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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Es war im Schloßgarten von Fontainebleau, wo man unter der Regierung König Franz des Ersten, vielleicht auch schon etwas früher, den schönen kanadischen Baum zuerst als Ziergewächs angepflanzt hatte. Der berühmte Botaniker Clusius (1526 bis 1609) sah ihn daselbst und erzählt, daß man ihn wegen seines immergrünen (?) und starkduftenden Laubes für ein Symbol der Heilung und Unsterblichkeit angesehen und Baum des Lebens, arbor vitae genannt habe. Seine Angabe trifft doch nicht ganz den Kern der Sache, und sein College, Landsmann und Zeitgenosse Dodonäus bezeichnet, nachdem er vorausgeschickt, einen andern Grund der Benennung nicht zu kennen, die Veranlassung jedenfalls genauer, indem er sagt: „In der Kälte des Winters leidet der Baum; ihr elegantes Grün verlierend, nehmen Zweige und Blätter in den Wintermonaten eine schwärzliche Färbung an, leben aber im Frühjahre wieder auf und gewinnen den Glanz des vorigen Grüns wieder, so daß er nicht ohne guten Grund Baum des Lebens genannt worden zu sein scheint.“ Man wollte nun aller Orten das Mysterium dieses Gewächses schauen, und da der Leibarzt Franz des Ersten, Nicolas Rassius, den dieserhalb an ihn gerichteten Gesuchen bereitwillig entgegenkam, so verbreitete sich das vegetabilische Wunder schnell über Belgien nach Deutschland, sowie nach Italien, überall mit Staunen empfangen. Der orientalische Lebensbaum, sowie die anderen Arten dieses schönen Pflanzengeschlechts, welche heute unsere Parke zieren, kamen erst viel später nach Europa.

Die christliche Mystik sah mit Entzücken in diesem Baume die Verkörperung eines alten religiösen Symbols und nahm, da man damals noch nicht ahnte, daß auch den Pflanzen bestimmte natürliche Grenzen ihrer Verbreitung gesetzt seien, den amerikanischen Lebensbaum ohne Weiteres für den Lebensbaum des Paradieses. Man pflanzte ihn in die Mitte der botanischen und zoologischen Gärten, die man damals, wegen der friedlichen Vereinigung so vieler Pflanzen- und Thierformen, allgemein Paradiese nannte, und so führt unser Lebensbaum schon bei Clusius den Namen des Pariser Paradiesbaumes (Arbor paradisaea Lutetorum). Der so oft mit dem Baume der Erkenntniß zusammengeworfene, aber 1. Mose 2, 9 deutlich von demselben unterschiedene Baum des Lebens scheint ein aus persischen und ägyptischen Religionsvorstellungen in die hebräische Tradition hinübergenommenes Symbol zu sein, ebenso wie dem Baume des Erkenntnisses in dem drachenbewachten Apfelbaume der Hesperiden und in dem Apfelbaume Iduna’s entsprechende Seitenstücke der griechischen und nordischen Mythe entgegenzustellen sind.

Aus ägyptischen Gräbern wie auf dem Deckel der Mumiensärge hat man häufig wahrhaft künstlerisch gedachte Darstellungen des Lebensbaumes, als eines Symboles der Unsterblichkeit, angetroffen. Man sieht dort die mit dem Baume identificirte Göttin Isis-Hathor aus dem Gipfel der immergrünen Persea hervorsprossen und der unten harrenden vogelartig gebildeten Seele des Begrabenen das „Wasser des Lebens“ spenden. Die Hebräer und ersten Christen haben diese Symbolisirung des Glaubens als einer Unsterblichkeit verleihenden Pflanze mit Vorliebe in ihrer bilderreichen Sprache angewendet, und in diesem Sinne wird in der Bibel öfter von den gesundheitverleihenden Blättern des Lebensbaumes und von dem Holze des Lebens aus dem Paradiese Gottes, welches er Denen zu essen geben will, die da überwinden (Off. Joh. 2, 7 und 22, 2), geredet. Die jüdischen und christlichen Gelehrten des frühen Mittelalters nahmen diese Bildersprache wörtlich und glaubten fest an die Existenz des Lebensbaumes und seiner gepriesenen Kräfte, ja die Kirchenväter verhandelten mehrfach über die Natur und Art dieses Baumes. Talmudisten und christliche Mystiker wetteiferten darin, die Naturgeschichte desselben mit wunderlichen Mythen auszuschmücken.

Ein selten gewordenes Buch, „Die Buße Adam’s“ betitelt, hat einen förmlichen Roman aus den Schicksalen des Lebensbaumes gemacht, und die rabbinischen Sagenkreise gruppiren sich ungefähr folgendermaßen: Seth hatte das Paradies auf Geheiß des sterbenden Vaters aufgesucht und von dem bewachenden Engel drei Samenkörner vom Lebensbaume erhalten, die er dem Leichname Adam’s in den Mund steckte. Daraus erwuchsen drei Triebe, von deren Holz nicht allein die Stäbe des Moses und Aaron stammten, sondern auch der Baum, mit dessen Holz das bittere Wasser der Wüste süß gemacht wurde. Aus demselben Holze wurde der Tempel David’s gebaut und die Bank gemacht, auf welcher die heidnische Sibylle die Ankunft des Messias verkündete, und schließlich aus dem in Canaan eingepflanzten und zum Baume gewordenen Stabe Mosis das Kreuz Christi, der neue Lebensbaum, gefertigt, welches uns das durch die Sünde Adam’s verscherzte ewige Leben wiedererwerben soll.

Diese weitverzweigte Sage ist häufig bildlich dargestellt worden, z. B. in dem berühmten Altarwerk zu Leyden, auf welchem von Cornelis Engelbrechtsen (1468 bis 1533) der todte Adam dargestellt ist, aus dessen Leichnam der Baum des Lebens emporsproßt. Ganz allgemein in Kirchenliedern und Predigten wurde hiernach dem adamitischen Lebensbaum das erlösende Kreuz verglichen, und kaum ein Gleichniß gab es, welches in der Kanzelsprache populärer gewesen wäre, als gerade dieses. Sehr lehrreich für den Ursprung des ganzen Vorstellungskreises aus Aegypten ist die Legende, welche der Kirchenhistoriker Sozomenos aufbewahrt hat, daß zu Hermopolis in Oberägypten der Baum Persis (die Persea) gestanden, dessen Früchte, Blätter und Rinde die Kraft hätten, Kranke durch bloße Berührung gesund zu machen. Als Maria auf der Flucht nach Aegypten bei dem Baume vorüberkam, oder wie spätere mohamedanische Sagen berichteten, darunter ausruhete, neigte sich der ägyptische Lebensbaum in seiner ganzen Größe tief vor dem Christuskinde, dem neuen Unsterblichkeit verleihenden Lebensbaume.

Man kann sich leicht die Freude vorstellen, welche frommen und sinnigen Gemüthern aus der Gelegenheit erwuchs, endlich jene Vorstellungen auf ein bestimmtes und obendrein sehr zierliches Gewächs übertragen zu können, in welchem sich das Unsterblichkeits- und Wiederbelebungswunder augenfällig vollzog. Es erklärt sich daraus, weshalb wir den Lebensbaum so häufig auf Kirchenbildern aus der Zeit seines Bekanntwerdens dargestellt finden. In einem der ältesten Kräuterbücher, welches wir besitzen, dem gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts zuerst gedruckten „Garten der Gesundheit“ (Hortus sanitatis) wird von dem Lebensbaume erzählt, sein Holz besitze die „natürliche“ Eigenschaft, daß, wer davon esse, dadurch gefestet werde gegen alle Krankheit, Schwachheit und Altersschwäche, ja sein Leib werde unverwundbar wie der des Achilles. Wer aber das Grüne als Salat genieße, vergesse alle andere Nahrung und Sorgen. Das Letztere ist nicht unmöglich, denn das starkduftende Laub macht ganz den Eindruck, als könne es Jemanden dahin befördern, wo er weder Nahrung gebraucht, noch Sorgen hat. Die Medicin hat von den gepriesenen Wunderkräften keinen Gebrauch gemacht, nur die Homöopathie bedient sich der Thuja als eines ihrer Wundermittel.

Kommen wir nunmehr zu der Frage nach den inneren Vorgängen bei der winterlichen Verfärbung des Lebensbaumes und seinem Neuergrünen im Frühjahr, so müssen wir zunächst erwähnen, daß ihm diese Erscheinung nicht ausschließlich eigenthümlich ist, sondern daß fast alle Bäume und Sträucher, welche in der Strenge unseres Winters ihr Laub oder ihre Nadeln erhalten, einen ähnlichen Wechsel ihres Kleides bieten. Am meisten fällt die Erscheinung in’s Auge bei den glänzenden Blättern der Stechpalme, und des strauchigen Buxbaumes, sowie den Taxus, Cypressen und Sadebäumen unserer Parkanlagen, doch auch bei den Nadelhölzern unserer Wälder, z. B. bei der Kiefer ist der Unterschied des Grünes vom Winter und Sommer sehr merklich. Sie alle erscheinen düster, farbenmatt und gleichsam traurig gestimmt während der kalten Jahreszeit, und wenn gleich weniger von dem Wechsel der Jahreszeiten berührt, lächeln sie doch mit in den Frühling hinein. „Der Frühling webt schon in den Birken, – und selbst die Fichte fühlt ihn schon,“ sagt Faust, die geringe Erhöhung der Farbe mit einem Worte plastisch andeutend. Viel größer als bei jenen an sich schon düster gefärbten Nadelhölzern ist der Contrast bei unseren Lebensbäumen, deren Sommertracht bei einzelnen Arten maien-, ja goldig-grün schimmert. Man hat sich sonst begnügt, die Erscheinung auf eine allgemeine Herabstimmung der Lebensenergie der Pflanzen durch die Temperaturerniedrigung zurückzuführen, aber durch Versuche, welche der Professor Kraus in Erlangen in neuerer Zeit angestellt hat, wissen wir nunmehr viel genauer, was bei jenem Farbenwechsel im Innern der Pflanze vor sich geht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_215.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)