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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


alten Tradition zurück und bezog nach wie vor Alles, was guten Geschmack vorstellen sollte, aus Frankreich.

Wir befinden uns, im Großen und Ganzen genommen, noch völlig in derselben Lage. Es wäre eine große Thorheit, einen Feldzug hiergegen in der Art eröffnen zu wollen, daß man jene Waaren, die uns von jenseits der Vogesen kommen, als undeutsch etc. verwerfen wollte. Die Franzosen sind uns zur Zeit noch unzweifelhaft weit überlegen auf so ziemlich allen Gebieten des Kunstgewerbes. Es ist ja auch ganz natürlich, daß ein Volk, welches Jahrhunderte lang seine Kräfte hierfür ausgebildet hat, seine Handelsbeziehungen, seine Gesetzgebung, seine Arbeitstheilung hierauf angelegt hat, welches den inneren Reichthum und den Weltmarkt zum reichlichen Absatz der Producte besitzt, daß ein solches noch dazu von der Natur hochbegabtes Volk Besseres leisten muß als das Nachbarvolk, welchem alle diese Voraussetzungen fehlen und welches sich erst allmählich aus dem Kampfe um das Dasein herausgearbeitet.

Was wir können und wollen müssen, ist nur Folgendes. Wir müssen jenen Artikeln, welche uns als Modewaaren jedes Jahr zwei Mal von Paris herübergeschickt werden, keine größere Wichtigkeit beilegen als anderen Versuchen, etwas Schönes und Neues herzustellen. Jene französischen Musterzeichner schaffen ja schließlich auch niemals etwas absolut Neues, sondern schöpfen aus dem unendlichen Vorrathe bereits vorhandener Formen, welche sie dem modernen Bedürfnisse anpassen. Diesen Schatz der Menschheit müssen wir auch unserem Volke wieder erschließen, damit es selbstständig, seinen Bedürfnissen und Neigungen gemäß, aus demselben seine Kunstformen herausarbeite. Die politische Unabhängigkeit, die wir mühsam erkämpft, muß die geistige zur Folge haben; was wir auf dem Gebiete der Wissenschaft erringen, ist auch auf dem Gebiete der Kunst nicht unerreichbar. Die erste Voraussetzung aber dazu ist guter Wille und festes Zusammenhalten aller Kräfte, welche an diesem Werke mitarbeiten können.

Was wir an den französischen Modewaaren, welche uns ja seit Jahrzehnten den Markt überschwemmen, vor Allem auszusetzen haben, ist der Unverstand und die Willkür, welche in der Formgebung herrscht. Ein gefälliges Aeußere, eine kokette, oft überraschende Verbindung verschiedenartiger Formen darf diesen Waaren nicht abgesprochen werden; wir würden uns selbst ein arges Armuthszeugniß ausstellen, wenn wir dieselben, die wir seit Jahrzehnten bewundert, jetzt einfach als thöricht ansehen wollten. Es ist viel Gutes darin, aber in allen herrscht die Willkür, und durch diese Willkür allein läßt es sich erklären, daß alle zwei, drei Jahre ein Waarenlager unmodern wird. Es liegt im Interesse der Luxusfabrikanten, der Welt im raschesten Wechsel immer vollständig neue Formen aufzunöthigen, um sie zu fortwährend neuen Ankäufen zu veranlassen.

Diese unwürdige Abhängigkeit müssen wir brechen, nicht etwa nur aus commerciellen, sondern vorwiegend aus geistigen Rücksichten; wir müssen schließlich selber reif genug sein, um zu beurtheilen, welche Formen für den Schmuck unseres Hauses die tauglichen sind, und diese dann so tüchtig und ordentlich herzustellen, daß sie nicht nur für denjenigen, der sich dieselben beschafft, sondern für Geschlechter hinaus ein Stolz und eine Freude sind. Das Kleid, der Kopfputz mag leichteren Schwankungen unterworfen sein, aber das eigentliche feste Hausgeräth und von dem menschlichen Schmuck Alles, was aus edlerem Metall mit sorgfältiger Arbeit hergestellt ist, das soll in mustergültigen Formen ausgeführt werden, welche den Sturm der Zeiten zu überdauern im Stande sind und jedem Geschlechte zur Freude und zum Genusse gereiche.

Die Bewegung zur Einführung derartiger gesunder Formen in unser Kunstgewerbe ist jetzt im regsten Flusse. In England hat unter Anregung eines deutschen Fürsten und unter thätigster Mitwirkung eines unserer ersten jetzt lebenden deutschen Baumeister, Gottfried Semper's, der als politischer Flüchtling damals in London lebte, die Gründung des Kensington-Museums stattgefunden, welches den ausgesprochenen Zweck hat, dem englischen Kunstgewerbe neue Lebenselemente zuzuführen, dessen glänzende Resultate wir auf den letzten Weltausstellungen bewundern konnten. In Wien ist das österreichische Museum zu demselben Behufe entstanden. Von dem deutschen Gewerbemuseum in Berlin ist bereits in früheren Jahren in der „Gartenlaube“ ausführlich berichtet worden. In Stuttgart, in Karlsruhe, in Nürnberg, in Hamburg bestehen seit längerer Zeit verwandte Institute; in Leipzig, Dresden, Graz, Prag, Bremen und vielen anderen Orten sind dieselben in der Bildung begriffen.

Für die Wirksamkeit dieser Museen hat das Kensington-Museum das Vorbild gegeben, welches später allgemein befolgt wurde. Anschauung und Unterricht müssen sich nothwendig ergänzen. Wer erzogen werden muß, daß sind nicht nur die Handwerker, sondern auch das Publicum selbst, welches durch lange Gedankenlosigkeit und Abhängigkeit von Journalen der oberflächlichsten Art bereits vollständig vergessen hatte, was es Gutes zu fordern berechtigt wäre. Es galt also vornehmlich, gute alte Vorbilder zu sammeln. Fast ebenso schwer, wie es sein würde, ganz neu gebildete, auf beliebigen Consonantenzusammensetzungen beruhenden Worte in eine Sprache einzuführen, ebenso schwer und unmöglich ist es, Kunstformen zu erfinden, die nicht bereits in ihren Bestandtheilen vorher bekannt gewesen wären. Diejenigen, die immer nach etwas Neuem schreien und von alten abgebrauchten Formen sprechen, wissen nicht, was sie reden; mit demselben Rechte könnten sie den Dichtern einen Vorwurf machen, daß sie immer in derselben Sprache ihre Gefühle ausdrücken. Alle Kunstformen sind nur Worte, die allmählich und unmerkbar ihre Umbildung erfahren, nur die Zusammensetzung derselben, die Benutzung für den einzelnen Fall macht das Kunstwerk aus. Gilt dies schon für die große Kunst, um wie viel mehr für das Kunstgewerbe, dessen Erzeugnisse so innig mit den Bedürfnissen des Menschen verbunden sind, und diese Bedürfnisse sind bei aller Verschiedenheit der Formen doch schließlich im Wesentlichen immer wieder dieselben. Der Schriftsteller, der seine Sprache vollständig beherrschen und zur höchsten Kunstvollendung ausbilden will, wird tief eindringen in das Studium der Meisterwerke früherer Jahrhunderte und aus der Kenntniß fremder Sprachen, der lebendigen und todten, heraus wird sich sein Gefühl für die Feinheit im Organismus der eigenen Sprache kräftigen und bilden.

Ganz dasselbe in noch erhöhtem Maße tritt in der Kunst ein. Die Formen, welche die Anschauung uns bringt, sind leicht und sofort verständlich. Die Schönheit eines griechischen Armbandes, eines Ohrgehänges, den stolzen Schmuck einer mittelalterliche Kathedrale vermag auch der zu bewundern, dem die Verse Homer's eindruckslos am Ohre vorbeirauschen und der einem altdeutschen Gedichte wie einem Räthsel gegenüber steht. Wir müssen also sammeln, was an guten Vorbildern vorhanden ist, und wieder nutzbar machen für unser Volk und für unsere Bedürfnisse.

Hier liegt aber für die praktische Verwendung die Klippe, daß man nicht das Handwerk zur blinden Alterthümelei verleite. Die Frage muß scharf gefaßt werden: Zu welchem Zwecke sammeln wir die alten Vorbilder? – Ist es genug, wenn wir dieselben direkt nachahmen? – Entschieden nein! Nehmen wir ein Beispiel.

Wir wollen eine Lampe kaufen. Von allen, die uns der Fabrikant zeigt, gefällt uns keine. Wir fordern den Werkführer der Fabrik auf, die alte Werke zu studiren. Er geht in ein Gewerbe-Museum, in dem alte Schätze der Vorzeit ausgespeichert sind, und fragt nach Lampen in der guten Absicht, ein altes Vorbild zu benutzen. Man führt ihn zu den griechischen. Ja, was ist mit denen anzufangen? Das sind kleine flache Näpfe mit einer Tülle, aus welcher der Docht hervorkommt, geschlossen mit einem Deckel, in welchen das Oel eingegossen wird. Sie sind, wundervoll modellirt, wahre Kunstwerke der Ornamentik. Wie zierlich erstreckt sich die Schnauze nach vorn! Die Eingußöffnung ist eine Maske, welche das Oel zu trinken scheint. In den Ranken, aus welchen der Griff gebildet ist, findet sich mit geistvoller Andeutung auf die Nacht, zu deren Erhellung die Lampe bestimmt ist, die Fledermaus mit ausgespannten Flügeln. Auf dem Knaufe des Deckels ist das zierlichste Figürchen dargestellt. Aber trotzdem – zu brauchen ist nichts davon für unsere moderne Lampe.

Er geht zu den Candelabern, den Lampenträgern, die, aus Pompeji ausgegraben, den schönsten und kostbarsten Schmuck unserer Sammlungen bilden. Hier sollte sich doch ein Modell finden. Durchaus nicht. Das sind schlanke hohe Stäbe, die oben in einen weit ausladenden Kelch enden, auf dessen obere Platte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_233.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)