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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


zu umgehen. Zudem wurde es immer dunkler und dunkler, so daß die Bewegungen der Gegner fast nicht mehr zu unterscheiden waren. Schon hatte der Feind in bedeutender Stärke die auf ihren schwierigen Posten ausharrenden ostpreußischen Kürassiere umgangen, als ein französischer Parlamentär vor der Front des Regiments erschien und zur Uebergabe aufforderte. Der Wald sei bereits durch Umgehung besetzt, ein Durchkommen durch denselben nicht mehr möglich. Da indessen die Kürassiere sich so tapfer geschlagen hätten, solle die Capitulation eine durchaus ehrenvolle sein und namentlich jeder Officier im Besitze seines Eigenthums bleiben. Wrangel dankte dem Parlamentär für die gute Meinung von dem Regimente, wies sein Ansinnen aber energisch zurück. „So lange ich den Pallasch in der Hand habe,“ sagte er, „und noch im Sattel sitze, so lange capitulire ich nicht.“ Da versuchte es der Officier, durch Versprechungen die Mannschaft zum Niederlegen der Waffen zu bewegen. Die unmittelbare Folge dieses Versuchs, das Regiment zu einer pflichtwidrigen Handlung zu bestimmen, war die, daß der Officier, tödtlich getroffen, zu Boden stürzte. Gestützt auf die preußischen Kriegsartikel, hatte Wrangel dem ihm zunächst befindlichen Kürassier sofort Befehl gegeben, den Verräther vom Pferde zu schießen, und diese energische Maßregel verfehlte nicht, den tiefsten Eindruck unter der Mannschaft hervorzurufen.

Die Lage war eine verzweifelte. Nicht allein auf der Chaussee, sondern auch schon im Walde war feindliche Infanterie gesehen worden. Von den äußersten Strapazen ermüdet, harrten die braven Kürassiere der Entscheidung. Seit Tagesanbruch waren sie nicht einen Augenblick aus dem Sattel gekommen, hatten sie ihre Pferde weder füttern noch tränken können. Die Capitulation war zurückgewiesen, und so blieb kein anderer Ausweg, als sich, so gut es ging, in dunkler Nacht durch den vom siegreichen Feinde besetzten Wald durchzuschlagen und so das Hauptcorps wieder zu erreichen. Da rief Wrangel todesmuthig den Seinigen zu: „Wir sind auf allen Seiten von feindlichen Massen umzingelt, müssen uns also durchschlagen. Ich werde Euch voran reiten und die Bahn brechen. Folgt mir! Reiter, die entschlossen sind, eher zu sterben, als sich zu ergeben, können durch keine irdische Macht aufgehalten werden. Ihrem Entschluß folgt der Sieg so gewiß, wie der Tag der Sonne. So denn mit Gott! D’rauf!“

Und d’rauf ging es, erst im Schritt, dann im Trabe, endlich im sausenden Galopp, unter schallendem Hurrah gerade auf den Wald los, wo die Chaussee in denselben einmündete und eben feindliche Infanterie einmarschirte. Es war inzwischen so finster geworden, daß der Feind nichts von der Annäherung der Kürassiere gemerkt hatte und höchlichst erschrocken war über die Pallaschhiebe, mit welchen ihm die flotten Ostpreußen im Vorbeijagen auf den Kopf kamen. Kaum aber hatte man die vorübereilenden Kürassiere als Preußen erkannt, so machte die französische Infanterie Front gegen sie und feuerte auf gut Glück. Aber die Kürassiere ließen sich nicht beirren. Wie Windsbrausen stürmten sie dahin, vorbei an den feindlichen Colonnen, voran ihren kühnen Führer, der ihnen den Weg zeigte. Nicht die mannigfachen Hindernisse des gefahrvollen Weges, nicht Gräben und Hohlstämme hielten sie zurück. Weiter und weiter ging der Ritt über Männerleichen und verwundete Pferde, bis die in den Wald eingedrungenen feindlichen Colonnen überholt waren. Endlich erreichte man das Freie und stieß weit hinter Etoges auf das preußisch-russische Hauptquartier, wo das tapfere Regiment schon verloren geglaubt war. Der Triumph der ostpreußischen Kürassiere am Tage von Etoges aber verbreitete sich windesschnell in der ganzen Armee und mit ihm der Name ihres Führers, der bald genug für seinen Heldenmuth außergewöhnlich belohnt werden sollte.

Noch im Jahre 1814 wurde Wrangel Commandeur des westpreußischen 2. Dragonerregiments, nachmaligen 5. Kürassierregiments, sieben Jahre später Commandeur der 10. Cavalleriebrigade in Posen und schon im Jahre 1823 zum General befördert. Als späterer Commandeur der 13. Division in Münster hatte er die Genugthuung, die im Jahre 1837 daselbst in Folge der bekannten Differenzen zwischen der Regierung und dem Erzbischof von Köln ausgebrochenen Unruhen im Keime und ohne Blutvergießen zu ersticken.

Das Jahr 1839 sah ihn in Königsberg als commandirenden General des ersten Armeecorps, welches er bald darauf in vollkommenster Ausbildung und Schlagfertigkeit dem Könige vorzuführen Gelegenheit hatte. Es war dies die erste sogenannte Königsrevue, welche Friedrich Wilhelm der Vierte nach seiner im Juni 1840 erfolgten Thronbesteigung abhielt. Nicht lange nachher wurde Wrangel mit dem Commando des zweiten Armeecorps betraut. In dieser seiner hohen militärischen Stellung hat er sich in verdienstlichster Weise der Reorganisation der Cavallerie gewidmet und das Wiederaufleben des preußischen Reitergeistes bewirkt, welcher dem Anscheine nach in der langen Friedenszeit verloren gegangen war. Der König berief ihn nach Berlin zu Leitung der bedeutenden Cavallerieübungen, welche damals von den sämmtlichen Cavallerieregimentern und reitenden Batterien des Garde- und dritten Armeecorps, gesondert von den großen Herbstübungen beider Corps, ausgeführt werden sollten. Der Versuch gelang so glücklich, daß der König nach Beendigung der Uebungen seine unverhohlene Freude über den „tüchtigen und frischen Reitergeist“ äußerte, der sich in den Bewegungen so großer Cavalleriemassen kundgegeben habe.

So kam Wrangel, mit Ehren überhäuft, nach Stettin in den stillen Kreis seiner Familie zurück, welche damals aus seiner Gattin, geborenen von Below, und drei Söhnen bestand, von denen der Aelteste beim Civil, die beiden Jüngeren schon als Cavallerie-Officiere dienten. Mit sämmtlichen Angehörigen unternahm er darauf eine lange Reise durch die Schweiz nach Italien, wo er Genua, Rom, Neapel und auch, um den großen österreichischen Manövern beizuwohnen, Verona besuchte. Alsbald nach seiner Rückkehr, im Jahre 1846, beging er im Alter von nur zweiundsechszig Jahren sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum, in dessen Anlaß ihm die Freude zu Theil wurde, zum Chef des ostpreußischen Kürassierregiments Nr. 3 ernannt zu werden, in welchem er vor fünfzig Jahren seine militärische Laufbahn begonnen hatte. Das Jubiläum des „Papa Wrangel“ erregte in der ganzen Armee die freudigste Theilnahme. Von seiner Vaterstadt Stettin erhielt er das Ehrenbürgerdiplom, von dem dritten Kürassierregimente einen kostbaren Pallasch mit den Wappen aller Officiere und reichen, auf die ehrenvollen Dienste ihres Chefs bezüglichen Verzierungen, von dem zweiten Armeecorps eine prachtvolle Vase, auf welcher die Dragonerattaque bei Heilsberg abgebildet war, der König aber ehrte ihn durch den Stern des rothen Adlerordens in Brillanten.

So nahte das Jahr 1848, in welchem Wrangel berufen war, eine hervorragende Rolle zu spielen. Wie er die gegen Dänemark kämpfende deutsche Bundesarmee befehligte und bei Schleswig zum Siege führte, ist noch frisch in Aller Gedächtniß. Als diesem Kriege durch den Waffenstillstand zu Malmö ein vorläufiges Ziel gesetzt war, bedurfte es eines für die Regelung außerordentlicher Vorfälle geeigneten Feldherrn im Herzen der Monarchie. Am 15. September wurde Wrangel zum Oberbefehlshaber sämmtlicher Truppen in den Marken ernannt und am 10. November fand der Einmarsch in Berlin statt.

Während des Octobers bis in den Anfang Novembers hatte der Oberbefehlshaber sein Hauptquartier im Schlosse von Charlottenburg. Es war eine schwierige Aufgabe, die seiner harrte, in der innerlich durch und durch aufgewühlten Hauptstadt der Monarchie die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Die halben Maßregeln der Regierung, das Schwanken zwischen Nachgiebigkeit und Strenge hatten die Straßendemagogie zur vollsten Blüthe gebracht; so z. B. hielten unter dem Vorwande, die im Schauspielhause tagende Nationalversammlung zu beschützen, helle Volks-Haufen den Gensdarmenmarkt besetzt. Wrangel befand sich in Charlottenburg, war aber noch nicht nach Berlin gekommen. Die Berliner Arbeitermassen hatten ihm auch gedroht, sie würden ihm, wenn er Berlin betrete, dasselbe Schicksal bereiten, wie die Wiener dem Grafen Latour, den sie bekanntlich an einem Laternenpfahle aufgeknüpft hatten. Eines Tages war er nach Sanssouci zum Könige befohlen und sagte am Morgen zu seinem Leibjäger:

„Mein Sohn, der Zug nach Potsdam geht um zwei Uhr. Bestelle den Hofwagen so, daß ich um halb zwei Uhr in Berlin sein kann!“

„In Berlin, Ew. Excellenz?“ fragte erstaunt der Beauftragte.

„In Berlin, mein Sohn. Ich will meinem Schwager, dem

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