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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Blüthen am Kunstspaliere prangen“, so finden sich dort desto mehr jener „frischen Wiesenblumen“, auf welchen der Himmelsthau echter ungekünstelter Poesie liegt.

Wenn er sein Gärtchen an die Saale verlegt, so deutet er damit selbst an, daß die meisten seiner Gedichte auf einem rein localen Boden entsprossen sind. Und so war es auch. Treunert war in erster Reihe der Dichter seiner Vaterstadt, er war der Stadtpoet von Jena. Sein Ehrgeiz fand darin volle Befriedigung. In den fünfzig Jahren, da er in Jena lebte und dichtete, ist wohl kaum Jemand von irgend welcher Bedeutung dort zu Grabe getragen worden, dem er nicht einen letzten Reim in’s Grab nachgesungen, so daß die Todten um ihn her es fast nöthiger gehabt hätten, ihm zu danken, als die Lebendigen. Keine Hochzeit wurde in den bürgerlichen Kreisen Jenas gefeiert, der nicht Wilhelm Treunert in einem gedruckten „Carmen“ eine poetische Folie verlieh. So vieler anderer privater Veranlassungen nicht zu gedenken, ertönte zu den Festessen und Stiftungstagen der mannigfachen geschlossenen Gesellschaften nach „bekannter Melodie“ das Festlied aus Treunert’s Feder. Die Jenaer Universität hat es schon aus chronikalischem Interesse nicht für unwerth gehalten, die zwei starke Foliobände und einen Quartband bildende Sammlung dieser Gelegenheitsgedichte ihren Regalen einzuverleiben. Obwohl hierbei oft mehr das liebe Brod, als die innere Weihe den dichterischen Impuls lieh, wußte Treunert doch der trockenen Vorlage in vielen Fällen eine poetische Seite abzugewinnen und dem Alltäglichen das Sonntagskleid der Poesie überzuhängen oder doch einen frischen kecken Humor hineinzuwerfen, wie zum Exempel in einem Festlied zum Martinsessen der Schützengesellschaft (1840), in welchem er eine kühne Verbindung zwischen Doctor Luther und der Martinsgans herstellte, indem er anführte, wie jener die Gänse, namentlich ihre Schwänze und Schwingen gar hochgehalten habe, denn

D’raus nahm er sich die Waffen,
Womit er Tück’ und Trug
Der hinterlist’gen Pfaffen
Totaliter erschlug;

und dann fortfährt:

Von einer tücht’gen Feder
In einer tücht’gen Hand
Wird früher oder später
Die Lüge übermannt;
Und um der Thorheit Schanze
Zu stürmen frei und frisch,
Gilt mehr als Schild und Lanze
Ein guter Flederwisch.

Mit jedem Neujahr sandte er unter der Firma „des Höchstgestellten“ im Orte, des hoch oben in der grünen Haube des mächtigen Michaeliskirchthurms thronenden Stadtthürmers, einen poetischen Gruß an sein liebes Jena, dem er mit der Treue eines Kindes anhing. Wie poetisch ist es, wenn er da diesen Thürmer sagen läßt:

Allstündlich tönt bei Nacht und Tag
Mir in das Ohr der Glocke Schlag;
Allstündlich ruft ihr Mund mir zu:
Mensch, wie mein Schall vergehest du.

Doch wenn ein Jahr nun ist vollbracht
Und Zwölfe schlägt’s um Mitternacht,
Dann tret’ ich still an’s Fensterlein
Und schaue in die Nacht hinein.

Da unten Dunkel nah und fern,
Da oben leuchtet Stern an Stern,
Und um mich her ein leises Wehn,
Als hörte man die Zeit vergehn.

Ich blicke sinnend lang’ hinaus,
Dort unten kenn’ ich jedes Haus .
Und die d’rin wachen oder ruhn –
Ich will für sie das Beste thun.

Ich will mit festem Gottvertraun
Dem neuen Jahr entgegenschaun,
Will beten, daß es allerwärts
Recht froh begrüße jedes Herz.
u. s. f.

Auch sonst umrankt er fast alle großen und kleinen Ereignisse seiner berühmten Vaterstadt mit den Blüthenzweigen der Poesie. Da gilt sein Gruß bald dem bekannten Fuchsthurme, der jetzt der Waller reiche Menge wieder schaut, wie sie einst zum Marienbilde nach Ziegenhain pilgerte, nur ist ihr Heiliger jetzt Gambrinus und sein Heilmittel das „gelbe Bier“, bald den Linden, welche Jena im duftenden Kranze umgeben, bald der Nixe der Saale, die nur sein Dichterauge leibhaftig geschaut. Bald fällt sein Blick auf das immerblühende Röschen am Pulverthurme, das trotz aller herbstlichen Mahnung nicht zu Bett gehen will, bis der Winter es gewaltsam mit seiner weißen Decke zudeckt. Vor Allem aber sind es die Jena kesselartig umschließenden eigenartig geformten Berge, namentlich in ihrer kleidsamen Sommertracht, „den grünen Rock voll Blüthensterne mit goldnem Rübsenband gestickt“, die er feiert. Ja, er unternimmt sogar das bedenkliche Wagniß einer poetischen Ehrenrettung des auf ihnen gebauten Weines. Das „große Wasser“, von welchem das Saalthal vielfache Heimsuchung erleidet, begeistert ihn zu einer hübsch erfundenen Legende.

Die Natur ist es überhaupt, welche seiner dichterischen Phantasie die meiste Nahrung verleiht. Ihr hängt sein Herz mit ganzer Liebe an. In den „Blättern von der Saale“, dem Jenaer Localblatt, begrüßte er alljährlich im Frühlinge ihr Erwachen und im Herbste ihren Schlummer, während der Winter den Born seiner Dichtung fast immer verschloß oder nur Seufzer der Sehnsucht ihm entlockte. Schon das erste blaue Fleckchen am Januarhimmel nährt seine Seele mit Lenzeshoffnung, denn:

Das ist ein blaues Fensterlein,
Da guckt der Himmel blinzelnd ’rein.

Er fragt die Erde: Ist es Zeit?
Doch sie im weißen Schlummerkleid,
Sie bittet leise: Schweig doch still!
Ich noch ein Weilchen schlafen will.

Da schiebt er’s Fenster wieder zu
Und spricht: So träume denn in Ruh!
Doch wird es nicht mehr ferne sein,
Dann komm’ ich und da bist du mein.

Wen erinnerte dieses Gedicht nicht an die alemannischen Dichtungen Hebel’s, der es auch liebt, der todten Natur Sprache und Person zu geben.

Wenn der Frühling in’s Land gekommen ist, dann jauchzet Treunert’s Dichterherz laut auf. Verschwenderisch theilt der Lenz seine Gaben aus an Alle, auch an die Armen und Kranken, nur zwei Herzen gehen dabei leer aus, da sie schon selbst Alles haben; das eine ist das Herz das von dem Himmelsglanze der ersten Liebe erfüllt ist, und das zweite ist das reiche Dichterherz, das in seinem Lied dem Frühling selbst erst seine Wonnen alle lieh. Aus dieser kindlichen Hingabe an die Natur hatte sich Treunert auch einen rührend frommen Glauben gewonnen und bewahrt. Er fand in dem Walten der Natur überall die Daseinsspuren der Gottheit, eine Vertrauen erweckende Schöpfergüte und ein Aufgehen des Zeitlichen im Ewigen. Da ruft er am Frühlingssonntag aus:

Schwebe mit, mein leises Beten,
In des Himmels Aether hin,
Hin zu ihr der ew’gen Güte,
Die so groß in jeder Blüthe,
Als im Weltall ruft: Ich bin.

Auch über den harten Schmerz, den er beim Verlust des erstgeborenen Kindes seiner geliebten Pflegetochter empfand, half ihm dieser Glaube tröstend hinüber. Das Gedicht: „Das kleine Grab“ überschrieben, würde allein schon hinreichen, Treunert’s Dichtertalent zu bekunden. Es lautet:

Ein Kindergrab, so niedrig und so klein!
Ein von der Erde kaum erhabner Hügel!
Hoch über ihn hinweg im Sonnenschein
Tanzt noch der Schmetterling auf zartem Flügel.

Und doch ein Berg, ach! ein Gebirg sogar,
Das weithin strecket seine dunkeln Schatten.
Wo ist die Aussicht, die so lieblich war?
Wo sind die weiten hoffnungsgrünen Matten?

Wo ist um ferne Höh’n der milde Glanz?
Die Blüthenpracht, belebt vom Gotteshauche?
Ach Alles hat das kleine Grab so ganz
Als hoher Berg verdeckt dem Menschenauge!

Doch tritt hinauf! – Hoch über Zeit und Raum
Trägt die gewalt’ge Höh den Blick hinüber,
Und keinen Schatten wirft der Erdentraum
In dieses Licht der Ewigkeit herüber.

Es führt hinauf des Glaubens Zuversicht:
Der Liebe geht die Liebe nicht verloren,
Auch unser lieber kleiner Schläfer nicht. etc.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_269.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)