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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


buchstäblich in seinen Wagen getragen und von ihrem Jubelgeschrei begleitet wurde.

„Man darf sich nur nicht fürchten,“ war seine Aeußerung. „Die Leutchen sind lange nicht so schlimm, wie sie aussehen.“

Die anfangs geübte militärische Strenge milderte sich binnen Kurzem und verschwand bald ganz. Berlin erhielt wieder seine frühere Physiognomie. Wrangel wurde in der edlen Bedeutung des Wortes populär, und alle Stimmen vereinigten sich zur Anerkennung der Festigkeit und Consequenz, des Taktes und der Schonung, welche er unter den schwierigsten Verhältnissen gezeigt hatte. Zudem fällt es schwer in’s Gewicht, daß jene erfolgreiche militärische Schlußhandlung des Jahres 1848 eine unblutige war. Die Geschichte der Revolutionen bestätigt die Seltenheit eines derartigen Erfolges ohne Blutvergießen, welches bei einer unzweckmäßigeren Handhabung der Waffengewalt wahrscheinlich nicht erreicht worden wäre.

Im Jahre 1849 übernahm Wrangel das dritte Armeecorps; am 15. August 1856, bei Gelegenheit seines sechszigjährigen Dienstjubiläums, erhielt er die höchste militärische Charge, indem er zum Generalfeldmarschall ernannt wurde, und im nächstfolgenden Jahre ward ihm das Gouvernement von Berlin zu Theil. In seinem achtzigsten Lebensjahre wurde der greise General von seinem Könige berufen, die alliirte preußisch-österreichische Armee gegen Dänemark zu führen, und leitete, ohne der Kälte und Strapazen zu achten, in vollster Rüstigkeit den beschwerlichen Winterfeldzug. Nach seiner Rückkehr wurde er von den Geschäften des Gouverneurs von Berlin in Anbetracht seines hohen Alters entbunden. Der König erhob ihn in den erblichen Grafenstand und machte ihn zum Chef eines Regimentes, welches sich in dem dänischen Feldzuge ganz besonders auszuzeichnen Gelegenheit gehabt hatte, des in Brandenberg a. H. garnisonirenden Füsilierregiments Nr. 35.

Der Krieg von 1866 sah den Feldmarschall inmitten seiner getreuen Kürassiere. Mit des Königs Erlaubniß begab er sich zu seinem Regimente, bei welchem er am 15. August jenes Jahres während des Waffenstillstandes in dem Städtchen Bistritz in Mähren sein siebenzigjähriges Dienstjubiläum feierte, bei welcher Gelegenheit sein Regiment den Beinamen „Graf Wrangel“ erhielt.

Ein noch selteneres Fest, das seiner fünfzigjährigen Generalscharge, hatte im Frühjahre 1873 unterbleiben müssen, da der Feldmarschall schwer erkrankt war. Im Herbste jedoch hatte er die Genugthuung, der Einweihung des Siegesdenkmals beiwohnen zu können, auf welchem er selbst als Feldherr des Jahres 1864 einen ehrenden Platz gefunden hat. Hier erhielten die Düppeler Schanzen den Namen „Wrangel-Schanzen“. Noch in diesem Jahre hat der Feldmarschall trotz seiner neunzig Jahre den sämmtlichen Cavalleriebesichtigungen zu Pferde beigewohnt.

Jetzt lebt der alte Wrangel still und zurückgezogen in seinem Palais auf dem Pariser Platze. Es ist ihm beschieden, seine sämmtlichen Söhne zu überleben. Der jüngste, den er im dänischen Kriege anno 1864 als persönlichen Adiutanten an seiner Seite gehabt hatte, zog sich in Folge der Strapazen eine Fußlähmung zu, mußte den Abschied nehmen und starb im Jahre 1867. Wrangel’s hochbejahrte, treue Lebensgefährtin, mit welcher er schon vor vier Jahren das nur Wenigen beschiedene Fest der Brillanthochzeit feierte, steht ihm noch heute zur Seite. Einer seiner Enkel lebt in seinem Hause.

Jedes Jahr, jeder Tag, dessen der Neunzigjährige genießt, ist ein Gnadengeschenk der Vorsehung. Wiederholte Schlaganfälle haben an der Gesundheit des alten Herrn gerüttelt. Seine Harthörigkeit erschwert ihm den Verkehr.

Mit frohem und zufriedenem Blicke kann er am Abende seines Lebens auf seine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Sie war reich an Thaten und an äußeren Ehren. Mit kaum zwölf Jahren der Armee angehörig, wurde Wrangel mit noch nicht dreißig Jahren Oberstlieutenant und Regimentscommandeur, mit einunddreißig Jahren Oberst, mit neununddreißig Jahren General. In sieben Feldzugsjahren war er bei einer Belagerung, in zehn Schlachten und zweiundzwanzig Gefechten betheiligt. Mit den höchsten Orden ist seine Brust geschmückt; er wurde Kanzler des schwarzen Adlerordens.

Die Popularität, deren er sich namentlich seit dem Jahre 1848 erfreute, hat an seine Person allerhand curiose Anekdoten geknüpft, mit deren Wahrheit man es nicht allzu genau nehmen muß, die aber im Volksbewußtsein nicht mehr von ihm zu trennen sind.

Noch fünfzig Jahre, und um Vater Wrangel wird sich derselbe Volksmythus bilden, wie um Friedrich den Großen, den alten Zieten, Blücher und Andere. Wenn er z. B. nie einem Adjutanten erlaubte, anders als in vorschriftsmäßiger Weise, also mit dem Degen, vor ihm zu erscheinen, so ist das weniger als Anzeichen eines kleinlichen Gamaschenthums aufzufassen, als ein Gebot der militärischen Disciplin, das er, wie in großen Dingen, so auch bis in die geringsten Einzelheiten erfüllt haben will. Bekannt ist von ihm die Frage an einen jungen Officier, der vor ihm am Morgen in etwas nachlässiger Toilette erschien: „Was sind Sie?“ Der Gefragte, erstaunt über eine solche Anrede, gerieth in einige Verlegenheit, aus der ihn der General jedoch durch die Antwort erlöste: „Nicht rasirt sind Sie.“ Er duldet darum an Andern keine Nachlässigkeiten, weil er gegen sich selbst am strengsten ist.

Im General von Wrangel vereinigen sich alle jene Eigenschaften, welche zu einem tüchtigen Commandeur befähigen: Ernst, Strenge, Klarheit des Verstandes und jene Consequenz des Denkens, welche auch ohne Kant die richtigen Wege findet. Er ist leidenschaftslos bis zur Kälte und nüchtern in der Auffassung; wie ein Quäker ja er von einer Mäßigkeit im körperlichen Genießen, welche ihm eine Nervenkraft bewahrt hat, die ihn immer Herr seiner selbst und demgemäß auch Herr über andere sein läßt. Bekannt ist seine Sparsamkeit, aber wo der Soldat in ihm gerührt wird, ist diese wohl fähig, sich in Großmuth zu verwandeln. Vor einigen Jahren, nach dem Kriege und nach einem Badeaufenthalte in Wildbad, besuchte er Straßburg und nahm natürlich auch die Befestigungen in Augenschein. Dabei wurde ihm von der Heldenthat eines deutschen Ingenieurofficiers, Hauptmann Freiherr von Ledebur, erzählt. Derselbe hatte sich bei der Belagerung von Straßburg Nachts entkleidet, im Angesichte der französischen Wachen in den gefüllten Festungsgraben niedergelassen, war mit Gefahr seines Lebens in die Minengänge gedrungen und hatte daraus mit fast übermenschlicher Kraft ganze Ladungen von Pulver geholt und so die Minen für unsere Soldaten unschädlich gemacht. Bei einer solchen Excursion war er aber doch von den Franzosen bemerkt worden, hatte einen Schuß bekommen und starb an seiner Wunde im Lazareth in Karlsruhe. Das Erste bei Wrangel’s Ankunft in Karlsruhe war, daß er sofort den berühmten General von Werder nach dem Grabe des heldenmüthigen Officiers fragte. Als er jedoch erfahren mußte, daß dasselbe noch kein Denkmal zierte, daß nur ein Holzkreuz die Stelle bezeichnete, wo einer der Bravsten seinen Todesschlaf schläft, da händigte er dem General von Werder eine Banknote mit dem Bemerken ein:

„Hier, mein Sohn, hast Du hundert Thaler, und wenn das Ingenieurcorps es nicht für seine Pflicht achtet, einem so braven Cameraden ein schönes Denkmal zu setzen, so schreib’ mir, so werde ich das Uebrige auch noch bezahlen. Braver Kerl, der Ledebur!“

Nun erhebt sich auf dem Grabe des Helden ein prächtiges Denkmal, das ihm seine Cameraden mit Hinzunahme der Wrangel’schen Ehrengabe haben setzen lassen. –

Eine historische Thatsache ist es, daß die preußische Cavallerie ohne Wrangel niemals zu der Leistungsfähigkeit gelangt wäre, die wir an ihr bewundern müssen. „Wir haben große Generäle, aber über Allen steht doch Wrangel; der preußische Staat weiß gar nicht, was er diesem Manne zu verdanken hat,“ ist das Urtheil eines competenten Mannes über ihn, nämlich des Prinzen Friedrich Karl.

Was Wrangel jedoch mehr als die allerlei ihm meist angedichteten kleinen Eigenheiten in so seltenem Grade volksthümlich werden ließ, war nicht sowohl die soldatische Kernhaftigkeit, als die gewinnende Gutherzigkeit seines Wesens. In seinem langen, dem Dienste des Königs und dem Wohle des Vaterlandes gewidmeten Kriegerleben bewahrheitete Papa Wrangel den Sinn jener Worte, welche er am 14. Mai 1850 in das Album für die Denksäule im königlichen Invalidenparke zu Berlin schrieb:

„Man kann im Herzen Milde tragen
und doch mit Schwertern drunter schlagen.“

M. R–y.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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