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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


recht und gut,“ flüsterte der Bader seinem Gevatter, dem Schmied, in’s Ohr, „Alles wäre, wie sich’s gehörte, denn die Leute im Buschwalde wollen auch Weiber nehmen, und mit der Copulation ist’s ja hier obenein in regola abgelaufen; aber das mit der Krönung, Gevatter, denkt an mich, das bekommt ihm noch schlimm. Sacrilegium bleibt Sacrilegium, und mit dem Governo mag man’s verderben, aber geistlich Regiment läßt nicht mit sich spaßen. Seht nur die Pia! Ist’s nicht, als wäre ihr was unter der Stirn zu Stein geworden, als die geweihte Krone sie berührt hat? Indessen, was kümmert das uns? Wir trinken Maino’s Wein, weil wir müssen, denn andernfalls würde er es als eine Beleidigung ansehen und schwer an uns rächen, das können wir vor Gericht beschwören, wenn sie uns fassen wollen. Im Uebrigen mag er sehen, wie er davonkommt!“

Der, dem diese Worte galten, schien um Nichts weniger besorgt, als wie er sich für Alles, was er gethan, verantworten möchte. Er saß mit strahlendem Gesicht mitten unter seinen zechenden Gästen, trank seinerseits nur selten seinen Becher aus, war aber der Fröhlichste und Redseligste von Allen. Er belachte jeden der dürftigen Späße, mit denen der Buffone seiner kaiserlichen Hoheit und ehelichen Würde huldigte, und erzählte dazwischen allerlei drollige Geschichten von dem freien und verwogenen Leben, das er im Waldgebirge geführt hatte. Zuweilen auch sang er mit seiner hellen Stimme ein zärtliches Liedchen und drückte dabei die stumme Braut, die neben ihm saß, fester an sich, ohne sich über ihr seltsam versonnenes und starres Wesen zu verwundern. Nur als das junge ledige Volk zu tanzen anfing und auch das Hochzeitspaar sich erhob, fiel ihm die Todtenblässe ihres Gesichtes auf. Er zog sie sanft und dringend mit sich fort in den stillen Garten der Schenke und befragte sie, was sie habe, ob ihr nicht wohl sei. Statt aller Antwort fiel sie ihm um den Hals, preßte ihn mit ängstlicher Heftigkeit so fest in die Arme, daß ihm fast der Athem verging, und er fühlte, daß sie über den ganzen Leib zitterte wie von Fieberfrost geschüttelt.

Auf all seine Bitten und Fragen aber blieb sie hartnäckig die Antwort schuldig, so daß er es endlich aufgab, aus seinem wunderlichen jungen Weibe klug zu werden, zumal er überlegte, daß die Aufregungen dieses Tages auch eine starke Natur wohl aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Also beschloß er, sie sofort dem Festesgetümmel zu entziehen, da sie ohnehin nicht lange in den Tag hineinschlafen durften, sondern mit dem ersten Morgengrauen aufsitzen und ihrem Versteck im Gebirge zusprengen sollten.

Ohne sich erst von den Hochzeitsgästen zu verabschieden, führte er seine Liebste, die wie traumwandelnd neben ihm hinschritt, nach ihrem eigenen Häuschen. Die kleine Margheritina war schon für diese Nacht bei einer guten Frau untergebracht, die sich auch fernerhin ihrer annehmen wollte. Denn das Kind sollte nicht wie die Schwester seine Heimath für immer verlassen. Nur das Hündchen Brusco war den heimlich Entweichenden gefolgt, klingelte mit seiner silbernen Schelle lustig voran und schlüpfte auch in die Brautkammer mit hinein, wo es sich in seinem gewohnten Winkel auf die Strohmatte niederkauerte und sofort einschlief.

Um Mitternacht war auch Maino eingeschlafen, und der Mond, der oben durch das Loch im Fensterladen hereinsah, mochte weit und breit kein friedlicheres und seligeres Menschengesicht bescheinen, als das des jungen Geächteten, der den Schlaf des Gerechten zu schlafen schien. Seine Krone hatte er auf den Schemel am Bette gestellt, auf seine Kleider und Waffen, wo sie neben der kahlen Wand und dem schlechten dörflichen Geräth wunderlich gleißte. Die Krone der Pia war in der Schenke zurückgeblieben.

Nicht viele Stunden mochte er geschlafen haben, doch hatte der Hahn noch nicht gekräht, und eben erst zuckte fern am östlichen Rande des Himmels ein falber Morgenschimmer auf, da hörte Maino mitten im glücklichsten Liebestraume das Hündchen winseln, und mit der Behendigkeit, die er in seinem Banditenleben gelernt, strich er den Druck des Schlummers von den Wimpern und richtete sich im Bette auf.

Der Platz an seiner Seite war leer, der Laden aber halb aufgemacht, so daß er in dem grauen Zwielicht Alles, was in der Kammer war, erkennen konnte. Da sah er sein junges Weib auf dem Strohsessel am Fenster sitzen, einen Handspiegel auf den Knieen haltend, mit der anderen Hand bemüht, die Krone auf ihrem Haupte zu befestigen, was ihr nur mit Mühe gelang. Sie war so leicht bekleidet, wie sie aus dem Bette gestiegen war, aber ihr aufgelöstes dichtes Haar fiel ihr wie ein Mantel über die nackten Schultern. Dabei lächelte sie beständig ihr Abbild im Spiegel an und summte mit gedämpfter Stimme eine der Strophen, die Maino am Abend vorher gesungen hatte, worüber das Hündchen aufgewacht war, das nun mit scheuem Winseln um seine Herrin herumstrich.

„Pia!“ rief der tödtlich Erschrockene, „du bist schon aufgestanden? Was thust du da am Fenster? Es ist noch nicht Morgen. Sie werden uns wecken, wenn es Zeit ist; ich hab’ es ihnen auf’s Strengste eingeschärft. Komm! Lege die Krone weg! Schlafe noch eine Stunde – der Weg ist weit und du bist das Reiten nicht gewöhnt –“

„Zitto!“ machte sie, indem sie den Finger warnend aufhob, doch ohne sich nach ihm umzuwenden. „Hörst du nicht? Sie kommen schon. Ich habe mich schmücken müssen zu der Huldigung – eine Kaiserin darf sich nicht ohne ihre Krone dem Volke zeigen – sie will aber nicht festsitzen – so – so – so – nun geht es – nun noch den Purpurmantel –“

Im Nu war Maino aus dem Bette gesprungen und in die Kleider gefahren. „Pia,“ flehte er, während er die Jacke umwarf, „ich beschwöre dich bei allen Heiligen –“

„Still!“ unterbrach sie ihn. „Rufe die Heiligen nicht an! Mit denen haben wir’s verschüttet. Sie sind uns böse, weil sie ihre Kronen an uns haben abtreten müssen. Aber,“ und hier lächelte sie mit einem wunderlich verschmitzten Ausdruck, „ein hungriger Esel frißt seine eigene Streu – Noth kennt kein Gebot – warum hat der Goldschmied unsere Kronen nicht zur rechten Zeit fertig gebracht? Die guten Heiligen können wohl einmal barhaupt gehen – hahaha!“

Er stürzte zu ihr hin und faßte ihre beiden Hände, die eiskalt waren, und berührte ihre Stirn, die ebenfalls wie Marmor sich anfühlte. „Misericordia!“ rief er. „Du träumst, Pia! Wach’ auf! Siehe, hier bin ich, dein Maino, dein Gatte, dem du das Herz im Leibe schmelzest mit solchen unsinnigen Reden. Lege dich nieder, meine süße Frau, und schlaf diese Possen aus! Ich Unseliger, daß ich es dahin habe kommen lassen!“

„Nein, nein, nein!“ sprach sie vor sich hin. „Mache mich nicht irre! Mein Gemahl der Kaiser war die Nacht bei mir, dann aber ist er weggegangen, in den Krieg, denn wir haben so viele Feinde. Es ist erschrecklich, wie Größe gehaßt und Hoheit beneidet wird. Aber mein kaiserlicher Herr wird sie Alle niederwerfen, daß ich den Fuß auf ihren Nacken setze. Dann werden wir regieren in Freude und Herrlichkeit, und Brusco wird Statthalter von Spinetta, wenn wir selbst unsere Provinzen bereisen. So – so! Sitzt die Krone nun recht kaiserlich? Es ist noch ein bischen Spinneweb daran; das thut Nichts – das ist um so heiliger – Kaiserin Pia – so sollen sie mich nennen – und meinen Gemahl – wart’, wie heißt er nur gleich? Er hat einen süßen Namen, und er hat mich tausend Mal geküßt – aber das sind Kindereien, daran dürfen wir erst wieder denken, wenn all unsere Feinde – horch! Da kommen sie!“

Sie war vom Sessel aufgefahren; das Spiegelchen glitt ihr vom Schooß und zersprang klirrend auf dem Steinboden der Kammer – sie achtete es nicht; sie lehnte am Fenster und starrte mit großen Augen in das Zwielicht hinaus. Maino stand, von Jammer überwältigt, vor ihr; er hatte keinen Gedanken, als an die Zerrüttung dieses geliebten Wesens, die er sich selbst zuschreiben mußte. Mit leisen flehenden Worten suchte er sie vom Fenster wegzuschmeicheln. Aber sie schien seine Stimme nicht zu hören, nur mit der Hand wehrte sie ihn von sich ab und drückte sich fest an den Rahmen des kleinen Fensters. „Jetzt!“ rief sie auf einmal. „Hörst du auch jetzt noch nichts? Da sind sie. Nun, sie mögen kommen. Ich bin bereit.“

In der That hörte auch er jetzt ein seltsam dumpfes Geräusch, das durch die graue Morgenluft herandrang. Es war nicht Hufschlag der Pferde, auf denen seine Gefährten vor das Brauthaus sprengen sollten, um ihren Anführer zu wecken und ihn und sein junges Weib zur Flucht zu mahnen. Ein Menschenhaufe näherte sich, behutsam auftretend, zu Fuß; die Dorfgasse kam es heran – es konnte kaum noch fünfzig Schritte entfernt

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