Seite:Die Gartenlaube (1875) 205.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Was ist’s, das am Strande im Nebel dort weht,
Wo die muthlosen Heere des Feindes jetzt rasten?
Was ist’s, das so stolz auf der Wallhöhe steht,
Das die Lüfte des Morgens so flatternd erfaßten?
Sieh’ es glänzen im Licht – wo der Morgen anbricht –
Hellstrahlend und leuchtend – jetzt ist es in Sicht.
’S ist das Sternenbanner; lang weh’ es allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n!

Und wo ist das Heer, das so prahlend einst schwur,
Durch verheerenden Krieg uns und blutige Thaten
Die Heimath zu rauben, die heilige Flur? –
O, ihr Blut hat verlöscht jede Spur, die sie traten.
Kein Hort schützte mehr das gemiethete Heer –
Sie entfloh’n oder fielen; das Grab deckt sie schwer.
Und das Sternenbanner weht siegreich allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n.

O stets sei es so, wenn sich Männer bewehrt,
Zu vertheid’gen ihr Land gegen feindliche Horden!
Der Sieg und der Frieden sei ihnen bescheert.
Preist den Himmel, daß endlich wir frei sind geworden!
Recht siege hinfort – an jeglichem Ort.
Und dies ist der Wahlspruch: „Sei Gott unser Hort!“
Und das Sternenbanner weh’ immer allein
In der Heimath der Helden, im Lande der Frei’n!


Die Fahne mit den Sternen und Streifen wurde im October 1775 zuerst im Hafen von Baltimore entfaltet, indem der damals in Philadelphia tagende Colonialcongreß die neue Flagge, über deren Farben man sich soeben geeinigt hatte, dem Commandeur des ersten ordentlichen Kriegsschiffes der aufständischen Colonien, der von Bermuda gekauften Schaluppe „Hornet“ zusandte, welcher sie unter Musik und Kanonendonnern aufhißte. Wenige Wochen später war die Rebellenflagge der Schrecken der caraibischen See. Merkwürdiger Weise wurde in demselben Hafen neununddreißig Jahre später auch das Lied des von einer Rebellenstandarte zur Nationalflagge avancirten Sternenbanners gedichtet.

Die amerikanische Nationalhymne entstand in der Nacht vom 12. zum 13. September 1814 während des zweiten Krieges zwischen England und den Vereinigten Staaten unter folgenden Umständen. Die Engländer waren nach verschiedenen im Norden erlittenen Niederlagen in Maryland eingefallen, hatten bei Bladesburg eine Schlacht gewonnen und das offene Washington eingeäschert. Der britische Admiral Cockburn segelte sodann in die Chesapeakebai, um die damals bedeutende Handelsstadt Baltimore zu zerstören. Die Baltimorer griffen prompt zu den Waffen; die wackeren Freisassen von Maryland eilten herzu. Pennsylvanien schickte seine Milizen, und die in Zwillich und „Homespun“ gekleideten, größtentheils nur mit Jagdausrüstung versehenen Bauern traten auf der Landspitze von North-Point, zwölf englische Meilen von der Stadt, Wellington’s „Invincibles“ gegenüber und – schlugen sie. Während die Schlacht auf der Landzunge tobte, engagirte die britische Flotte das Fort Mac Henry, um die Einfahrt in den Hafen zu erzwingen. Von der Besatzung des Forts wurde am Abende des 12. Septembers ein Parlamentärboot nach dem Admiralschiffe geschickt, um die Freilassung eines gefangenen Arztes zu erwirken. Sprecher der Parlamentäre war der junge Francis S. Key, Neffe des Richters Nicholson, welcher das Fort vertheidigen half. Die Engländer behielten die Parlamentäre während der Nacht am Bord und setzten in Folge ihrer Niederlage auf dem Lande die Beschießung des Forts um so eifriger fort. Dort unter dem Dröhnen der Breitseiten, dem Bersten der Bomben und dem Zischen der Raketen dichtete der junge Key sein unsterbliches Lied. Er warf seine Gedanken flüchtig auf einen Briefumschlag und als er am folgenden Morgen entlassen wurde und glücklich in’s Fort zurückgekehrt war, schrieb er seinen Gesang ins Reine. Richter Nicholson erkannte sofort den Werth des Gedichtes und schickte es nach der Officin des „American“. Redacteure und Setzer des Blattes waren jedoch in Reih’ und Glied, nur ein halbwüchsiger Lehrling, Namens Samuel Sands, war zur Beaufsichtigung des Locales zurückgeblieben. Dieser Junge zeigte übrigens, daß er ein Amerikaner war; er setzte das Gedicht sofort ab, machte einige hundert Abzüge und vertheilte dieselben in den Straßen und unter den Milizen; noch an demselben Abende wurde das Lied vom sternbesäten Banner gesungen. Ein Schauspieler, Namens Charles Durang, wird als der Urheber der Melodie genannt.

Mein alter Freund und Mentor, der 1871 in Cincinnati verstorbene Journalist August Becker, welcher meine vorstehende Uebersetzung vor dreizehn Jahren während des Bürgerkrieges zuerst publicirte, wollte übrigens dem armen Durang seinen Ruhm niemals gönnen; er meinte, eine so herrliche Melodie könne gar kein Amerikaner erfinden, dieselbe sei entschieden deutsch. Als Beweis führte er den Endreim eines hessischen Soldatenliedes an, welcher lautet:


„Unser Landgraf, der soll leben, und die Landgräfin daneben!
Hesse-Darmstädter sein mir, ja Hesse-Darmstädter sein mir.“


Becker argumentirte nun, daß die damals von ihren sauberen Fürsten an die Engländer verschacherten Hessen dieses Lied auf amerikanischem Boden häufig gesungen hätten und die Melodie hier von den Amerikanern aufgegriffen worden sei. Thatsächlich herrscht zwischen dem Liede der Darmstädter Patrioten und dem Endreime unserer Nationalhymne große Aehnlichkeit und ich war immer geneigt, Herrn Becker in diesem Punkte Recht zu geben; aber deshalb wollen wir doch den Ruhm des Schauspielers Durang nicht antasten, zumal die Melodie der sechs ersten Verse entschieden originell und, was noch mehr sagen will, amerikanisch ist.

Wer niemals mit Amerikanern verkehrt hat, der weiß nicht, welche magische Gewalt dieses Lied auf die Bürger der großen Republik ausübt; die Union verdankt demselben verhältnißmäßig ebenso viel, wie Deutschland seiner „Wacht am Rhein“. Die junge kaum drei Monate alte Nationalhymne half die Engländer am 8. Januar 1815 bei New-Orleans besiegen; sie hat seither gar oft die wilden Horden der Indianer geschreckt; unter ihren Klängen wurden die Schlachten bei Buena-Vista, Cerro-Gordo, Molina-del-Rey und Chapultepec geschlagen, und mit diesem Liede auf den Lippen zogen die siegreichen Truppen der Union in die Hauptstadt Mexicos ein. Welche Wunder es im letzten Bürgerkriege gewirkt, ist noch Allen, die jene große Zeit erlebt haben, frisch im Gedächtniß. Wer den Charakter des Amerikaners kennt, der findet es erklärlich, daß ein reicher Mann eine Viertelmillion zu einem Denkmale für den Dichter des Sternenbannerliedes aussetzen konnte. Apropos! dieses Denkmal. – Deutsche Künstler werden mir vielleicht für folgende Notiz aus dem „Californischen Staatskalender“ dankbar sein:

„Diejenigen Schenkungen Lick’s, welche in Europa das größte Interesse erregen, sind die für Errichtung von zwei Monumenten ausgesetzten 400,000 Dollars. Das eine Monument, zu Ehren des Dichters der amerikanischen Nationalhymne, soll den ‚Golden Gate-Park‘ von San Francisco zieren, das andere dagegen soll im Staatscapitolpark in Sacramento errichtet werden, und in Figur und Form die Geschichte des Staates, seinen Fortschritt und seine schnelle Entwickelung repräsentiren. Ein ganzes Jahr lang soll zur Einrichtung von Plänen für das letzte Monument aufgefordert, für den besten Plan ein Preis von 5000 Dollars und für den zweitbesten ein Preis von 2500 Dollars ausgesetzt werden. Vielleicht werden zwei Fünftel der ausgesetzten Summen für das Fundament und Granitpiedestal verausgabt, so daß noch 90,000 Dollars für das Key- und 150,000 Dollars für das Staatsmonument verbleiben. Die Trustees haben bis jetzt noch nicht zur Einreichung von Plänen aufgefordert. Eine unserer Zeitungen hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Monument nach eingereichten Modellen und nicht nach Plänen angefertigt werden solle, daß von jedem eingegangenen Modelle eine Photographie angefertigt und dieselbe an die berühmtesten Kunstschulen und Gesellschaften in Amerika und Europa gesandt werde, daß man sich nicht für ein Modell entscheide, bevor die Photographien sechs Monate lang abgesandt sind, und daß ferner der Contract denjenigen Personen überwiesen werde, die in Bronzeguß und Metallarbeit Erfahrung besitzen. Die Bewerbung für Ausführung der Monumente soll allen Personen offen stehen, gleichviel welcher Nationalität sie angehören und in welchem Theile der Erde sie wohnen. Dieser Vorschlag ist bis jetzt der einzige und scheint vielen Beifall zu finden, besonders die Idee, daß nicht zur Einreichung von Plänen, sondern zur Einsendung von Modellen aufgefordert werden soll. Letztere geben unbedingt ein besseres Bild von einem Monumente, als eine Zeichnung. Durch Befolgung dieses Planes dürften sich vielleicht auch deutsche Künstler veranlaßt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_205.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)