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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


den Beschauer der dem Feste eigenthümliche Zauber, in der Schwierigkeit des längeren Verweilens bei der Betrachtung des Einzelnen, in dem Abgelenktwerden vom Schönen zum Schöneren, in dem kaleidoskopischen Durcheinander der Figuren, in dem beständigen Wechsel der Gruppen, deren Bestandtheile sich schnell zusammenfanden, um sich schnell wieder zu lösen.

Wer konnte sie herzählen, diese nahezu tausend Gestalten, in deren Trachten alle Länder und alle Völker, alle Zeiten und alle Sitten repräsentirt waren, und, wenn man es könnte, wer vermöchte das Werthvollste unter dem Werthvollen zu nennen, wer über das Schönste unter dem Schönen und das Echteste unter dem Echten zu entscheiden? Aus der Fülle der romanischen und der mit Vorliebe gewählten orientalischen Trachten, mit welchen letzteren, beiläufig bemerkt, in vielen Fällen die Physiognomie ihrer Träger in voller Harmonie stand, aus dem Schwarme der Cavaliere und Edeldamen, die sich hier aus allen Gauen vereinigt hatten, fielen drei Paare durch die Schönheit ihres Costüms, wie ihrer Erscheinung auf, prächtige, hoch gewachsene Gestalten: ein spanisches Paar in der reizenden Nationaltracht von dunklem Violett mit Silber, ein armenisches in bunter, golddurchwirkter Seide, angethan mit kostbarstem Schmucke, und ein Rococopaar in Grau und Rosa mit Silber. Ueberhaupt war die Rococozeit mit ihrer ungemein liebenswürdigen und kleidsamen Tracht in zahlreichen Erscheinungen theils vornehmer Frauen, theils niedlicher Kammerkätzchen vertreten. Die gebauschten und gerafften Röckchen, die blumigen Stoffe, die hochfrisirten, gepuderten Toupets, die hochhackigen Schnallenschuhe, coquetten Schönpflästerchen und reichverzierten Fächer lassen jede Trägerin, mag sie alt oder jung, klein oder groß sein, zierlich erscheinen.

Gegenstand allgemeiner Bewunderung war der prächtige, durchweg echte Anzug einer Aegypterin, und eine in idealer Schönheit strahlende weibliche Gestalt in einem Costüme, wie es die Königin Louise getragen haben mag. Das weiße Atlasgewand, mit einen Gürtel dicht unter der Brust zusammengehalten, floß in schönen Falten herab. Die vollen Puffen an den Schultern, die hochstehende, gefältelte Krämpe um den Nacken, die langen, bis über den Ellbogen reichenden Handschuhe, das Diadem im welligen Haare, das in hohem Knoten hinaufgebunden war, Alles das umgab die schöne Erscheinung mit dem Zauber der Lieblichkeit und Frauenhoheit.

Das humoristische und das eigentliche Charaktercostüm war nur in kleiner Minorität zu bemerken. Dem Patriotismus war durch eine wunderlich costümirte Figur gehuldigt, in welcher sich das „vereinigte Deutschland“ darstellte. Herr und Frau „Winter“ präsentirten sich in weißen, mit Schwanpelz verzierten Gewändern. Majestätischen Schrittes sah man hier Frau „Sonne“ einhergehen, die ewig junge Alte, von Kopf zu Fuß in lichtem Golde strahlend, dort ihre dunkle Schwester, die „Königin der Nacht“, mit ihrem Gefolge von flimmernden Sternen. Auch ein hinkender Bettler mit dem Stelzfuße, eine hurtige Brieftaube, ein Monsieur Langohr mit seiner Gefährtin, der stachligen Distel, hatten sich in die Gesellschaft gemischt. Selbst die Hölle entsendete ihre Boten, nicht aber den mißgestalteten Beelzebub mit dem Pferdefuße, vielmehr einige stattliche Cavaliere von feinsten Formen, mit Kneifer und parfürmirtem Taschentuche.

Die Kunst war vorwiegend in den Künstlern und ihren Damen vertreten. Da wogten Rubens’sche, van Dyk’sche, Dürer’sche, Holbein’sche Gestalten bunt durcheinander. Vielfach begegnete man denselben glanzvollen Costümen, welche zu dem kurz vorhergegangenen Kronprinzenfeste gedient hatten. In vielen der Damentoiletten war die ergänzende, ordnende, schmückende, künstlerische Hand auf den ersten Blick zu erkennen.

Die Berliner Künstler, Meister und Jünger, waren vollzählig beisammen. Richter, Menzel, Begas, Knaus, Gräf, Becker, Meyerheim, der sich in einen Assyrer mit einem aus Cigarren grotesk gebildeten Kopfputz verwandelt hatte, Gentz, Jacobsen und des Festes andere Schöpfer und Ordner walteten heiter ihres Amtes. Die Schriftstellerwelt war nur durch wenige ihrer hervorragenden Persönlichkeiten, die Tagespresse durch die meisten der bekannteren Journalisten vertreten. Die Privattheater fehlten ganz. Von den königlichen Bühnen wurden der Generalintendant von Hülsen im dunklen Domino, Director Hein, Frau Erhartt als Lurlei, Frau von Voggenhuber, Fräulein Grossi, Frau Breitbach, dann Niemann mit seiner Gemahlin, Betz, Woworsky, Krolop, Kahle, Letzterer in der Tracht eines Bürgermeisters aus dem Anfange dieses Jahrhunderts, bemerkt.

Und nun denke man sich all die Erscheinungen, die wir einzeln vor das Auge des Lesers citirten, umfluthet von Herren, Rittern und Knechten, von Prälaten, Cardinälen und Mönchen, von Nixen, Nymphen und Elfen, von Kobolden, Gnomen und Zwergen!

Die in Aller Mienen ausgeprägte Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, wurde zunächst durch ein komisches Intermezzo befriedigt. Der wirkliche Geheime Augenblicks-Photograph Sophus Lichtstoffel, das berühmte Ehrenmitglied des Vereins der Kunstpflege vaterländischer Sonnenstrahlen, war inzwischen eingetroffen, hatte sein ebenso „elegantes, wie ambulantes Atteljeh“ mit seinem riesigen Apparate aufgeschlagen und gab einige ungeheuerliche Proben seiner Kunst, die sich laut seiner Empfehlungskarte sogar auf die Anfertigung der „beliebten amerikanischen, gänzlich unsichtbaren Geisterphotographien“ erstreckt und angesichts der auch bei Landschaften geleisteten „Garantie der Aehnlichkeit auf sechs Jahre“ ihres Gleichen nicht haben dürfte.

Mittlerweile hatte die Gesellschaft „festen Fuß“ gefaßt. In der Mitte des Saales hatten die Damen Platz genommen; rings umher zu den Seiten und im Hintergrunde gruppirten sich die Herren und auf den Treppen, wie auf den Galerien drängte sich Kopf an Kopf.

Der Tactstock des Dirigenten wurde hörbar und durch den Saal rauschten die feierlichen Klänge der Ouverture, welche das von Julius Wolf auf Grund zweier Gesänge seines trefflichen Schelmenliedes „Till Eulenspiegel redivivus“ gedichteten Festspiels „Sonnwendnacht am Rhein“ einleitete.

Die Dauer von über zwei Stunden, welche die Dichtung mit ihrem Vorspiele und ihren drei Acten in Anspruch nahm, stellte die Geduld einer Zuhörerschaft, die sich zu einem „Costümball“ zusammengefunden hatte, auf eine etwas harte Probe, und so konnte das Festspiel trotz seiner hübschen, von Krigar und Böhmer componirten Musik, trotz seiner schönen, nach Skizzen von Wilberg ausgeführten Decorationen, trotz seines vom Director Hein trefflich geleiteten scenischen Arrangements und trotz seiner wohlgelungenen Darstellung, an der sich außer einer Schaar von Dilettanten unser Sängerfürst Betz als „Frauenlob“, die königliche Hofschauspielerin Frau Erhartt als böse „Lurlei“ und Frau Blume als das von dem Helden des Zauberspiels, einem Jünger des heiligen Lucas, gemalte und später lebendig werdende Conterfei dieser „Lurlei“, betheiligten, nicht diejenige Würdigung finden, welche ihm sein poetischer Gehalt, eine sinnig erdachte, für den Zweck nur zu ernst gewählte Fabel und eine schwungvolle, gedankenreiche Diction unter günstigeren Umständen gesichert haben würden.

Einen Sturm des Beifalls erweckte das nachfolgende, von Herrn Betz herrlich gesungene Minnelied, welches, in Frauenlob’s Weise gedichtet, den Lesern der Gartenlaube mitgetheilt zu werden verdient:

„Nun will ich mit dem reinsten Klang
Mein Saitenspiel wohl rühren,
Nun soll sich meines Liede Sang
Die höchste Mette küren,
Daß Aller Augen auf mich schau’n,
Wenn ich die Kunst erprobe,
Euch holden Mädchen, schönen Frau’n
Zu Liebe und zu Lobe.

Gegrüßet seid mit allem Preis,
Ihr Zarten, Süßen, Losen,
Ihr stolzen, schlanken Lilien weiß
Und Ihr, ihr rothen Rosen,
Ihr aller Schuld ein Schirm und Dach,
Ein Schild vor allem Leide,
Voll milder Güte ein klarer Bach,
Eine schimmernde Augenweide.

Ihr seid ein edler Würzewein,
Der Liebe Ingesiegel,
Voll süßer Lust ein gold’ner Schrein,
Der Treue starker Riegel.
Wenn ihr euch lieb und hold mir neigt
Mit eurem Gruß und Segen,
Mir’s wunniglich zu Herzen steigt,
Wie duftiger Maienregen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_258.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)