Seite:Die Gartenlaube (1875) 235.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

plötzlich Herr Richard Schweder von der Preußischen Boden-Creditactien-Bank dem Publicum einen nicht „subscribirten Rest“ F. Wöhlert’scher Maschinenbau-Actien von 750,000 Thalern nachträglich offerirte und freundlichst zu „Nachanmeldungen“ einlud. Obgleich man sich mitten in der Schwindelperiode befand, machte diese Gründung, dargeboten von den Herren Karl Braun-Wiesbaden, Stadtrath Pohle, Geheimen Commerzienrath F. W. Krause, bald hernach geadelt, und Gustav Markwald, Schwiegervater des genialen Directors Schweder, doch ein rauschendes Fiasco. Das Actiencapital betrug die Kleinigkeit von drei und ein Viertel Millionen Thaler, und gewisse Vorgänge hinter den Coulissen waren ruchbar geworden. Als das „erste Geschäftsjahr“ zu Ende ging, erschien in „Saling’s Börsenblatt“ ein „Eingesandt“, welches constatirte, daß die Gesellschaft, die im „Prospect“ 120 Locomotiven alljährlich versprochen, wirklich geliefert habe 40, und überhaupt fertig stellen könne höchstens 50. Auch wurde bemerkt, „daß die Verwaltung einen recht starken Frost und Schneefall herbeisehne“, weil dann die Aufnahme der Inventur[1] über das im Freien herumliegende Material unmöglich sei. Diesem „Eingesandt“ ist nirgends widersprochen, wohl aber erzählte man sich laut, daß der Vorbesitzer, Commerzienrath F. Wöhlert, an der neuen Actiengesellschaftswirthschaft seine offene Schadenfreude habe und sie mit beißenden Witzen begleite.

Keine Gründung machte größeres Furore als „Vereinigte Königs- und Laura-Hütte“. Laut Bekanntmachung erhielten die Zeichner von 200 bis 2000 Thalern eine Actie à 200 Thaler, von 2200 bis 8000 Thaler zwei Actien, die höheren Summen nur fünf Procent. Hier mag thatsächlich eine Ueberzeichnung stattgefunden haben. Die Gesellschaft vertheilte 1871 bis 1873 – 12¼, 29 und 20 Procent Dividende. Die Actien wurden an der Börse ein wildes Spielpapier, und der Cours stieg unaufhörlich bis zum Wiener Krach, wo er etwa 270 stand. Aber was für „Hände“ waren auch hier thätig, und was für „Hände“ halten die Gesellschaft noch heute, nachdem sie für 1874 wahrscheinlich keine Dividende mehr geben wird, und der Cours bis auf 100 gesunken ist, über Wasser! Wir nennen nur: Gerson-Bleichröder, inzwischen geadelt, Wilhelm Behrens und Baron von Westenholz in Hamburg, Jakob Landau und Heinrich Heimann in Breslau, Geheimräthe Krienes und von Carnall, Graf von Hatzfeld-Wildenburg und Altenburgischer Minister von Gerstenberg, Fabrikbesitzer a. D. Karl Egells und Herr W. von Kardorff-Wabnitz, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags, einen Hauptredner der freiconservativen Partei, eine Autorität in allen Finanz- und volkswirthschaftlichen Fragen, sowie auf dem Gebiete der Gründungen. Hut ab vor diese „Händen“!

Auf die „Subscription“ folgte die Einführung an der Börse. In vielen Fällen, namentlich als der Schwindel in üppigster Blüthe stand, und die Börse jedes Papier, ohne es weiter zu prüfen, willig aufnahm, sah man von „Prospect“ und „Subscription“ ganz ab und brachte die neuen Actien gleich zu Markte. Ein paar Tage vorher erschien im redactionellen Theile der Zeitungen eine ziemlich gleichlautende Notiz, welche die Gründung kurz, aber natürlich in günstiger Weise skizzirte und der Welt verkündete, daß am nächsten Dienstag das große Haus Itzig Meyer u. Comp. mit den Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ debutiren werde.

Unterm 10. Februar also wie der Schwindel bereits stark zu Ende ging, brachte der „Berliner Börsencourier“ einen Artikel, worin er die beiden Verfahren „Subscription“ und „Einführung“ gegen einander abwog, und die bloße „Einführung“ als „nicht reell“ bezeichnete. Wenn schon, so ungefähr führte er aus, der „Prospect“ gemeinhin keinen Glauben verdiene, und auch die „Subscription“ eine etwas undurchsichtige Operation bleibe, so böten beide doch dem Publicum immer einen gewissen Anhalt, während die „Einführung“ den Gründern Gelegenheit gebe, selbst „ein gänzliches Fiasco zu cachiren“. Der „Börsencourier“ forderte daher namentlich die „ersten Häuser“ auf, sich dieses unberechtigten Modus der „Einführung“ möglichst bald zu entschlagen, oder doch wenigstens vorher, „durch Publication eines detaillirten Prospects, ihrer Pflicht gegen das Privatcapital“ zu genügen.

Wieder der reine blanke Hokuspokus. Für das Publicum hatten „Subscription“ wie „Einführung“ genau dieselbe Bedeutung; beides waren Schauspiele, die die Gründer mit ihren Helfershelfern aufführten, um dadurch die Menge erst aufmerksam zu machen und zum Kaufen der neuen Actien zu verlocken. Alle solche Enthüllungen und Ausplaudereien der Börsenblätter, solche Schutzreden für das arme liebe Publicum und solcher Appell an die Respectabilität der „ersten Häuser“ sind weiter nichts als: „Sand in die Augen!“ Ja, meistens ist damit noch eine geschickte Reclame für irgend ein „erstes Haus“ und dessen neueste Operation“ verbunden, und es werden unter der Maske sittlicher Entrüstung blos wieder neue Sprenkel gelegt.

Wir kommen jetzt zur „Einführung“.

Itzig Meyer u. Comp., welche die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ vertreiben sollen, haben sich zunächst mit einem „Consortium“ umgeben. Die Mitglieder desselben sind nicht zu verwechseln mit den „ersten Zeichnern“, welche, wie man weiß, in der Regel blos zum Scheine gezeichnet haben. Nein, dieses Consortium ist ganz ernsthaft gemeint; es ist für Itzig Meyer u. Comp. eine Art von Rückversicherung, wie sie Lebens- und Feuerversicherungsgesellschaften eingehen, um sich ihrerseits wieder den Rücken zu decken und das große Risico zu vertheilen. Solch Consortium besteht aus zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Personen, die sich aus Banquiers, Maklern, Speculanten und anderen Börsianern zusammensetzen. Sie übernehmen die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“, in Posten von 5000, 10,000, 20,000 oder gar 100,000 Thaler, zu einem bestimmten Course, welcher der Consortialcours heißt, und im vorliegenden Falle etwa 70 betragen mag. Zu diesem Preise dürfen Itzig Meyer u. Comp. von ihren Consortial-Verschworenen nöthigenfalls die Abnahme der Actien verlangen, brauchen aber, wenn sie nicht wollen, dafür kein Stück zu liefern und geben vorläufig auch kein Stück aus den Händen.

Der Erfolg der „Einführung“ hängt zunächst davon ab, ob auch der richtige Zeitpunkt gewählt ist. Die überaus nervöse und sensitive Börse muß sich bei guter Laune befinden; sie darf nicht etwa „verstimmt“ oder „matt“ oder gar „flau“ sein, sonst wird die Einführung besser aufgeschoben, oder sie fällt in’s Wasser. Der bewußte Dienstag kommt, und die Börse hat ein vortreffliches Aussehen. „Ganz Israel strahlet und glänzet vor Lust.“ Der große Augenblick ist da, und der Chef oder der Bevollmächtigte des hochrenommirten Hauses Itzig Meyer u. Comp. tritt auf, umgeben von den Consortial-Verschworenen, die sein Gefolge bilden – wie jener Schwarm von Clienten, mit welchen Pompejus oder Julius Cäsar auf dem Forum erschien. Auch für „Volk“ ist gesorgt. Das Volk oder den „Mob“ bilden die Jobber der untersten Classe, welche von der Hand in den Mund leben und sich mitunter durch fettglänzende Röcke und zerrissene Hosen bemerklich machen. Sie sind die öffentlichen Ausrufer, und sie heißen, in Erinnerung an die ausgestorbenen Berliner Eckensteher, die Nante’s der Börse.

Die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf Itzig Meyer u. Comp.; das ganze Geschäft pausirt eine Weile, und mit großem Geräusch gehen die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ in Scene. Der Einführungscours ist mit Rücksicht auf das „große Haus“ Itzig Meyer u. Comp. 102½; blos Pari (100) würde seinem Ansehen nicht recht entsprechen. „Leimsiederei“ wird heftig begehrt und fast ebenso heftig gekauft. Aber von wem? Einstweilen nur von den Consortial-Verschworenen, ihren Freunden, Anhängern und Agenten. Ein dicker Nante mit außerordentlich entwickelter Nase schreit: „Ich nehme Leim mit 103;“ – „Leim mit 103!“ brüllt der Janhagel ihm nach. Jedermann im Saale weiß, daß die Nante’s weder „Leim“ wollen, noch „Leim“ bekommen, daß sie nur von Itzig Meyer u. Comp. mit ein paar Stücken „betheiligt“ sind, und dafür ihre Ausruferdienste thun. Niemand im Saale läßt sich durch die armen Kerle täuschen, aber ihr Geschrei macht doch Effect, hallt in den Börsenberichten der Zeitungen wieder; sie nützen zwar nicht viel, aber sie könnten gegen das Papier schreien und doch Schaden anrichten: darum sind sie angeworben, und sie dünken den Gründern ebenso nöthig und unentbehrlich, wie einem großen Schauspieler oder einer berühmten Sängerin die – Claqueurs. Der Cours von „Leim“ geht heute bis auf 105; morgen ist er vielleicht schon 107 und übermorgen 110. Die Consortial-Verschworenen kaufen und lassen kaufen zu diesen Coursen, daher sie der Makler notiren

  1. WS: korrigiert, Vorlage: Inventnr
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_235.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)