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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Nun ist wohl auch die Neugier gerechtfertigt, die begehrt, Etwas über unseres Dichters persönliche Verhältnisse zu erfahren.

Wilhelm Treunert war ein Kind des Volkes in des Wortes herbster Bedeutung. Seine Mutter war „Aufwärterin bei Studenten“ und erhöhte diesen kargen Verdienst durch Schreiben von Mahn- und Gevatterbriefen sowie durch Gelegenheitsgedichte, die sie gleichzeitig auch an ihre Adressen beförderte. Die Geschichte seines Vaters verliert sich in Mythe und Legende.

Seine Mutter war bis zu seinem zehnten Jahre seine eigene und einzige Lehrmeisterin im Rechnen, Schreiben, Lesen. Darüber hinaus ging ihre Bildung nicht. Und das war zu jener Zeit für eine Tochter des Volkes immerhin schon viel. Neben diesem Mangel an eigentlicher Schulbildung entbehrte auch sonst noch Treunert’s Kindheit und erste Jugend aller Freude und all des gewöhnlichen Kinderglücks. Seine Mutter wurde durch ihre Erwerbsgeschäfte den ganzen Tag über dem Hause entfremdet. Sie ließ den armen Knaben, als er kaum aufrecht stehen konnte, ganz allein in der verschlossenen Stube zurück, nachdem sie ihm am Morgen die karge Tagesnahrung hingesetzt hatte. Wahrhaftig rührend klingt die Schilderung, welche Treunert in einem seiner späteren Gedichte von dieser Verödung seines Kindeslebens entwirft:

Ein Knabe war so arm und bloß,
Daß seine Mutter ihn verschloß.
Zum Ausgeh’n fehlten ihm leider
Die allernöthigsten Kleider.

Und Fensterscheiben trüb und blind
Die zeigten kaum dem armen Kind,
Das kläglich eingeschlossen,
Die spielenden Jugendgenossen.

Wie sehnt es sich, wie härmt es sich,
Wie weint es oft so bitterlich.
Wenn draußen die Gassen blinkten
Und hell und freundlich winkten.

Doch eines Tages, wunderbar,
Ein andrer Knabe bei ihm war,
Geschmückt mit weißen Gewändern,
Und gold’nen, grünen Bändern.

Er kam wohl auf dem Sonnenstrahl?
Man wußt’ es nicht; doch alle Mal,
Wenn er kam zu dem armen Knaben,
Sie prächtig gespielet haben.

Der Engel, der zu dem armen einsamen Knaben kam, war der Engel der Poesie. Die Einsamkeit wurde die Nährmutter seiner Phantasie. Und daß er sich diese Einsamkeit oft selbst noch vereinsamte, daß er, wie alle phantasiebegabten Kinder, für die Poesie der stillen Winkel schwärmte, davon meldet ein Ereigniß, das einmal das Stillleben seiner Kindheit unterbrach. Als seine Mutter eines Abends heimkam, fand sie den Knaben in der Stube nicht vor. Schreiend und wehklagend läuft sie auf die Straße und bietet die Nachbarschaft auf. Da findet sie endlich nach längerem Suchen den Knaben in einer Ecke unterm Bette sitzend und still und ruhig schlafend.

Indeß hatte unser kleiner Wilhelm außer dem Engel, der täglich zu ihm kam, auch noch einen reellern Spielgenossen. Das war ein zahmer Hamster. Seine Liebe für diesen einzigen Freund, für dieses einzige Besitzthum seiner Kindheit war eine so zärtliche, daß, als die Franzosen nach der verhängnißvollen Schlacht im October 1806 sich anschickten, die Stadt Jena zu plündern, er den kleinen vierfüßigen Freund in einen Topf steckte und mit ihm nach dem Dorfe Ziegenhain flüchtete. Er hat den Herren Franzmännern diesen Schreck, den sie seinem armen Hamster eingejagt, später, als er 1814 als Freiwilliger des weimarischen Jägerbataillons mit nach Frankreich zog, mit Pulver und Blei redlich wieder heimgezahlt.

Erst im zehnten Jahre, nachdem seine Mutter inzwischen sich verheirathet hatte, bekam der Knabe den Zutritt in die städtische Bürgerschule, sowie gleichzeitig den von ihm reich ausgebeuteten Genuß einer im Besitze seines Stiefvaters befindlichen Leihbibliothek. Da brach nun das Dichtergemüth sich auch nach außen Bahn. Das Talent des Schülers erregte die Aufmerksamkeit der Lehrer. Einer unter ihnen nahm ihn in sein Haus und in seine Privaterziehungsanstalt und gewährte ihm später sogar den Besuch des Hildburghäuser Gymnasiums. Aber es war nur ein kurzer Lichtstrahl, der in den Bildungsgang Treunert’s hineinfiel; verärgerte Verhältnisse in der Familie seines Gönners entzogen ihm dessen weitere Unterstützung. Er kehrte nach erst einjährigem Besuche der höhern Schule wieder nach Jena zurück und wurde nunmehr statt ein Meister und Herr nur ein Handlanger des Geistes. Er ergriff den Nahrungszweig seines Stiefvaters; er wurde Buchdrucker. Der Engel seiner Kindheit aber, die Poesie, wich nicht von seiner Seite und suchte ihm die einförmige Arbeit zu versüßen.

Der ihm wenig zusagende und darum auch wohl nicht mit rechtem Fleiße geübte Beruf ernährte ihn nur kümmerlich, litt oft Noth. Da konnte es wohl geschehen, daß er auf dem Theater der „Grünen Couleur“, einer Privatgesellschaft junger Bürger, Kotzebue’s „Armen Poeten“ mit seltener Wahrheit spielte. Der arme Poet – er war es ja selbst.

Zuletzt meinte da doch die gute Stadt Jena, daß ihr Dichter eine Erkenntlichkeit, oder wie man heute sagen würde, eine Dotation verdiene. Sie ging also in sich und beschloß, ihm die eben – im Jahre 1845 – vacant gewordene Stelle eines Markt- und Rathswachtmeisters zu übertragen. Dichtkunst und Polizei! Es konnte wohl kaum eine bedenklichere Ehe geben, als die zwischen diesen Beiden. Von vielen Seiten machte man auch den armen Candidaten auf die mißlichen Aussichten derselben aufmerksam. „Die Stadt,“ schrieb dieser damals an einen auswärtigen Freund, „betrachtet meine Wahl als ein Ereigniß. Alle Gesellschaften theilen sich darüber in Parteien, und es wird mir verdacht, mich gleichsam zum Polizeidiener gemacht zu haben. … Boshafte Menschen machen mich fortwährend darauf aufmerksam, daß ich auf dem Markte die Butter wiegen, den Wein ausrufen, in den Schenken Feierabend etc. bieten muß … Ja, wenn die guten Leute nur wüßten, wie kläglich die Aussichten eines armen Buchdruckergehülfen jetzt sind!“ Auch der gestrenge Herr Stadtrichter wollte von dieser Poetenwahl durchaus nichts wissen. Als die Väter der Stadt aber doch auf der Versorgung ihres Dichters bestanden, begrüßte er den neuen Untergebenen immer wieder mit den Worten: „Nur keine Poesie! Nur die Sache ganz prosaisch betrachtet!“ Indeß fand sich Pegasus diesmal ganz leidlich in sein Joch und hat es auch ehrlich getragen bis an’s Ende. Wenn es ihn einmal zu sehr drückte, so lief der Dichter auf seine Berge oder half sich mit der Poesie, oder er rief den Humor zu Hülfe, der freilich oft ein verzweifeltes Gesicht trug, wie in folgendem Reime:

Wasser soll ich bringen, wird mir anbefohlen!
Nun, du armer Dichter, das besorg’ in Ruh’!
Denn in deinen Versen, sag’ es unverhohlen,
Trägst du ja den Leuten längst schon Wasser zu.

Diese gegensätzlichen Thätigkeiten trugen sich auch über auf des Mannes äußere Erscheinung. Der Verfasser dieser Skizze kann sich derselben noch wohl erinnern. Namentlich ist sie ihm gegenwärtig in der von Treunert selbst einmal geschilderten Stellung, wie er die schwere Marktpreistafel am Rathhause, neben der sogenannten Zeise (ein Localausdruck für Accise), nicht ohne stillen Seufzer aufhing und dann durch seine großen Brillengläser mit gutmüthig lächelnden Augen den aufmerksamen Knaben betrachtete, um kurz darauf mit einer gelehrten, oft gar lateinischen Anrede dessen Erstaunen zu wecken. Seine untersetzte kräftige Gestalt, das vorgebeugte Haupt, eine gewisse Würde und Wohlgesetztheit seiner Rede, die Medaille am Rocke und der beknopfte dicke Rohrstock in der Hand – dies Alles ließ in ihm weit eher den Herrn Bürgermeister selbst vermuthen als seinen Diener.

Seinem im Jahre 1861 erfolgten Tode ging ein längeres Siechthum voraus. In Folge einer unglücklichen kinderlosen Ehe – er lebte in den letzten Jahren ganz getrennt von seiner ihm nicht gleichgearteten Frau – war seine Häuslichkeit längst verödet. So schlug er sein Schmerzenslager im allgemeinen Krankenhause auf. Nur eine inzwischen auch verheirathete Pflegetochter erleichterte ihm die Leiden seiner letzten Tage. Eine hohe Frau, deren Verehrung er zeitlebens einen schwärmerischen Cultus geweiht hatte, die Großfürstin-Großherzogin Marie Paulowna, der „Schutzgeist des Landes“, war ihm kurz zuvor im Tode vorangegangen.

Von seiner Schmerzensstatt aus sandte er noch seinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_270.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)