßig langgestielter Blätter, aus welcher ein höchstens fußhoher Blüthenschaft emporsteigt, der nur der Mittagssonne seine winzigen weißen Sternblumen erschließt. Die Letzteren interessieren uns aber weniger als die Blätter. Diese, von rundlichem Umriß bei der am häufigsten vorkommenden Art (Drosera rotundifolia), von länglicher Gestalt bei den etwas selteneren Schwestern (D. longifolia und intermedia), sind auf ihrer Oberfläche und am Rande mit zahlreichen röthlichen oder lebhaft rothen, mehrere Linien langen Drüsenhaaren besetzt, die am Grunde fleischig grün sind, an der verjüngten Spitze rothe, kölbchenartige Verdickungen tragen. Jedes dieser Wimperhaare trägt einen ganz kleinen Tropfen krystallklarer Flüssigkeit an seiner Spitze, so daß das Blatt mit einem Brillantendiadem umgeben scheint, wobei der Contrast des maigrünen Blattes mit dem purpurnen Haar und den schimmernden nie zusammenfließenden zahllosen Tröpfchen einen wunderzierlichen Anblick giebt.

Unsere tiefsinnigen Vorfahren, welche in der heißen Mittagsgluth, wenn aller übrige Thau von dem Rasen verschwunden war, die Tropfen auf diesen Gewächsen allein ausdauern sahen, vermutheten, und wie wir nun sehen mit Recht, ein Naturwunder dahinter und nannten die Pflanze Sindau, das heißt Immerthau, ebenso wie Singrün Immergrün, und Sinfluth nicht Sündfluth, sondern die große, allgemeine Fluth bedeuten sollte. Später wurde daraus nicht weniger bezeichnend Sondau, Sonnenthau, Ros solis. Damals, wo man aus der äußeren Ausgestaltung eines Naturkörpers seine Signatur, das heißt den medicinischen oder sonstigen Zweck, zu dem ihn Gott erschaffen, herauszulesen vermeinte, glaubte man im Sonnenthau ein Naturheilmittel gegen austrocknende, zehrende Krankheiten, namentlich also gegen die sogenannte Schwindsucht gefunden zu haben. „Denn,“ sagt Dodonäus in der Einleitung seines großen Kräuterbuchs, „wie das Kraut auf das Zäheste den auf ihn gefallenen Thau zurückhält, so daß die brennendste Sonnengluth ihn nicht zu verzehren vermag, so glaubt man, daß es die natürliche Feuchtigkeit im menschlichen Körper erhalten könne.“ Die Kräuterweiber rechneten den Sonnenthau zu den zauberkräftigen Wiederthon-Arten, einer Gruppe von Moosen und kleinen Farnkräutern, mit denen man Jemandem „die Kraft abthun und wiederthun“ zu können glaubte, und in der That haben die Sonnenthau-Arten etwas an Moose und Farnkräuter Erinnerndes, nicht allein in ihrer zierlichen Liliputgestalt, sondern auch darin, daß ihre jungen Blätter und Triebe – eine seltsame Ausnahme unter den blühenden Pflanzen – gleich den Farnwedeln, an der Spitze eingerollt sind.

Auch die Alchymisten wurden durch die Absonderlichkeit der Tracht unserer Sumpfpflanze angezogen und hofften eine Zeitlang, in diesem sonnenbeständigen Thau das Material zur Goldtinctur und zum Unsterblichkeitselixir entdeckt zu haben. Insbesondere trug der Chemiker Arnoldus de Villanova, der zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts als Professor zu Barcelona lebte, später aber von der spanischen Geistlichkeit als Goldmacher und Teufelsschüler vertrieben wurde, zum Rufe der Pflanze bei. Er bereitete nämlich in Italien, wohin er sich geflüchtet, aus dem Sonnenthau sein berühmtes Goldwasser (Aqua auri), welches, wie heutzutage der Königstrank, alle Krankheiten heilen sollte, und da es in Gestalt eines wohlschmeckenden Liqueurs dargestellt wurde, unter dem Namen Rosoglio (von Ros solis, Sonnenthau) noch heute in Italien bereitet und genossen wird.

Der Erste, welcher über die Natur und Bedeutung der sogenannten Thautropfen dieser Pflanze, deren Reste als Torf unsre Oefen wärmen, in’s Klare kam, war der deutsche Botaniker Roth, welcher seine Beobachtungen schon im Juli 1779 anstellte. Es war ihm aufgefallen, daß bei einzelnen Blättern sämmtliche Drüsenhaare auf einen Punkt der Blattoberfläche zusammengeneigt waren und daß sich dem entsprechend auch die Ränder dieser Blätter ein wenig nach innen gebogen hatten. Als er einige dieser einer vielfingrigen geschlossenen Faust vergleichbaren Blätter untersuchte, fand er jedesmal ein todtes, mehr oder weniger verwestes Insect darin. Er setzte darauf einige Exemplare in Töpfe, um in seiner Behausung genauere Studien anzustellen.

Wenn er nun eine lebende Ameise oder einen kleinen Käfer auf das Blatt setzte, so heftete sich die Ausscheidung der Drüsenkölbchen in Gestalt feiner umstrickender Fäden an die Füße des Thieres und vereitelte zunächst seine Fluchtversuche. Allmählich begannen darauf die Härchen sich zu krümmen, zuerst die kürzeren der Blattfläche, dann die längeren Wimpern des Randes, und nach kurzer Zeit hatten sie sämmtlich ihre Kölbchen auf den Körper des Thieres gesetzt, welches, wie von den Fangarmen eines Polypen ergriffen, gewöhnlich nach einer Viertelstunde bereits verendet schien. Es vergingen aber Stunden, ehe das Blatt seine vollkommenste Aushöhlung erreichte, wobei die Lage der Wimpern derjenigen im jungen unentwickelten Blatte gleicht. Derselbe sorgfältige Beobachter bemerkte auch bereits, daß die Blätter bei Sonnenschein und warmer Luft viel reizbarer sind, als bei kühler und regnerischer Witterung, daß sie gegen die Berührung unorganischer Körper durchaus weniger empfindlich erscheinen, als gegen die Berührung lebender, und daß diejenigen der langblättrigen Arten sich um ihren Fang zusammenrollen, während das runde Blatt der gewöhnlichsten Art sich nur ein wenig vertieft und die Hauptarbeit seinen Fangarmen überläßt. Diese wiederholt von anderen Botaniker bestätigten Beobachtungen wurden indessen achtzig Jahre lang nicht erweitert, bis die Pflanze in neuester Zeit wieder die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich zog.

Außer den englischen Naturforschern Darwin und Bennett und dem Franzosen Ziegler hat sich als einer der ersten Beobachter namentlich eine amerikanische Dame, Mrs. Mary Treat, ausgezeichnet. Sie experimentirte sowohl mit der aus unseren Mooren nicht seltenen langblätterigen Art, wie auch mit der bei uns nicht vorkommenden Drosera filifera, und sah nicht allein kleine Insecten, Ameisen, Spinnen, Fliegen, Mücken, sondern auch zuweilen größere, Motten u. dgl. gefangen. Legte sie in den warmen Tagesstunden todte Insecten oder kleine Bissen rohes Rindfleisch auf die Blattfläche der langblättrigen Art, so dauerte es nicht ganz zwei Stunden, bis sich das Blatt so vollkommen über seine Beute zusammengerollt, daß die Blattspitze den Stiel berührte. Sämmtliche Drüsenfäden convergirten dann auf dem Beutethiere[1] wie die Spieße auf der Brust des Winkelried in der Sage. Während ein Bissen rohes Fleisch das Blatt fast ebenso schnell wie ein lebendiges Thier reizte, äußerten trockene mineralische Substanzen, kleine Quarzkörner, Stückchen Kalk etc. selbst nach vierundzwanzig Stunden keine Wirkung. Nasser Kalk freilich reizte die Blätter vermöge seiner ätzenden Schärfe. Es gab sich also unzweifelhaft ein Unterscheidungsvermögen, oder sagen wir ein verschiedenes Verhalten für mineralische und animalische Körper kund, ja, Mrs. Treat glaubt sogar beobachtet zu haben, daß letztere schon aus einiger Entfernung von den Blättern empfunden werden. Sie befestigte im Juli 1873 eine lebende Fliege einen halben Zoll hoch über dem Blatte und sah dasselbe nach vierzig Minuten merklich aufwärts gebogen, nach weiteren zehn Minuten hatte es das Thier ergriffen und in seinen Fangarmen festgehalten.

Noch merkwürdiger klingen die Mittheilungen, welche der Botaniker Ziegler im Beginne des Jahres 1872 der Pariser Akademie über die Sonnenthau-Arten gemacht hat. Derselbe will festgestellt haben, daß alle todten thierischen Eiweißsubstanzen nur dann einen Reiz auf die Blätter der Sonnenthau-Arten hervorzubringen vermögen, wenn man sie vorher eine kurze Zeit zwischen den Fingern gehalten hat. Legte er sie, ohne die Finger zu gebrauchen, mit einer Zange auf die Blätter, so übten sie keine Wirkung. Befestigte er andererseits einen Klumpen Bluteiweiß, welchen er vorher eine halbe Stunde lang in der Hand gehalten, in der Nähe der Pflanze, so hatte sie nach vierundzwanzig Stunden gänzlich ihre Empfindlichkeit für Eiweißstoffe verloren. Dagegen wurden die Blätter nunmehr durch Chinin, welches in Papier eingeschlagen war, gereizt. Mag es sich aber mit diesen Erscheinungen verhalten wie es wolle, jedenfalls kann man sich auch die einfachsten dieser Reizwirkungen kaum ohne die Vermittelung von Empfindungsnerven denken, welche den Reiz fortpflanzen und den Muskelapparat zur Thätigkeit anregen.

  1. WS: Im Original Beutelthiere
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_167.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)