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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Feldhüterhäuschen konnte er zu der für ihn in einiger Entfernung vom Dorfe errichteten Hütte gebracht werden.

Unser Bild giebt diesen letzten Rastort des berühmten Reisenden getreu wieder: In der Hütte war ein Lager aus von Stöcken zusammengehaltenem Gras errichtet. Ein Reisekasten diente als Tisch, worauf die Medicinkiste stand. Vor der Hütte gegenüber der Thür wurde ein Feuer angezündet. Am Morgen des 30. April kam der Häuptling zum Besuch. Doch Livingstone mußte ihn bitten, andern Tags wieder zu kommen, wo er hoffe, mehr Kraft zu haben. Nachmittags zog er noch die Uhr auf, die Susi ihm halten mußte.

Die Stunden schlichen hin bis zum Einbruch der Nacht. Jeder hatte das Gefühl, daß das Ende nicht weit sein könne, und suchte lautlos seine Hütte auf. Um elf Uhr Nachts beunruhigten ihn hörbare Flintenschüsse. Es waren die Dorfbewohner, welche damit einen Büffel von den Saatfeldern vertrieben.

Nach einer Stunde fragte Susi nochmals nach seinen Wünschen. Er bat um einiges heißes Wasser, ließ sich dann die Medicinkiste geben und suchte mit vieler Schwierigkeit das Calomel, welches er ihn bat herauszulegen. Dann ließ er etwas Wasser in eine Schale gießen und eine andere voll davon daneben stellen und sagte mit leiser Stimme:

„Es ist gut. Du kannst jetzt gehen.“

Das waren die letzten Worte, welche überhaupt von ihm gehört wurden.

Es mag ungefähr vier Uhr Morgens gewesen sein, als Susi den als Wache verbliebenen Majwara kommen hörte, welcher in der Suaheli-Sprache zu ihm sagte:

„Komm zu Bwana! Ich fürchte mich; ich weiß nicht, ob er noch lebt.“

Des Jungen augenscheinliche Bestürzung ließ Susi sofort noch Chuma, Chowperé, Matthew und Muanyaséré wecken, und diese Sechs eilten unverzüglich nach der Hütte. Sie traten ein und richteten ihre Blicke auf das Bett. Livingstone lag nicht mehr darauf, sondern in knieender Stellung davor, so daß es den Anschein hatte, als wenn er bete. Bei diesem Anblicke zogen sie sich instinctmäßig zurück, um ihn nicht zu stören. Majwara flüsterte jedoch:

„Als ich mich niederlegte, war er bereits in dieser Stellung, gerade wie jetzt, und eben weil er ohne Bewegung bleibt, fürchte ich, daß er todt ist.“

Die Frage, wie lange er geschlafen habe, konnte Majwara zwar nicht genau beantworten, glaubte aber, daß es längere Zeit gewesen sei. Darauf traten die Männer näher.

Ein Licht, mit seinem eigenen Wachse auf dem Deckel der Medicinkiste befestigt, verbreitete eine unsichere Beleuchtung, eben genügend, den Umriß seiner Gestalt hervortreten zu lassen. Livingstone kniete zur Seite des Lagers, den Körper vorgebeugt, den Kopf in die Hand gestützt, auf einen Pfosten des Lagers gelehnt. Die Männer hielten den Athem an und lauschten. Kein Laut, keine Bewegung war wahrzunehmen. Endlich faßte sich Matthew ein Herz und näherte sich ihm leise, mit seiner Hand seine Wange berührend. Es war kein Zweifel – das Leben war schon einige Zeit entflohen, der Körper völlig kalt – Livingstone war todt. – Nachdem sie seinen Körper ordentlich gebettet und zugedeckt hatten, gingen sie in’s Freie, um über die ferneren Maßnahmen zu berathschlagen.

Es war nicht weit bis zum Morgengrauen. Dieses, zusammengehalten mit dem Umstande, daß Susi kurz vor Mitternacht mit ihm zuletzt sprach, ermöglicht mit ziemlicher Gewißheit zu bestimmen, daß Livingstone in der Frühe des 1. Mai 1873 starb. Wir können uns leicht die Schwierigkeit vergegenwärtigen, in welche die doch nur aus mehr oder weniger lose zusammenhängenden Elementen bestehende Gesellschaft jetzt, nachdem der Oberbefehlshaber todt war, durch die geringste Uneinigkeit leicht gerathen konnte. Mit möglichster Ruhe wurden Alle von dem, was sich ereignet hatte, in Kenntniß gesetzt. Nach Tagesanbruch wurde die ganze Reisegesellschaft zur Berathung versammelt. In Aller Gegenwart wurden die das Gepäck enthaltenden Kästen geöffnet und Jakob Wainwright, der Einzige, welcher schreiben konnte, veranlaßt, ein Verzeichniß der Gegenstände aufzunehmen.

Livingstone, als alter praktischer Reisender, hätte sein Gepäck so knapp wie möglich eingerichtet und in zwei Blechkästen gepackt, welche ihm ein Freund in England in Ansehung der besonderen Umstände, denen sie dienen sollten, mit außerordentlicher Sorgfalt hatte anfertigen lassen. Hier waren Schriften und Instrumente vor den schlimmen Witterungseinflüssen bewahrt geblieben. Außer diesen Dingen fanden sich Uhr und Hut, Bibel und Gebetbuch, weniges Geld und einige Medicinalgewichte darin vor.

Bekannt mit der Angst, welche die Eingeborenen dieser Gegend vor einem Todten haben, welche so weit geht, daß manche Stämme ihre Wohnplätze wechseln, wenn Jemand gestorben, weil sie meinen, daß die abgeschiedene Seele an den Lebenden Rache nimmt und überhaupt Böses verübe, beschloß man, den Todesfall zu verheimlichen. Man konnte nicht wissen, ob die Eingeborenen die Reisegesellschaft jetzt nicht feindselig behandeln würden.

Es mußte auch berathen werden, was ferner geschehen sollte. Glücklicherweise verband alle das gemeinsame Interesse, von diesem entferntesten Punkte der ganzen Reise glücklich heimzukehren. Die jüngeren von Mr. Stanley abgegebenen Mitglieder der Expedition ordneten sich naturgemäß den älteren erfahrenen Mitgliedern unter. So wurden Chuma und Susi, zwei Zöglinge der Mission, fernerhin als Chefs betrachtet, denen die Anderen unbedingten Gehorsam versprachen.

Es wurde ferner beschlossen, daß der Leichnam, komme was da wolle, nach Zanzibar zurückgetragen werden müsse. Zum Zwecke der Einbalsamirung, wenn wir bei den geringen zu Gebote stehenden Hülfsmitteln die nöthige Präparation so benennen dürfen, erbaten sie sich vom Häuptlinge, unter Verschweigung des wahren Beweggrundes, die Erlaubniß, ein besonderes Lager abseits des Dorfes bauen zu dürfen, welche gern ertheilt wurde. Die später zum Einkaufe von Lebensmitteln in’s Dorf gesandten Leute hielten jedoch keinen reinen Mund, und so wurde die Sache ruchbar. Sofort kam der Häuptling herbeigeeilt und machte Chuma Vorwürfe, ihm den wahren Sachverhalt vorenthalten zu haben.

„Ihr hattet Angst,“ sagte er, „es mich wissen zu lassen, aber fürchtet nichts! Ehe die Mazitu in’s Land fielen, bin ich selbst mehr als einmal an die Küste gereist. Ich weiß, daß Ihr nicht in bösen Absichten kommt, und daß der Reisende oft seinen Tod auf dem Wege findet.“

Alle waren durch diese aufgeklärte Denkweise sehr erleichtert und gaben nun ihre Absicht zu erkennen, den Leichnam zu conserviren und fortzubringen. Chitambo rieth, ihn lieber zu begraben als diese unmöglich scheinende Aufgabe zu unternehmen. Sie beharrten jedoch bei ihrem Entschluß. Mit Dankbarkeit gedenken Alle dieses gutherzigen und edelmüthigen Häuptlings.

Chitambo versammelte sein Volk und kam, von seinen Frauen begleitet, zu der neuen Ansiedelung. Er war in fest um den Leib geschlungenes, bis auf die Knöchel fallendes Baumwollenzeug gekleidet und trug um die Schultern ein breites, rothes Tuch. Alle führten Bogen, Pfeile und Speere, jedoch keine Gewehre. Zwei Trommler vereinigten ihre Anstrengungen mit dem wildheulenden Klagegeschrei, in das alle einstimmten, während die Männer zugleich, nach der portugiesischen und arabischen Weise der Todtenceremonie, eine Pfeilsalve nach der anderen in die Luft abschossen.

Tags darauf erschien noch ein officieller Klager in besonderer Kleidung nach dortigem Ritual, zu der große, speciell für diesen Zweck getragene Fußringe gehören, welche aus Reihen von hohlen Samenkapseln, mit rasselnden Kieselsteinen gefüllt, gebildet sind. Während er tanzte, sang er einen monotonen Gesang mit tiefer Stimme, welcher auf Deutsch etwa heißen würde:

„Heute ist der Engländer gestorben,
Dessen Haare von den unsern verschieden sind.
Kommt und seht den Engländer!“

Dieser in den Augen der Eingeborenen ehrenvolle Nachruf wurde mit einem reichlichen Geschenk an Perlen belohnt.

Der Leichnam Livingstone’s wurde jetzt mit Salz und Branntwein behandelt und der Sonnenhitze ausgesetzt, Tag und Nacht von seinen Leuten bewacht, welche rings um das Gehege, in das der Tode gebracht war, ihre Hütten errichtet hatten.

Nach genügender Zeit wurden die Vorbereitungen getroffen, den Weg fortzusetzen. Der Körper wurde in weißes Baumwollenzeug gewickelt, die Beine gebogen, um die Ausdehnung zu verkürzen. In Ermangelung von Holz stellte man aus Borke des Myongabaumes, welche sich in großen Stücken abschälen läßt, eine Art Cylinder her. Hierhinein wurde der Leichnam

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_203.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)